Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensfehler. nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts. Ermessensfehler: unzulässige Entscheidung des konsentierten Einzelrichters gem § 155 Abs 3 und 4 SGG. Begründung der abweisenden Entscheidung des Einzelrichters: alleiniges Abstellen auf den Beweggrund der Versicherten für den Aufenthalt am sog dritten Ort. besondere rechtliche Schwierigkeit der Rechtsfrage: Divergenz gem § 160 Abs 2 Nr 2 SGG. grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage gem § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. dritter Ort. bisherige BSG-Rechtsprechung: Unerheblichkeit der Aufenthaltsgründe an einem sog dritten Ort. offengelassene Voraussetzung: Angemessenheit des Verhältnisses der Länge des Weges vom dritten Ort zur Länge des üblichen Weges
Orientierungssatz
1. Eine Entscheidung gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG ist auch dann unzulässig, wenn über eine Rechtssache zu befinden ist, die objektiv betrachtet besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist, weil eine Entscheidung in Abweichung von einer Entscheidung eines der in § 160 Abs 2 Nr 2 SGG genannten Gerichte getroffen wird (Divergenz) oder weil sie nach den zu § 160 Abs 2 Nr 1 SGG entwickelten Kriterien eine bislang höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte, entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufwirft und deshalb grundsätzliche Bedeutung hat.
2. Nach der Rechtsprechung des 2. Senats des BSG (vgl BSG vom 5.7.2016 - B 2 U 16/14 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 58) kann der von einem dritten Ort angetretene Weg zur Arbeitsstätte gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII versichert sein, ohne dass es darauf ankomme, aus welchen Gründen sich der Versicherte an jenem Ort aufhalte. Offengelassen wurde dabei die Frage, ob die Länge des Weges von dem dritten Ort in einem angemessenen Verhältnis zur Länge des üblichen Arbeitsweges stehen müsse, weil maßgebend die zeitliche Dauer der Unterbrechung war.
3. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen nach einem Aufenthalt eines Beschäftigten an einem dritten Ort das Zurücklegen des Weges von dort zur Arbeitsstätte unter Versicherungsschutz gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII steht, wenn diese Wegstrecke länger als der übliche Arbeitsweg ist, ist deshalb noch nicht hinreichend durch die Rechtsprechung des Senats geklärt worden.
Normenkette
SGB VII § 8 Abs. 2 Nr. 1; SGG § 33 Abs. 1 S. 1, § 155 Abs. 3-4, § 160 Abs 2 Nr. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 2, § 170 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. August 2017 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII versicherten Wegeunfall erlitten hat.
Die in H. beschäftigte Klägerin begab sich am 26.4.2012 zur Wohnung ihres ehemaligen Lebensgefährten in E., um dort persönliche Gegenstände sowie Sommerreifen abzuholen. Am Morgen des folgenden Tages fuhr sie mit ihrem Pkw von dieser Wohnung zu ihrer Arbeitsstätte in H. Auf der Fahrt von E. nach H. erlitt sie einen Unfall und zog sich Verletzungen zu.
Der Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen ab, weil die Klägerin sich nicht auf einem versicherten Weg befunden habe. Der Weg zur Arbeitsstätte von einem anderen Ort als dem üblichen Aufenthaltsort, einem sog dritten Ort, könne nur dann als versicherter Weg anerkannt werden, wenn dieser Weg - anders als hier - in einem angemessenen Verhältnis zum unmittelbaren Arbeitsweg stehe. Die Wegstrecke von E zu der Arbeitsstätte der Klägerin betrage 123 km und sei damit viermal länger als die direkte Wegstrecke von der Wohnung der Klägerin zur Arbeitsstätte, die nur 28,4 km betrage. Zusätzlich sei das Motiv für den Aufenthalt am dritten Ort zu berücksichtigen, wobei der Aufenthalt am dritten Ort hier vorrangig von eigenwirtschaftlichen Gründen geprägt gewesen sei (Bescheid vom 11.6.2012 und Widerspruchsbescheid vom 17.9.2012).
