Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung. mitarbeitender Gesellschafter einer GmbH ohne Geschäftsführerbestellung. Anstellungsvertrag. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Orientierungssatz
Ein GmbH-Gesellschafter, der in der Gesellschaft angestellt und nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, ist regelmäßig abhängig beschäftigt.
Normenkette
SGB III § 25 Abs. 1 S. 1, § 342; SGB IV § 7 Abs. 1 S. 2, § 28e Abs. 1, § 28p Abs. 1 Sätze 1, 5; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1, § 162 Nr. 1; SGB XI § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 57 Abs. 1 S. 1; GmbHG § 45 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 54 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 2018 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für jeden Rechtszug auf 57 908,40 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Nachforderung von Sozialversicherungs- und Umlagebeiträgen in Höhe von (iHv) 57 908,40 Euro für die Tätigkeit des zu 1. beigeladenen Gesellschafters als kaufmännischer Angestellter der klagenden GmbH (im Folgenden: Beigeladener) in der Zeit vom 1.1.2013 bis zum 31.12.2015 sowie dessen Sozialversicherungspflicht aufgrund Beschäftigung bis zum 20.11.2016.
Der Beigeladene ist zur Hälfte am Stammkapital der Klägerin beteiligt. Ihm hatte der weitere und zum alleinigen Geschäftsführer bestellte Gesellschafter eine "Generalhandlungsvollmacht" in Bezug auf "branchenübliche Geschäfte" erteilt. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bedürfen der einfachen Mehrheit, bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt. Der Gesellschaftsvertrag vom 21.3.2012 (GV) sieht außerdem vor, dass die Geschäftsführung für über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehende Geschäfte der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedarf und insoweit eine Geschäftsordnung beschlossen werden kann (§ 6 Abs 3 und 4 GV). Die nicht notariell beurkundete Geschäftsordnung vom 21.12.2012 (GO) ordnet die vorherige Zustimmung der Gesellschafterversammlung zu allen Maßnahmen an, die in ungewöhnlichem Ausmaß in den Vermögensstand, die Organisation oder den Charakter der GmbH eingreifen; sie legt ua den Abschluss, die Änderung und die Beendigung von Anstellungsverträgen mit Gesellschaftern sowie die Wahrnehmung hieraus resultierender Rechte und Pflichten, insbesondere etwaiger Weisungsrechte aus Anstellungs- oder Dienstverträgen als Aufgabe der Gesellschafterversammlung und zustimmungsbedürftige Geschäftsführungsmaßnahmen fest (Abschn 1 Satz 1 und 3 Nr 5, Abschn 2 Satz 1 und 2 Nr 8 GO). Verstöße gegen die GO bilden nach dem ihr zugrunde liegenden Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 21.12.2012 einen wichtigen Grund, das Geschäftsführungsverhältnis außerordentlich zu beenden.
Der Beigeladene wurde zum 1.1.2013 durch "Anstellungsvertrag" als kaufmännischer Angestellter der Klägerin eingestellt und durch Beschluss vom 21.11.2016 zum (weiteren) Geschäftsführer bestellt. Nach einer Betriebsprüfung stellte die beklagte DRV Bund die Versicherungspflicht des Beigeladenen in der gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 1.1.2013 bis zum 20.11.2016 aufgrund Beschäftigung fest; zudem forderte sie von der Klägerin Beiträge und Umlagen iHv 57 908,40 Euro für den Prüfzeitraum 2012 bis 2015 nach (Betriebsprüfungsbescheid vom 15.12.2016, Widerspruchsbescheid vom 1.8.2017, Änderungsbescheid vom 5.12.2018).
