Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. unmittelbare Kriegseinwirkung. Inhaftierung durch die Gestapo 1942/43 in Lodz
Leitsatz (amtlich)
Eine 1942/43 in Lodz erfolgte Inhaftierung durch die Gestapo gilt nicht als unmittelbare Kriegseinwirkung iS des BVG, unabhängig davon, ob sie einem Mitglied der polnischen Heimatarmee, einem Mitglied der Polnischen Sozialistischen Partei oder einer Zivilperson galt.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 1, 2 Buchst. a, § 5 Abs. 1 Buchst. a, b, d, § 7 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. April 2004 wird als unzulässig verworfen, soweit er Versorgung wegen der Folgen einer Tätigkeit als dienstverpflichteter Zeitungsausträger und einer Zwangsarbeit geltend macht.
Im Übrigen wird die Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Beschädigtengrundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Folgen von Gesundheitsstörungen, die der Kläger auf verschiedene Vorgänge während des Zweiten Weltkrieges zurückführt.
Der 1926 in Polen geborene Kläger besitzt seit dem 25. September 1985 die deutsche Staatsbürgerschaft. Ab 1940 musste er auf Grund einer Verpflichtung der deutschen Besatzungsmacht in Lodz (zwischen 1939 und 1945 “Litzmannstadt”) die Zeitung “Völkischer Beobachter” austragen. Vom 19. April 1942 bis 24. Mai 1943 befand er sich laut einer Bescheinigung des Polizeipräsidenten von “Litzmannstadt” (vom 24. Mai 1943) in Untersuchungshaft im Polizeigefängnis Lodz. Es folgte eine Zwangsverpflichtung als Dreher und technischer Zeichner im Fluggerätewerk Lodz und – nach seinen eigenen Angaben – ab August 1944 in einem Rüstungsbetrieb in Beendorf (ehemaliges Salzbergwerk; heute Sachsen-Anhalt).
Der Kläger gab in einer eidesstattlichen Versicherung vom 24. Mai 1948 an, die Verhaftung durch die Gestapo am 19. April 1942 sei wegen seiner Beteiligung an der polnischen Untergrundbewegung erfolgt; die Entlassung am 24. Mai 1943 habe auf Bestechung der Gestapo durch Familienangehörige und Kameraden der Untergrundbewegung beruht. Die Zeugin L… T… führte in einer eidesstattlichen Versicherung vom 15. Juli 2002 hierzu aus: Der Kläger sei in der Zeit 1942/43 – eingesetzt als Verbindungsmann – aktives Mitglied der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa = AK) gewesen. Ihr sei auch der Gefängnisaufenthalt des Klägers bekannt. Aus einer von dem Kläger eingereichten Stellungnahme des Dr. Chiari (wissenschaftlicher Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam) vom 3. April 2002 geht hervor: Die AK sei der bewaffnete Arm der polnischen Exilregierung gewesen; sie habe ein breites politisches Spektrum umfasst und im besetzten Polen, in den 1939 sowjetisch besetzten Gebieten Ostpolens sowie im Wilnagebiet und in anderen ethnischen Mischgebieten flächendeckend Widerstand geleistet. In einem amtsärztlichen Zeugnis des Gesundheitsamtes M… vom 18. März 1949 heißt es: Der Kläger sei erheblich geh- und stehbehindert und leide an starker Krampfaderbildung am linken Bein, die ein längeres Gehen stark erschwere. Zusätzlich sei ein starkes Untergewicht vorhanden. Der Kläger sei politischer Verfolgter und zu 50 vH erwerbsgemindert.
Der Antrag des Klägers vom 8. Oktober 1999 auf Beschädigtenrente nach dem BVG blieb im Verwaltungsverfahren erfolglos (Bescheid des Beklagten vom 10. November 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2000). Der Kläger hatte geltend gemacht, in der Gestapohaft gefoltert worden zu sein; ihm seien die Nase mehrfach gebrochen und schwere Verbrennungen an der rechten Schulter sowie Blutergüsse zugefügt worden. Zum Kriegsende habe zudem eine TBC bestanden. Nach wie vor leide er unter einem Ulcus am Zwölffingerdarm, Gastritis, Krampfadern und einer Osteoporose.