Das SG hat den Bescheid des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin am 27.4.2012 einen versicherten Arbeitsunfall erlitten hat (Urteil vom 19.1.2015, berichtigt durch Beschluss vom 7.2.2018). Die Klägerin habe den Unfall bei dem Zurücklegen eines versicherten Weges erlitten. Der Weg sei von dem Vorhaben geprägt gewesen, zur Arbeit zu gelangen. Es komme nicht nur auf die Länge der Wegstrecke, sondern auf alle Umstände des Einzelfalls an. Es sei nachvollziehbar, dass die Klägerin die Rückfahrt von E. nach Hause am späten Abend aus Sicherheitsgründen nicht mehr angetreten habe.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt. Im Einverständnis mit den Beteiligten hat anstelle des Senats der Berichterstatter (BE) des LSG als Einzelrichter gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG durch Urteil entschieden. Er hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 28.8.2017). Zur Begründung hat er ua ausgeführt, nach der Rechtsprechung des BSG sei zu berücksichtigen, dass ein nicht von der eigenen Wohnung angetretener Weg zu dem Ort der versicherten Tätigkeit nach Sinn und Zweck des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII grundsätzlich unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblichen Weg stehen müsse. Es sei nicht davon auszugehen, dass der vom dritten Ort aus angetretene Weg unverhältnismäßig lang und deshalb die Fahrt nicht mehr wesentlich durch die betriebliche Tätigkeit der Klägerin geprägt gewesen sei. Zwischen der beruflichen Tätigkeit der Klägerin und dem Aufenthalt am dritten Ort habe aber kein innerer Zusammenhang bestanden, weil die Klägerin am Unfalltag lediglich einen Besuch bei ihrem ehemaligen Lebensgefährten abgeschlossen habe, der aus rein eigenwirtschaftlichen Gründen erfolgt sei. Dass die Klägerin ohne den Reifenwechsel irgendwelchen Wegegefahren ausgesetzt gewesen wäre, sei weder vorgetragen noch ersichtlich.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der Senat durch Beschluss vom 20.3.2018 die Revision zugelassen. Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII. Nach der Rechtsprechung des BSG sei es unerheblich, aus welchen Gründen sich der Versicherte an dem sog dritten Ort aufhalte. Erst wenn der Weg von diesem Ort im Verhältnis zum üblichen Weg unverhältnismäßig lang sei, sei nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden, ob der Weg noch davon geprägt sei, zur Arbeitstätte zu gelangen. Erst dann werde maßgeblich, ob der Versicherte am dritten Ort betriebsdienliche oder eigenwirtschaftliche Tätigkeiten verrichtet habe. In Abweichung von dieser Rechtsprechung des BSG habe das LSG ausschließlich auf den Zweck des Aufenthaltes am dritten Ort abgestellt.
|
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß, |
|
das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28. August 2017 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Hannover vom 19. Januar 2015 zurückzuweisen, |
|
hilfsweise, |
|
das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28. August 2017 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. |
|
Der Beklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen, |
|
die Revision gegen das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28. August 2017 zurückzuweisen. |
Er hält die Entscheidung des LSG verfahrensrechtlich und materiell-rechtlich für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist gemäß § 170 Abs 2 S 2 SGG im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet. An einer den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung in der Sache ist der Senat gehindert, denn das Verfahren vor dem LSG leidet an einem Mangel, der zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zwingt. Das Berufungsgericht war bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn über die Berufung hat der BE zwar im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 155 Abs 3 iVm Abs 4 SGG, aber dennoch ermessensfehlerhaft anstelle des gesamten Berufungssenats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) entschieden, obwohl objektiv die Entscheidung von einem Urteil des BSG abweicht (Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und die Rechtssache auch objektiv grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat (vgl BSG vom 6.9.2018 - B 2 U 3/17 R - Juris). Damit ist den Beteiligten ihr gesetzlicher Richter (Art 101 Abs 1 GG) entzogen worden (absoluter Revisionsgrund nach § 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), was grundsätzlich zur Zurückverweisung an den eigentlich zuständigen Spruchkörper führt (BSG vom 25.6.2009 - B 3 KR 2/08 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 9).