Das SG Köln hat den Betriebsprüfungsbescheid aufgehoben (Urteil vom 7.6.2018). Das LSG Nordrhein-Westfalen hat diese Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen. Der Beigeladene sei gegen Arbeitsentgelt beschäftigt gewesen. Ein mitarbeitender Gesellschafter ohne Geschäftsführungsbefugnis unterliege grundsätzlich der Dienstaufsicht und dem Weisungsrecht des Geschäftsführers gegenüber Angestellten als Teil der laufenden Geschäftsführung. Nur eine im GV selbst unmittelbar angelegte Regelung sei in der Lage, eine die Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht zu gewährleisten. Der GV sehe aber eine generelle Zustimmung der Gesellschafter nicht vor. Auch nach der GO seien nur Geschäfte mit hinreichender Relevanz für die Gesellschaft zustimmungsbedürftig. Ihr lasse sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit ein Vorbehalt für jegliche Weisungen der Geschäftsführung entnehmen. Ebenso wenig vermittle die Generalhandlungsvollmacht eine sozialversicherungsrechtlich relevante Rechtsmachtverschiebung (Urteil vom 5.12.2018).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von §§ 2, 7, 7a, 28d und 28e SGB IV sowie der §§ 37 Abs 1, 38, 45 und 46 GmbHG. Das LSG habe entgegen den Vorschriften des GmbHG die GO zu Unrecht als unbeachtlich angesehen und teleologisch reduziert. Sie ändere nicht die Stimmverteilung, sondern beschränke die Geschäftsführungsbefugnis. Mit der Forderung, die Zustimmungspflicht müsse sich aus dem GV ergeben, werde unzulässig ein Formerfordernis begründet. Das LSG habe die Grenzen zulässiger Vertragsauslegung überschritten, wenn es annehme, dass nach der GO nur Angelegenheiten mit einer hinreichenden Relevanz für die Gesellschaft zustimmungspflichtig seien. Vielmehr sei mit der GO bezweckt worden, alle aus der Sicht der Gesellschafter maßgeblichen Geschäftsführerhandlungen einem Zustimmungserfordernis zu unterwerfen. Schließlich habe das LSG die Bedeutung der Generalhandlungsvollmacht verkannt.
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Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 2018 aufzuheben, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 7. Juni 2018 zurückzuweisen und den Änderungsbescheid vom 5. Dezember 2018 aufzuheben. |
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Betriebsprüfungsbescheid vom 15.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.8.2017 und in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG erlassenen Änderungsbescheids vom 5.12.2018 (vgl § 153 Abs 1, § 96 SGG; BSG Urteil vom 28.9.2011 - B 12 R 17/09 R - juris RdNr 13) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für die Feststellung der Versicherungspflicht und der Beitragsforderung ist § 28p Abs 1 Satz 1 und 5 SGB IV in der Fassung (idF) der Bekanntmachung vom 12.11.2009 (BGBl I 3710). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen, insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Sie erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. § 10 Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) stellt die Umlagen zum Ausgleichsverfahren insoweit den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gleich (BSG Urteil vom 10.12.2019 - B 12 R 9/18 R - BSGE 129, 247 = SozR 4-2500 § 223 Nr 3, RdNr 12). Ausgehend von den zu § 7 SGB IV geltenden Maßstäben (dazu 1.) unterlag der Beigeladene in seiner Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter der Klägerin aufgrund Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt der Versicherungspflicht in den hier streitigen Zweigen der Sozialversicherung (dazu 2.). Dem steht nicht die GO (dazu 3.) oder die Generalhandlungsvollmacht (dazu 4.) entgegen. Die Beklagte hat deshalb zu Recht die geforderten Beiträge festgesetzt (dazu 5.).
1. Im streitigen Zeitraum unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, der Versicherungspflicht in der GKV, gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V; § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI und § 20 Abs 1 Satz 1 und 2 Nr 1 SGB XI, jeweils idF des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung vom 24.4.2006, BGBl I 926, sowie § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III). Nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet (BSG Urteil vom 23.2.2021 - B 12 R 15/19 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 54 RdNr 13, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich sowohl für die Geschäftsführer einer GmbH (vgl zuletzt BSG Urteil vom 23.2.2021 - B 12 R 18/18 R - juris RdNr 14 f; BSG Urteil vom 8.7.2020 - B 12 R 2/19 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 52 RdNr 13 f) als auch für in einer GmbH angestellte Gesellschafter (BSG Urteil vom 12.5.2020 - B 12 KR 30/19 R - BSGE 130, 123 = SozR 4-2400 § 7 Nr 47, RdNr 30 ff mwN). Allerdings ist ein GmbH-Gesellschafter, der in der Gesellschaft angestellt und nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, regelmäßig abhängig beschäftigt. Er besitzt allein aufgrund seiner gesetzlichen Gesellschafterrechte nicht die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft aufzuheben. Das Weisungsrecht gegenüber den Angestellten der GmbH obliegt - sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist - nicht der Gesellschafterversammlung, sondern ist Teil der laufenden gewöhnlichen Geschäftsführung. Erst wenn Gesellschafter kraft ihrer gesellschaftsrechtlichen Position letztlich auch die Leitungsmacht gegenüber der Geschäftsführung haben, unterliegen sie nicht mehr deren Weisungsrecht (stRspr; BSG Urteil vom 12.5.2020 - B 12 KR 30/19 R - BSGE 130, 123 = SozR 4-2400 § 7 Nr 47, RdNr 32 mwN).