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht Speyer (SG) hat den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide verpflichtet, die gesundheitsschädigenden Ereignisse in der Zeit vom 19. April 1942 bis 24. Mai 1943 als Schädigungstatbestand nach dem BVG anzuerkennen und wegen dessen Folgen zu entschädigen. Zur Begründung wird in dem Urteil vom 23. Januar 2003 im Wesentlichen ausgeführt: Die Schädigung des Klägers sei durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung (§ 1 Abs 2 Buchst a iVm § 5 Abs 1 BVG) herbeigeführt worden. Sie stehe im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg und sei infolge einer damit zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten. Die Inhaftierung des Klägers sei – bei unverkrampfter, lebensnaher Betrachtungsweise – auf Grund der Mitarbeit in der AK erfolgt; kriminelle Handlungen des Klägers oder reine Willkürmaßnahmen gegen die polnische Zivilbevölkerung seien in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich. Damit sei der Tatbestand der Verschleppung iS des § 5 Abs 1 Buchst d BVG erfüllt, der immer dann gegeben sei, wenn ein Mensch rechtswidrig und zwangsweise an einen anderen Ort verbracht oder an seiner Rückkehr gehindert werde; dabei sei allein der gewaltsame Ortswechsel ausreichend.
Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) hat der Berufung des Beklagten im Wesentlichen mit folgender Begründung stattgegeben (Urteil vom 28. April 2004): Ein Anspruch auf Beschädigtenversorgung könne nur dann aus § 5 BVG abgeleitet werden, wenn die Schädigung der Gesundheit durch unmittelbare Kriegseinwirkungen erfolgt sei. Der Tatbestand sei jedoch dann nicht erfüllt, wenn eine Person, die keinen militärischen Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht geleistet habe und auch nicht Angehöriger von anderen Streitkräften, die für Deutschland gekämpft hätten, gewesen sei, während der Ausübung des Dienstes für andere Streitkräfte – wie hier der polnischen Heimatarmee – durch unmittelbare Kriegseinwirkungen geschädigt werde. Der Kläger sei auch nicht unter den in § 5 Abs 1 Buchst a und b BVG aufgeführten Umständen geschädigt worden. Ebenso wenig seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs 1 Buchst d BVG erfüllt. Zwar sei der Kläger durch deutsche Besatzungsbehörden inhaftiert worden, auch werde unter “Verschleppung” iS des § 5 Abs 1 Buchst d BVG die zwangsweise rechtswidrige Verbringung eines Menschen an einen anderen Ort oder die Verhinderung seiner Rückkehr verstanden, wobei allein der gewaltsame Ortswechsel genüge. Doch habe die “Verschleppung” im vorliegenden Fall nicht im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg gestanden, sondern sei 1942 – 2 ½ Jahre nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen – allein der als wahr unterstellten Mitgliedschaft des Klägers in der AK und der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) zuzuschreiben. Es fehle damit an dem erforderlichen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Inhaftierung und unmittelbaren Kriegsauswirkungen. Kampfhandlungen habe es in Lodz zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gegeben. Soweit der Kläger Leistungen auf Grund von Gesundheitsstörungen geltend mache, die durch Schädigungen während der “Zwangsarbeit” als Zeitungsausträger und in den Rüstungsbetrieben verursacht worden seien, werde damit kein versorgungsrechtlicher Tatbestand erfüllt; der Kläger sei insoweit auf Wiedergutmachungsansprüche zu verweisen.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 5 BVG. Dazu trägt er vor: Er sei bei der Verhaftung durch die Gestapo iS des § 5 Abs 1 Buchst d BVG verschleppt worden. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei hierunter der gewaltsame Ortswechsel zu verstehen, ohne dass es der Verbringung in fremdes Staatsgebiet bedürfe. Nach dem BVG seien neben Deutschen und deutschen Volksangehörigen, die beim militärischen Dienst oder im Krieg ein besonderes Opfer für ihr Vaterland durch Hingabe von Leben und Gesundheit gebracht hätten, auch andere Kriegsopfer zu entschädigen, die – wie er – von Kriegshandlungen/unmittelbaren Kriegseinwirkungen betroffen seien. Er sei als Mitglied der polnischen Untergrundbewegung mit der Aufgabe des Melders/Verbindungsmannes an Kampfhandlungen iS der Bekämpfung der Besatzungsmacht beteiligt gewesen. Da es insoweit jedoch nicht auf ein Ertappen auf frischer Tat ankomme, sei es unerheblich, wenn er bei seiner Verhaftung gerade keiner Tätigkeit für die AK nachgegangen sei. Die AK sei auf Grund der Genfer Konvention als Armee anerkannt worden, so dass es nicht darauf ankomme, ob im Moment der Inhaftierung Kampfhandlungen in Lodz stattgefunden hätten. Auch habe sich mit der Verhaftung eine besondere Gefahr der Besatzung verwirklicht, stelle die Verhaftung eine behördliche Maßnahme dar. Unzweifelhaft handele es sich um eine kriegerische Einwirkung, wenn ein Mitglied der Untergrundarmee durch die Besatzungsmacht – hier die Gestapo, die die federführende Instanz in der Gegnerbekämpfung gewesen sei – festgenommen werde.