Der BE hat ermessensfehlerhaft gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG anstelle des Senats des LSG durch Urteil über die Berufung des Beklagten entschieden, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. Zwar hatten die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu gemäß § 155 Abs 3 iVm Abs 4 SGG erteilt. Die Entscheidung des LSG weicht jedoch objektiv von einer Entscheidung des BSG ab (Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und die Rechtssache hat zudem objektiv grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), sodass grundsätzlich allein der Senat am LSG zur Entscheidung berufen war (hierzu unter 1.). Die Voraussetzungen, unter denen das BSG ausnahmsweise trotz Vorliegens einer Divergenz bzw der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache einen Ermessensfehler verneint hat, lagen nicht vor (hierzu unter 2.). Der auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachtende Verfahrensfehler (hierzu unter 3.) führt zur Zurückverweisung an das LSG (hierzu unter 4.).
1. Der BE am LSG durfte nicht alleine über die Streitsache entscheiden, weil objektiv eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG vorliegt und die Rechtssache grundsätzlich bedeutsam iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist. Nach § 33 Abs 1 S 1 SGG (idF des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011, BGBl I 2302) hat ein Senat des LSG, wenn er durch Urteil entscheidet (§ 33 Abs 1 S 2 iVm § 12 Abs 1 S 2 SGG), grundsätzlich in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig zu werden. Abweichend hiervon kann gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG der Vorsitzende oder - sofern bestellt - der BE im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats entscheiden (sog "konsentierter Einzelrichter").
a) Voraussetzung für eine Entscheidung gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG durch den Vorsitzenden oder BE anstelle des Senats ist zum einen das Einverständnis der Beteiligten, das hier gegeben war. Darüber hinaus setzt die Entscheidung durch den Vorsitzenden oder BE anstelle des Senats bei verfassungskonformer Auslegung dieser Regelungen zur Entscheidungskompetenz mit Rücksicht auf die Garantie des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 S 2 GG) aber auch voraus, dass der Vorsitzende oder BE im Rahmen des ihm eröffneten Ermessens pflichtgemäß darüber befindet, ob er von der besonderen Verfahrensweise einer Entscheidung nur durch einen Berufsrichter Gebrauch macht oder ob es aus sachlichen Gründen bei einer Entscheidung durch den gesamten Senat und/oder zumindest unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter verbleiben muss (vgl BSG vom 6.9.2018 - B 2 U 3/17 R - Juris RdNr 15 ff; vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - SGb 2014, 557; vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 20 ff - mwN; vgl auch BSG vom 23.8.2007 - B 4 RS 2/06 R - SozR 4-1500 § 155 Nr 1; vom 25.6.2009 - B 3 KR 2/08 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 11; vom 18.5.2010 - B 7 AL 43/08 R - Juris RdNr 11; BSG ≪GrS≫ vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4). Die hiernach gebotene Ermessensausübung hat sich am Zweck der Regelungen in § 155 Abs 3 und 4 SGG zu orientieren, die zu einer Straffung des Verfahrens und einer Entlastung des LSG beitragen sollen. Allerdings darf der Anspruch der Beteiligten auf einen angemessenen Rechtsschutz nicht vernachlässigt werden, sodass jeweils zu berücksichtigen ist, dass die Sozialgerichte grundsätzlich als Kollegialgerichte ausgestaltet sind und den Entscheidungen eines Kollegiums eine höhere Richtigkeitsgewähr beigemessen wird. Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, dass insbesondere der Teilnahme der ehrenamtlichen Richter an Entscheidungen der Sozialgerichtsbarkeit ein hoher Stellenwert beizumessen ist (vgl hierzu Masuch/Spellbrink in Denkschrift 60 Jahre BSG, 2014, 437, 452 ff mwN). Deshalb sollen nur solche Verfahren von einem Einzelrichter entschieden werden, die keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen. Dies stellt im Übrigen auch § 153 Abs 5 SGG durch seinen Verweis auf § 105 Abs 2 S 1 SGG ausdrücklich klar. Folglich ist im Fall einer Divergenz (iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder bei Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung (iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) eine Entscheidung durch den Vorsitzenden oder BE regelmäßig ausgeschlossen (vgl BSG vom 6.9.2018 - B 2 U 3/17 R - Juris RdNr 15; vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - SGb 2014, 557, Juris RdNr 14 ff mwN; vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 20 ff - mwN; vgl auch BSG SozR 4-1500 § 155 Nr 1 RdNr 46; BSG ≪GrS≫ BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 7; vgl aber auch BSG vom 29.6.2015 - B 9 V 45/14 B - Juris RdNr 9).