2. Nach diesen Maßstäben war der Beigeladene bei der Klägerin beschäftigt. Zum einen ist der seiner Tätigkeit zugrunde liegende "Anstellungsvertrag" durch typische Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses geprägt. Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war eine "Vollzeitbeschäftigung mit 40 Wochenstunden" und festgelegten Arbeitszeiten, ein festes Monatsgehalt und ein Jahresurlaub von 24 Tagen vereinbart. Darüber hinaus waren dem Beigeladenen Reisekosten zu erstatten. In Ausübung seiner Tätigkeit war er in die betriebliche Organisation der Klägerin eingegliedert. Ein wesentliches unternehmerisches Risiko, dem entsprechende unternehmerische Freiheiten gegenüberstanden, lag nicht vor. Er setzte angesichts des festen Monatsgehalts seine Arbeitskraft auch nicht mit der Gefahr des Verlusts ein.
Zum anderen versetzte die Stellung als Gesellschafter der klagenden GmbH den Beigeladenen nicht in die Lage, in seiner Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter Einzelanweisungen an sich im Bedarfsfall zu verhindern. Trotz seiner hälftigen Beteiligung am Stammkapital war er rechtlich an die Weisungen des bis zum 20.11.2016 allein bestellten Geschäftsführers gebunden. Allein dieser führte zunächst die laufenden Geschäfte der GmbH, zu denen auch die Ausübung des Weisungsrechts gegenüber den Beschäftigten der Gesellschaft gehörte. Der Gesellschaftsvertrag der klagenden GmbH sieht weder eine Einschränkung der Vertretungsbefugnis der Geschäftsführung (vgl § 37 GmbHG) noch ihres Weisungsrechts gegenüber Angestellten der Gesellschaft vor. Insbesondere ist der Gesellschafterversammlung im Gesellschaftsvertrag nicht das Weisungsrecht gegenüber dem Beigeladenen im Allgemeinen oder für bestimmte Einzelfälle vorbehalten (BSG Urteil vom 12.5.2020 - B 12 KR 30/19 R - BSGE 130, 123 = SozR 4-2400 § 7 Nr 47, RdNr 33 mwN). Er war damit weder in der Lage, diese Zuständigkeitsverteilung zu ändern, noch konnte er im Einzelfall eine Weisung des Geschäftsführers an sich verhindern. Wegen der für einen Beschluss der Gesellschafterversammlung notwendigen Mehrheit der Stimmen aller Gesellschafter konnte er keinen, eine Weisung abwendenden Beschluss der Gesellschafterversammlung herbeiführen. Bei gegensätzlicher Stimmabgabe führte sein Stimmrecht zur Stimmengleichheit und damit zur Ablehnung des Antrags (§ 7 Nr 6 GV). Allein die bloße Möglichkeit, einen Gesellschafterbeschluss zu verhindern, schließt die Dienstaufsicht der Geschäftsführung über die Angestellten nicht aus.
3. Auch die GO vom 21.12.2012 hat die rechtliche Weisungsgebundenheit des Beigeladenen nicht entfallen lassen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind Regelungen außerhalb des Gesellschaftsvertrags nicht geeignet, die gesellschaftsrechtlich verankerte Rechtsmacht in sozialversicherungsrechtlich relevanter Art zu verändern. Das gilt für Stimmbindungsvereinbarungen (BSG Urteil vom 7.8.2020 - B 12 R 17/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 49 RdNr 22) ebenso wie für im Geschäftsführervertrag vereinbarte Vetorechte (BSG Urteil vom 11.11.2015 - B 12 KR 10/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 28 RdNr 26), (notarielle) Treuhandvereinbarungen (BSG Urteil vom 10.12.2019 - B 12 KR 9/18 R - BSGE 129, 254 = SozR 4-2500 § 7 Nr 46, RdNr 17 ff; BSG Urteile vom 12.5.2020 - B 12 KR 30/19 R - BSGE 130, 123 = SozR 4-2400 § 7 Nr 47, RdNr 18 ff, - B 12 R 5/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 50 RdNr 16 ff und - B 12 R 11/19 R - juris RdNr 17 ff), die Ausübung von Beteiligungsrechten in Tochtergesellschaften (BSG Urteile vom 8.7.2020 - B 12 R 26/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 51 RdNr 16, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, - B 12 R 4/19 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 53 RdNr 19, - B 12 R 1/19 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 48 RdNr 23, - B 12 R 2/19 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 52 RdNr 20 und - B 12 R 6/19 R - juris RdNr 16) und Gesellschafterbeschlüsse herrschender Unternehmen (Urteil vom 23.2.2021 - B 12 R 18/18 R - juris RdNr 21 ff). Die GO könnte daher allenfalls dann geeignet sein, die Rechtsmachtverhältnisse in der GmbH in sozialversicherungsrechtlich relevanter Weise zu verschieben, wenn sie die Voraussetzungen einer Änderung des GV erfüllt oder zumindest bereits im GV getroffene Regelungen zu den Weisungsbefugnissen konkretisiert. Beides ist hier nicht der Fall.