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 28. April 2004 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Speyer vom 23. Januar 2003 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Die alleinige Mitgliedschaft in einer Organisation – auch militärischer Art – reiche nicht aus, um einen Anspruch aus § 1 Abs 2 Buchst a, § 5 Abs 1 Buchst a BVG zu begründen. Erforderlich sei vielmehr, dass die Schädigung durch Kampfhandlungen von Angehörigen der militärischen Streitkräfte oder Einzelpersonen im Zusammenhang mit dem Krieg erfolgt sei; die Maßnahmen müssten sich gegen die Streitkräfte oder die Bevölkerung anderer kriegsführender Mächte oder Einzelpersonen richten, wobei mit ihnen der Zweck verfolgt werde, das kriegerische Potential des Gegners zu treffen und ihn zu schwächen. Ebenso wenig seien die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 Buchst d BVG gegeben, da es an einem hinreichenden örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Verhaftung und Kriegseinwirkungen fehle. Zum Zeitpunkt der Verhaftung des Klägers seien die Kampfhandlungen im Zusammenhang mit der Besetzung des Landes abgeschlossen und solche zur Befreiung des polnischen Staatsgebietes noch nicht wieder aufgeflammt gewesen. Es sei daher nicht von einer militärischen, sondern politischen Widerstandstätigkeit des Klägers auszugehen, was auch darin zum Ausdruck komme, dass der Kläger in seinem Wiedergutmachungsantrag angegeben habe, die Verhaftung sei wegen der Zugehörigkeit zur PPS erfolgt. Gesundheitsschäden durch Willkürmaßnahmen der Gestapo gegen Zivilpersonen seien zudem ebenso wenig wie solche durch Zwangsarbeit nach § 1 Abs 2 Buchst a BVG zu entschädigen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unzulässig, soweit der Kläger eine Beschädigtenrente wegen Schädigungsfolgen durch Zwangsverpflichtung zum Austragen von Zeitungen vor dem 19. April 1942 und Zwangsarbeit in Rüstungsbetrieben nach dem 24. Mai 1943 geltend macht.
Die Revisionsbegründung entspricht insoweit nicht den Formerfordernissen des § 164 Abs 2 SGG. Sie muss neben einem bestimmten Antrag und der Bezeichnung der verletzten Norm auch die Gründe enthalten, die aus Sicht des Revisionsführers das Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Erforderlich ist daher eine zumindest kurze Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils (vgl nur: Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 1500 § 164 Nr 12). Hieran mangelt es im vorliegenden Fall in Bezug auf die beiden oben genannten Geschehnisse. Das LSG hat in seinem Urteil dargelegt, bei einer Schädigung durch “Zwangsarbeit” handele es sich nicht um einen versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand, insbesondere nicht um militärischen oder militärähnlichen Dienst iS der §§ 2, 3 BVG. Hiermit setzt sich der Kläger nicht auseinander. Er nimmt zur Begründung seines Revisionsbegehrens insoweit lediglich auf die Ausführungen zum Tatbestand der Verschleppung (§ 5 Abs 1 Buchst d BVG) in Form der Inhaftierung wegen der Mitgliedschaft in der AK Bezug. In diesem Zusammenhang hätte es jedoch weiterer Darlegungen bedurft. Der Kläger hat insbesondere nicht dargetan, inwieweit mit der Dienstverpflichtung zum Zeitungsaustragen der Tatbestand der Verschleppung iS des § 5 Abs 1 Buchst d BVG erfüllt worden sein könnte. Ebenso mangelt es an Ausführungen zu einem Zusammenhang zwischen der Verpflichtung zur Arbeit in Rüstungsbetrieben und der Betätigung für die AK. Derartiges Vorbringen wäre jedoch erforderlich gewesen, da der Kläger in seiner unter Bezug genommenen Argumentation die Erfüllung des Schädigungstatbestandes gerade damit begründet, dass er wegen der Mitarbeit in der AK inhaftiert worden sei. Die Inhaftierung endete jedoch nach den von ihm nicht angegriffenen Feststellungen des LSG mit dem Freikauf durch die Familie und Mitglieder der AK. Es ergibt sich mithin nicht ohne weitere Darlegungen, dass die Verschleppung ihre Fortsetzung in der Zwangsverpflichtung zur Arbeit im Rüstungsbetrieb gefunden haben könnte.
Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Beschädigtenrente nach dem BVG. Er hat die ua von ihm behaupteten mehrfachen Nasenbrüche, Blutergüsse und Verbrennungen sowie ggf weitere Gesundheitsstörungen nicht durch Schädigungen iS des BVG erlitten.
Das BVG ist nach § 7 Abs 1 Nr 1 BVG zwar auf den Kläger anzuwenden; er besitzt seit 1985 die deutsche Staatsangehörigkeit. Er hat mit seiner Betätigung für die AK jedoch weder militärischen Dienst iS des BVG (§§ 2, 3, 4 BVG) verrichtet (1), noch sind die von ihm – sei es als Mitglied der AK, sei es als Zivilperson/Mitglied der PPS – in der Gestapohaft erlittenen Folterungen unmittelbare Kriegseinwirkungen iS des § 5 BVG (2).
(1) § 1 Abs 1 iVm §§ 2, 3, 4 BVG scheiden als Grundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch aus; er hat durch seine Betätigung für die AK keinen militärischen oder militärähnlichen Dienst iS des BVG geleistet. Nach § 1 Abs 1 BVG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Der Kläger ist nicht durch eine oder während einer der zuvor benannten Verrichtungen geschädigt worden.
Versorgung nach dem BVG wird nur demjenigen zuteil, der sich für Deutschland im Rahmen einer “deutschen” Organisation eingesetzt und ein gesundheitliches Opfer bei den in §§ 2 bis 4 BVG benannten Betätigungen erbracht hat. Die Schädigung muss mit dem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht oder dem militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation im Zusammenhang stehen. Ebenso wenig wie ein Deutscher Entschädigungsleistungen erhält, wenn er Dienst für eine feindliche Armee geleistet hat (zu den hier nicht bedeutsamen Ausnahmen s § 2 Abs 2 BVG), führt eine Schädigung eines Ausländers (der Kläger war zum Zeitpunkt der behaupteten Schädigung noch polnischer Staatsangehöriger), die dieser im Zusammenhang mit dem militärischen oder militärähnlichen Einsatz vorwiegend für sein Heimatland erlitten hat, zu Leistungen nach dem BVG (vgl BSGE 45, 166, 167 = SozR 3100 § 7 Nr 5). So liegt der Fall hier.
Bei der AK hat es sich um das offizielle militärische Organ der polnischen Exilregierung in London gehandelt (vgl nur: Ney-Krwawiciz, Der polnische Staat im Untergrund und die Heimatarmee (AK), www.polishresistance-ak.or/, Oktober 2001; derselbe, Die Führung der Republik Polen im Exil, in Chiari (Hrsg), Die polnische Heimatarmee, München, 2003, S 151 ff). Die AK hat zwischen 1939 und 1945 für die Befreiung ihres vom Deutschen Reich und der Sowjetunion besetzten polnischen Heimatlandes, also gegen diese Staaten, aus dem Untergrund heraus gekämpft (vgl Chiari, Die Heimatarmee als Spiegelbild polnischer nationaler Identität, in Chiari, aaO, S 1 ff). Die Anerkennung ihrer inhaftierten Mitglieder als Kriegsgefangene nach der Genfer Konvention – wie sie der Kläger behauptet – führt zu keiner anderen Bewertung. Sie unterstreicht zwar den Status der Mitglieder der AK als Soldaten im Gegensatz zu ausschließlich aus dem Untergrund agierenden Partisanen. Gleichwohl wird hierdurch verdeutlicht: Sie haben als Soldaten gegen die aus ihrer Sicht feindliche deutsche Wehrmacht gekämpft; ein gesundheitliches Opfer für Deutschland haben ihre Soldaten nicht erbracht (vgl zum Ausschluss eines Entschädigungsanspruchs in einem solchen Fall: Rohr/Sträßer, Bundesversorgungsrecht, Stand September 2004, § 7 Anm 7 K 12; Fehl, in Wilke ua, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl, § 5 BVG RdNr 1).