Eine Entscheidung durch den konsentierten Einzelrichter ist dabei nicht nur für den Fall ausgeschlossen, dass dieser selbst von einer Divergenz ausgeht oder einer zu entscheidenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beimisst. Eine Entscheidung gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG ist auch dann unzulässig, wenn über eine Rechtssache zu befinden ist, die objektiv betrachtet besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist, weil eine Entscheidung in Abweichung von einer Entscheidung eines der in § 160 Abs 2 Nr 2 SGG genannten Gerichte getroffen wird (Divergenz) oder weil sie nach den zu § 160 Abs 2 Nr 1 SGG entwickelten Kriterien eine bislang höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte, entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufwirft und deshalb grundsätzliche Bedeutung hat (vgl BSG vom 6.9.2018 - B 2 U 3/17 R - Juris RdNr 15; vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - SGb 2014, 557, Juris RdNr 14 ff mwN; vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 22).
b) Vorliegend weicht die durch den BE des LSG getroffene Entscheidung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ab, weil sie für die Frage des Versicherungsschutzes auf dem Weg von einem dritten Ort zur Arbeitsstätte allein auf den Grund des dortigen Aufenthaltes abstellt, ohne dass es auf die Frage der Unangemessenheit der Länge der zusätzlichen Wegstrecke ankommen soll. Der Senat hat zuletzt in seinem Urteil vom 5.7.2016 (B 2 U 16/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 58 RdNr 23) entschieden, dass der von einem dritten Ort angetretene Weg zur Arbeitsstätte gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII versichert sein könne, ohne dass es darauf ankomme, aus welchen Gründen sich der Versicherte an jenem Ort aufhalte. Offengelassen hat er dort, ob die Länge des Weges von dem dritten Ort in einem angemessenen Verhältnis zur Länge des üblichen Arbeitsweges stehen müsse, weil maßgebend die zeitliche Dauer der Unterbrechung war (Urteil vom 5.7.2016 - B 2 U 16/14 R - aaO RdNr 24). In seinem Urteil vom 2.5.2001 (B 2 U 33/00 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 6 - Juris RdNr 21) hatte der Senat allerdings ausgeführt, dass Versicherungsschutz während des Zurücklegens des Weges vom dritten Ort zum Ort der Tätigkeit auch nach einer rein eigenwirtschaftlichen Verrichtung bestehe, wenn die Länge des Weges in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblicherweise zur Arbeitsstätte zurückgelegten Weg stehe. Sei der Weg vom dritten Ort aus dagegen unverhältnismäßig, dh unangemessen länger als von der Wohnung zum Ort der Tätigkeit, werde die erheblich längere Wegstrecke grundsätzlich nicht mehr durch die betriebliche Tätigkeit geprägt, sodass kein Versicherungsschutz bestehe. Der BE des LSG hat die Auffassung des Beklagten, die Wegstrecke von E. zu der Arbeitsstätte sei unverhältnismäßig länger als die übliche Wegstrecke von der Wohnung zum Ort der Tätigkeit, nicht geteilt. Er hat dann aber in Abweichung von der zitierten Rechtsprechung des Senats allein auf den Grund des Aufenthaltes der Klägerin in E. abgestellt und deshalb den Versicherungsschutz verneint.
c) Darüber hinaus hat die Rechtssache auch grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Zwar hat der BE der Rechtssache diese Bedeutung nicht beigemessen, objektiv stellen sich jedoch im Berufungsverfahren Rechtsfragen, die klärungsbedürftig und entscheidungserheblich sind. Durch die Rechtsprechung des Senats ist nicht hinreichend geklärt, unter welchen Voraussetzungen nach einem Aufenthalt eines Beschäftigten an einem dritten Ort das Zurücklegen des Weges von dort zur Arbeitsstätte unter Versicherungsschutz gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII steht, wenn diese Wegstrecke länger als der übliche Arbeitsweg ist. Zwar hat der Senat hierzu in seinem Urteil vom 2.5.2001 (B 2 U 33/00 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 6 - Juris RdNr 2) Ausführungen gemacht. Aus ihnen ergibt sich jedoch nicht eindeutig, wann eine Wegstrecke unangemessen lang ist und deshalb den Versicherungsschutz ausschließt (vgl auch BSG vom 5.7.2016 - B 2 U 16/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 58 RdNr 24). Dementsprechend hat das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 13.12.2017 (L 10 U 448/17 - Juris) die Revision zum BSG zugelassen, weil die Rechtsfrage höchstrichterlich nicht geklärt sei, ob ein Beschäftigter beim Zurücklegen des Weges nach dem Ort der Tätigkeit, den er von der Wohnung seiner Lebensgefährtin aus antritt, unter Versicherungsschutz nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII steht, obwohl er in einer anderen Wohnung gemeldet ist, die geografisch deutlich näher am Ort der Tätigkeit liegt (Revision anhängig beim BSG unter dem Az B 2 U 2/18 R).
2. Es lag hier auch keine Fallkonstellation vor, bei der nach der Rechtsprechung des BSG der BE am LSG trotz Divergenz bzw grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ermessensfehlerfrei anstelle des Senats des LSG entscheiden konnte. Nach der Rechtsprechung des BSG kann trotz grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder Divergenz ausnahmsweise eine Entscheidung durch den Einzelrichter anstelle des Senats des LSG in drei Fallgruppen in Betracht kommen (vgl BSG vom 6.9.2018 - B 2 U 3/17 R - Juris RdNr 20). Dies ist zum einen der Fall, wenn ein Verfahren deshalb keine rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, weil einer ständigen Rechtsprechung - auch des eigenen Senats - gefolgt wird (vgl zB BSG vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 22). Weiterhin kommt eine Entscheidung ausschließlich durch den BE gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG dann in Betracht, wenn die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung gerade auch für den Fall der Zulassung der Revision erklärt haben (vgl zB BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - SGb 2014, 557, Juris RdNr 15 mwN; vom 3.12.2009 - B 11 AL 38/08 R - SozR 4-4300 § 53 Nr 4 RdNr 14; BSG ≪GrS≫ BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 7; BSG SozR 4-1500 § 105 Nr 1 RdNr 15 ff). Schließlich ist in einer dritten Konstellation die Zulässigkeit des konsentierten Einzelrichters denkbar, wenn sich das Urteil auf eine bereits vorhandene, verfahrensfehlerfrei in vollständiger Senatsbesetzung getroffene Leitentscheidung des LSG oder auf bereits beim BSG anhängige Parallelfälle bezieht (vgl zB BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - SGb 2014, 557, Juris RdNr 15 mwN; vom 2.5.2012 - B 11 AL 18/11 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 24 RdNr 14 f mwN; vom 18.5.2010 - B 7 AL 43/08 R - Juris RdNr 11; vom 25.6.2009 - B 3 KR 2/08 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 11). Keiner dieser aufgezeigten Ausnahmefälle liegt vor. Der BE am LSG folgte keiner gefestigten Rechtsprechung. Die Einverständniserklärung der Beteiligten vor dem LSG beinhaltete keinen Bezug auf eine mögliche Zulassung der Revision. Auch bezog sich das Urteil nicht auf beim BSG bereits anhängige Parallelfälle. Schließlich ist auch der BE am LSG in seinem Urteil nicht von dem Vorliegen eines solchen Ausnahmetatbestands ausgegangen.