(2) Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf § 1 Abs 2 Buchst a iVm § 5 BVG stützen. Nach § 1 Abs 2 Buchst a BVG stehen einer Schädigung iS des § 1 Abs 1 BVG Schädigungen gleich, die durch unmittelbare Kriegseinwirkung herbeigeführt worden sind. Bei der Gestapohaft handelt es sich nicht um eine unmittelbare Kriegseinwirkung iS dieser Vorschrift.
Was unter “unmittelbarer Kriegseinwirkung” iS des § 1 Abs 2 Buchst a BVG zu verstehen ist, bestimmt § 5 BVG abschließend (vgl BSGE 2, 29, 31). Danach gelten als unmittelbare Kriegseinwirkungen, wenn sie im Zusammenhang mit einem der beiden Weltkriege stehen:
a) Kampfhandlungen und damit unmittelbar zusammenhängende militärische Maßnahmen, insbesondere die Einwirkung von Kampfmitteln,
b) behördliche Maßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder ihrer Vorbereitung, mit Ausnahme der allgemeinen Verdunkelungsmaßnahmen,
c) Einwirkungen, denen der Beschädigte durch die besonderen Umstände der Flucht vor einer aus kriegerischen Vorgängen unmittelbar drohenden Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt war,
d) schädigende Vorgänge, die infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebietes oder mit der zwangsweisen Umsiedlung oder Verschleppung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind,
e) nachträgliche Auswirkungen kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben.
Einer näheren Prüfung zu unterziehen sind im vorliegenden Fall die Alternativen a, b und d dieser Vorschrift. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einer Inhaftierung des Klägers als Mitglied der AK (a) und einer solchen als Zivilperson/Mitglied der PPS (b).
(a) Für alle drei Tatbestandsvarianten gilt: Angehörige einer ausländischen Streitmacht erhalten nach dem systematischen Zusammenhang, in dem § 5 BVG steht, nur dann Leistungen wegen der Schädigung durch unmittelbare Kriegseinwirkungen, wenn sie diese im Kampf für das damalige Deutsche Reich erlitten haben. Geschah die Dienstleistung hingegen nicht im Rahmen der deutschen Wehrmacht bzw für das Deutsche Reich, sondern für die Kriegsziele eines anderen Staates, so entfällt bezüglich aller Schädigungstatbestände die Anwendung des BVG (vgl BSGE 45, 166, 169, 170 = SozR 3100 § 7 Nr 5, unter Aufgabe der Auffassung in BSGE 19, 197, 200 = SozR Nr 4 zu § 7 BVG und BSGE 21, 266 = SozR Nr 5 zu § 7 BVG). Selbst wenn also davon auszugehen wäre, die Verhaftung des Klägers als Mitglied der AK durch die Gestapo sei eine “Kampfhandlung”, eine militärische oder behördliche Maßnahme in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Kampfhandlung oder ihrer Vorbereitung oder eine Verschleppung gewesen, weil sie wesentlich mitbestimmend das Ziel verfolgt haben könnte, den Gegner – hier die polnische Heimatarmee – in ihrem Kampfpotential zu treffen, insbesondere ihn militärisch zu schwächen (vgl BSGE 12, 99 und 104 = SozR Nr 27 zu § 5 BVG), kann der Kläger als Angehöriger dieser ausländischen Armee aus einer hieraus folgenden Schädigung keinen Anspruch nach dem BVG herleiten.