3. Auch ohne Rüge der Beteiligten ist ein Verstoß gegen § 155 Abs 3 iVm Abs 4 SGG von Amts wegen zu beachten. Der den Anspruch der Beteiligten auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 GG) verletzende Verfahrensmangel ist im Revisionsverfahren nach § 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl BSG vom 6.9.2018 - B 2 U 3/17 R - Juris RdNr 21; vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - SGb 2014, 557, Juris RdNr 18 mwN; vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 11, 13). Es muss daher hier nicht weiter geprüft werden, ob die Klägerin diesen Verfahrensfehler ordnungsgemäß gerügt hat.
4. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich. Grundsätzlich führt ein zur fehlerhaften Besetzung des Gerichts führender Verstoß gegen § 155 Abs 3 iVm Abs 4 SGG, durch den den Beteiligten der gesetzliche Richter (Art 101 Abs 1 GG) entzogen wird (absoluter Revisionsgrund nach § 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), zur Zurückverweisung an den eigentlich zuständigen Spruchkörper (vgl BSG vom 6.9.2018 - B 2 U 3/17 R - Juris RdNr 22; vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 24; vom 25.6.2009 - B 3 KR 2/08 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 9). Eine abschließende Entscheidung des Revisionsgerichts soll allerdings auch bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrunds in Betracht kommen, wenn auf der Grundlage eines in tatsächlicher Hinsicht geklärten und nicht umstrittenen Sachverhalts in rechtlicher Hinsicht nur in einer ganz bestimmten Weise entschieden werden kann, weil unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine andere Entscheidung denkbar ist (vgl § 170 Abs 1 S 2 SGG; vgl BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - SGb 2014, 557 mwN; vom 25.6.2009 - B 3 KR 2/08 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 11). Dies gilt zB dann, wenn die auch durch das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfenden und festzustellenden Sachurteilsvoraussetzungen nicht gegeben sind, sodass die Klage in jedem Falle abgewiesen werden müsste (vgl BSG vom 6.9.2018 - B 2 U 3/17 R - Juris RdNr 22).
Dagegen kann sich eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts nicht auf die von dem Einzelrichter des LSG verfahrensfehlerhaft festgestellten Tatsachen stützen, die - unabhängig davon, ob die Tatsachen unstreitig sind oder von den Beteiligten bestritten werden - jedenfalls verfahrensfehlerhaft wegen eines von Amts wegen zu beachtenden Verstoßes gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter festgestellt wurden. Damit würde der Grundrechtsverstoß durch den konsentierten Einzelrichter ggf noch intensiviert und verfahrensentscheidend fortwirken, wenn die von ihm verfahrensfehlerhaft festgestellten Tatsachen einer Sachentscheidung zugrunde gelegt würden (vgl BSG vom 6.9.2018 - B 2 U 3/17 R - Juris RdNr 23; vom 23.8.2007 - B 4 RS 2/06 R - SozR 4-1500 § 155 Nr 1 RdNr 11, 37). Diese Frage kann hier aber dahinstehen, weil der Senat auch auf Grundlage der insoweit durch den BE festgestellten Tatsachen zu keiner abschließenden und alternativlosen, dh inhaltlich nicht anders treffbaren Entscheidung gelangen kann. So fehlen Feststellungen zur Länge der Wegstrecken vom Aufenthaltsort der Klägerin in E. zu ihrer Arbeitsstätte sowie von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte, auf die es für die Entscheidung des Rechtsstreits gerade ankommt. Der BE des LSG hat diese Feststellungen nicht getroffen, sondern in seinem Urteil lediglich die entsprechenden Annahmen des Beklagten hierzu wiedergegeben, ohne sich diese als berufungsgerichtliche Feststellungen zu eigen zu machen.
|
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Fundstellen
NJW 2019, 1704 |
NZS 2019, 478 |