(b) Unmittelbare Kriegseinwirkungen iS des § 5 Abs 1 BVG können zwar auch Zivilpersonen betreffen, die ungewollt und zufällig in solche Geschehnisse geraten sind. Selbst wenn der Kläger jedoch als Einwohner von Lodz, unter Außerachtlassung einer konkreten Betätigung für die AK (ggf als Zivilperson und/oder Mitglied der PPS), in Gestapohaft gelangt sein sollte, etwa im Rahmen einer Maßnahme gegen die Zivilbevölkerung, um diese einzuschüchtern, mit dem Ziel, die deutsche Vorherrschaft zu sichern, oder im Rahmen einer Vergeltungsaktion, so erhält er gleichwohl für dadurch verursachte gesundheitliche Schäden keine Versorgung nach dem BVG.
Soweit es § 5 Abs 1 Buchst a und b BVG betrifft, mangelt es an der erforderlichen Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals “Kampfhandlung”.
Die hier in Betracht kommenden Maßnahmen der Gestapo dienten zumindest überwiegend politischen Zwecken – wie etwa der Stabilisierung des Besatzungssystems und der Verfolgung der ideologischen Ziele des Nationalsozialismus. Anders als im sog Generalgouvernement erfolgte die Sicherung der deutschen Vorherrschaft im “Warthegau”, in dem die Stadt Lodz (damals “Litzmannstadt”) lag, durch eine rein deutsche Zivilverwaltung. 1942 war die nach dem Überfall auf Polen im September 1939 installierte militärische Verwaltung der besetzten und eingegliederten Gebiete (Ablösung am 25. Oktober 1939, vgl Bömelburg in Chiari, aaO, S 61) einer zivilen Verwaltung durch “führerunmittelbare Parteiinstanzen” und SS-Verbände (vgl Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im 2. Weltkrieg, Stuttgart 1989, S 163) gewichen (vgl zur Befugnis des Revisionsgerichts, historische Tatsachen selbst festzustellen, BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7). Zwar konkurrierte die Wehrmacht in den eingegliederten Gebieten weiterhin mit Zivilverwaltung, SS und Parteiapparat, spielte im Zivilleben jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Erst mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 wuchsen ihre Kompetenzen insofern, als das polnische Territorium Aufmarsch- und Nachschubgebiet wurde; sie gewann wieder an militärischer Bedeutung, allerdings zunächst noch nicht durch kriegerische Einwirkungen in Polen, sondern zur Sicherung des militärischen Vorgehens gegen die Sowjetunion. Eines der wichtigen Vollzugsinstrumente dieses Herrschaftsanspruchs war das so genannte “Polenstrafrecht” (vgl hierzu die Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. Dezember 1941, RGBl 1941, 759 ff; s auch in Hirsch/Majer/Meinck (Hrsg), Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus, Köln 1984, S 496 ff; Bömelburg, Die deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939 bis 1945, in Chiari, aaO, S 64). Es sah ua Bestrafungen aus nichtigen, nach heutigen rechtsstaatlichen Maßstäben nicht strafwürdigen Anlässen vor. Für die Gerichte bestand die Möglichkeit, von Strafen abzusehen und “statt dessen Überweisungen an die Gestapo” auszusprechen (vgl hierzu BVerfGE 6, 132, 186). Ob die Verhaftung des Klägers auf Grund einer dieser Regelungen erfolgte, ist zwar nicht festgestellt, kann jedoch hier auch offen bleiben. Allenfalls dann, wenn solche “zivilen” Maßnahmen in Frontnähe ergriffen wurden, weil die betroffene Zivilperson als potentieller Helfer der Kriegsführung des Gegners angesehen wurde und insoweit dem deutschen militärischen Vorgehen hinderlich war, können sie in den Zusammenhang mit einer Kampfhandlung gestellt werden.
Nach den vom Kläger nicht angegriffenen Feststellungen des LSG und den allgemeinen Erkenntnissen des Senats hatte sich weder der Frontverlauf nach der 1939 erfolgten vollständigen Besetzung des “Warthegaus” durch deutsche Truppen bis Frühjahr 1942 verändert, noch gab es in Lodz zum Zeitpunkt der Verhaftung des Klägers Kampfhandlungen. Im April 1942 waren in Lodz, wie im gesamten “Warthegau”, noch keine neuen militärischen Kämpfe entflammt. Im “Warthegau”, wie insgesamt in den eingegliederten Gebieten, war auch eine konspirative Tätigkeit der AK nahezu unmöglich. Restriktive polizeiliche Maßnahmen, wie zB eine Begrenzung der Bewegungsfreiheit, aber auch Deportationen von Polen ins Deutsche Reich und Generalgouvernement sowie Umsiedlungen von Reichs- und Volksdeutschen, die zu deren zahlenmäßiger Überlegenheit führten, erschwerten die Widerstandstätigkeit erheblich (vgl Mazur, Der “Bund für den bewaffneten Kampf – Heimatarmee” und seine Gliederung, in Chiari, aaO, S 112 ff, speziell zu den Verhältnissen im Bezirk Lodz, S 134 f). Anders als im Generalgouvernement während des Warschauer Aufstandes zwischen August und Oktober 1944 sind aus dem “Warthegau” keine kämpferischen Auseinandersetzungen, zumindest um den Zeitpunkt der Verhaftung des Klägers, bekannt.
Das Begehren des Klägers findet auch in § 5 Abs 1 Buchst d BVG letzter Satzteil keine Anspruchsgrundlage. Dort wird ein schädigender Vorgang vorausgesetzt, der infolge einer mit der zwangsweisen Verschleppung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten ist. Es mangelt insoweit an einer kriegseigentümlichen Gefahr.
Unter Verschleppung ist nach gefestigter Rechtsprechung des BSG die zwangsweise rechtswidrige Verbringung eines Menschen an einen anderen Ort oder die Behinderung seiner Rückkehr zu verstehen. Ein grenzüberschreitendes Moment ist nicht erforderlich (vgl BSGE 58, 38 = SozR 3100 § 5 Nr 7). Eine Verbringung in eine andere Stadt oder Gemeinde ist hier nach den vom Kläger nicht angegriffenen Feststellungen des LSG nicht erfolgt. Der Kläger lebte vor seiner Verhaftung in Lodz, wurde dort inhaftiert und auch wieder entlassen. Ein Ortswechsel in diesem Sinne hat nicht stattgefunden. Der Senat bezweifelt, ob bei der Verbringung an einen anderen Ort innerhalb derselben Stadt eine Verschleppung iS des § 5 Abs 1 Buchst d BVG angenommen werden kann. Es erscheint insoweit zumindest eine gewisse räumliche Distanz zwischen dem Ort der Festnahme und dem Ort der Verbringung erforderlich (vgl BSGE aaO). Diese Frage braucht der Senat hier nicht abschließend zu klären.
Selbst wenn die Festnahme und Verbringung des Klägers in das Gestapogefängnis in Lodz im vorliegenden Fall als Verschleppung zu werten sein sollten, verwirklichte sich mit diesen Maßnahmen keine kriegseigentümliche Gefahr iS des § 5 Abs 1 Buchst d BVG. Danach muss die Schädigung durch eine mit der Verschleppung zusammenhängende Gefahr eingetreten sein. Damit wird der zu berücksichtigende Gefahrenkreis eingeschränkt (vgl BSG, Urteil vom 26. Juni 1957 – 8 RV 31/56 – Umdruck S 4; s auch BSGE 2, 99, 103). Es muss sich um einen Gefahrenkreis handeln, der nicht nur in kriegseigentümlicher Weise entstanden, sondern auch nach der Entstehung fortwirkend kriegseigentümlich geblieben ist (vgl BSG, Urteil vom 26. Juni 1957 – 8 RV 31/56 – Umdruck S 5). Zwar verlangt der Wortlaut des § 5 Abs 1 Buchst d BVG für sich allein genommen – im Gegensatz zu § 5 Abs 1 Buchst a bis c BVG – keinen Bezug des schädigenden Aktes zu Kampfhandlungen und damit zusammenhängenden militärischen oder behördlichen Maßnahmen oder kriegerischen Vorgängen. Gleichwohl kann selbst bei extensiver Auslegung der Vorschrift nicht von dem Erfordernis abgesehen werden, dass die entsprechende Maßnahme zumindest in engem Zusammenhang mit dem Krieg stehen muss. Anderenfalls würde der Gesamtzusammenhang, in dem die Vorschrift steht, und der sich in den Worten: ”… als unmittelbare Kriegseinwirkungen gelten ” im ersten Halbsatz des § 5 Abs 1 BVG widerspiegelt, völlig außer Acht gelassen (vgl hierzu BSGE 58, 38 = SozR 3100 § 5 Nr 7). Hieraus hat der Senat unter Bezug auf seine bisherige Rechtsprechung, nach der der Begriff der unmittelbaren Kriegseinwirkung eng auszulegen ist (BSGE 4, 193, 196; 21, 266, 269 = SozR Nr 5 zu § 7 BVG), die Schlussfolgerung gezogen: Strafverfolgungsmaßnahmen wegen krimineller Taten haben im Rahmen des § 5 Abs 1 Buchst d BVG ebenso wie politische und rassische Verfolgungen außer Betracht zu bleiben (BSGE 58, 38 = SozR 3100 § 5 Nr 7).
Unter Berücksichtigung dessen kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass die vom Kläger behaupteten Folterungen während der von April 1942 bis Mai 1943 erfolgten Haft im Polizeigefängnis von Lodz vom BVG erfasst werden. Es fehlt an einem hinreichenden Zusammenhang mit dem Krieg. Die Verhaftung – soweit sie der Zivilperson oder dem Mitglied der PPS galt – ist vielmehr als eine politische Verfolgungsmaßnahme zu werten. Unzweifelhaft war Polen 1942/1943 ein unrechtmäßig besetztes Land, auch ist die Eingliederung des “Warthegaus” in das Deutsche Reich eine völkerrechtswidrige kriegerische Maßnahme gewesen. Unabhängig davon war der “Warthegau” 1942 zivil verwaltet. Bestimmend für das Handeln von Polizei und SS waren zum Zeitpunkt der Verhaftung des Klägers politische Vorstellungen, die durch das nationalsozialistische Weltbild geprägt wurden. Es sollten “rassisch fremde Elemente (insbesondere in Polen) auf einem niedrigen Lebensstandart gehalten werden und unter sonderrechtlichem Status dem deutschen Herrenvolk als Arbeitssklaven dienen” (zitiert nach Rebentisch, aaO, S 164 unter Hinweis auf Hitlers Programmatische Entwürfe, 1928, und Denkschriften aus den Jahren 1939 und 1940). In diesen Zusammenhang sind auch die bereits erwähnten besonderen strafrechtlichen Vorschriften zu stellen. Diese Unterdrückungsmaßnahmen dienten (anders als in dem der Entscheidung des Senats in BSGE 58, 38 zu Grunde liegenden Sachverhalt) nicht in erster Linie der Kriegsführung, sondern der Umsetzung der politischen Anschauung der Nationalsozialisten. Insoweit ist es nicht zu beanstanden, wenn das LSG die Verhaftung des Klägers und auch seine Behandlung während der Haft als politisch motiviert angesehen und das Vorliegen des Tatbestandes der Verschleppung iS des § 5 Abs 1 Buchst d BVG verneint hat. Der Senat verkennt insoweit nicht, dass Folterungen von Gefangenen Unrecht sind, hier begangenen durch Nationalsozialisten. Eine Entschädigung hat insoweit jedoch nicht nach dem BVG, sondern ggf auf Grund der Wiedergutmachungsgesetze zu erfolgen.
Sollte der Vortrag des Klägers dahingehend zu verstehen sein, er rüge ferner eine Schädigung durch die “Besatzungsmacht Deutschland”, mangelt es ebenfalls an der Verwirklichung eines Tatbestandes iS des § 5 BVG; es liegt keine unmittelbare Kriegseinwirkung nach dem BVG vor. Soweit es Besatzungsmaßnahmen anbelangt, unterfallen dem § 5 Abs 1 Buchst d BVG nur schädigende Vorgänge, die infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebietes verbundenen besonderen Gefahr entstanden sind. Es kann sich somit – bezogen auf den Zweiten Weltkrieg – bereits vom Wortlaut her nicht um Vorgänge handeln, die mit der deutschen Besetzung Polens zusammenhängen (vgl dazu BSGE 12, 99, 103 = SozR Nr 27 zu § 5 BVG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1383941 |
SGb 2006, 164 |