Dabei kann offenbleiben, ob mit der GO die Befugnisse des Geschäftsführers zur laufenden Geschäftsführung zugunsten der Gesellschafterversammlung eingeschränkt und dadurch der GV geändert werden sollte. Die Übertragung der Organbefugnisse der Geschäftsführung auf die Gesellschafterversammlung hätte einer notariell beurkundeten (§ 53 Abs 2 Satz 1 GmbHG idF des Beurkundungsgesetzes vom 28.8.1969, BGBl I 1513) und ins Handelsregister eingetragenen (§ 54 Abs 1 und 3 GmbHG idF des Gesetzes zur Durchführung der Ersten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts vom 15.8.1969, BGBl I 1146) Änderung des GV (§ 45 Abs 1 GmbHG) bedurft (BSG vom 23.2.2021 - B 12 R 18/18 R - juris RdNr 22; Rauch/Schnüttgen, Die Gesellschafterversammlung der GmbH, 2013, RdNr 112; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl 2021, § 37 RdNr 14), an der es vorliegend fehlt. Dasselbe gilt für die von der Klägerin sinngemäß geltend gemachte allgemeine Weisung der Gesellschafterversammlung an den Geschäftsführer, dem Beigeladenen nur nach Zustimmung der Gesellschafterversammlung Weisungen zu erteilen (vgl BSG aaO). Soweit die GO den Abschluss, die Änderung und die Beendigung von Anstellungsverträgen mit Gesellschaftern sowie die Wahrnehmung der hieraus resultierenden Rechte und Pflichten, insbesondere auch etwaiger Weisungsrechte aus Anstellungs- und Dienstverträgen als Aufgabe der Gesellschafterversammlung und zustimmungsbedürftige Geschäftsführungsmaßnahme bezeichnet, scheidet eine Konkretisierung des GV aus. Denn der GV sieht Regelungen zur Kompetenzverteilung zwischen Geschäftsführung und Gesellschafterversammlung durch die GO nicht vor.
Die GO konkretisiert zwar § 6 Abs 4 GV, der zum Erlass einer die Geschäftsführung regelnden GO ermächtigt, hebt dadurch aber nicht die Weisungsgebundenheit des Beigeladenen gegenüber der Geschäftsführung auf. Das LSG hat die Regelungen der GO zu den Aufgaben der Gesellschafterversammlung und den zustimmungsbedürftigen Geschäftsführungsmaßnahmen ohne Verstoß gegen Auslegungsgrundsätze und damit für den Senat bindend ausgelegt (§ 163 SGG; zur bindenden Auslegung von Willenserklärungen vgl BSG Urteil vom 29.10.2020 - B 3 KR 6/20 R - SozR 4-2500 § 46 Nr 11 RdNr 16 mwN). Sie betrifft demnach nur Maßnahmen, die eine wesentliche Bedeutung für die Gesellschaft haben. Davon werden nicht jegliche Weisungen der (gewöhnlichen) Geschäftsführung an den mitarbeitenden Gesellschafter erfasst, sondern nur solche, die in ungewöhnlichem Ausmaß in die Geschicke der Gesellschaft eingreifen. Nur in dieser Auslegung ist die GO auch mit dem GV vereinbar und in diesem angelegt. Denn danach bedürfen die Geschäftsführer nur der Zustimmung zu Rechtsgeschäften und Rechtshandlungen, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb der Gesellschaft hinausgehen. Ein umfassendes Zustimmungserfordernis der Gesellschafterversammlung für jegliche Weisungen der Geschäftsführung an den beigeladenen Gesellschafter fehlt sowohl im GV als auch in der GO. Nur dadurch könnte aber der Beigeladene Weisungen der Geschäftsführung an sich kraft seiner Gesellschafterstellung verhindern. Damit kommt es auch nicht darauf an, ob der die GO regelnde Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 21.12.2012 einseitig durch den Beigeladenen hätte aufgehoben werden können. Dass nach diesem Beschluss ein Verstoß gegen die GO zur außerordentlichen Beendigung des Geschäftsführungsverhältnisses berechtigt, ist ebenso irrelevant. Da die GO nur außergewöhnliche Maßnahmen erfasst, stellt es keinen Verstoß dar, wenn im Rahmen der laufenden branchenüblichen Geschäftsführung Weisungen erteilt werden.
4. Die dem Beigeladenen erteilte notariell beglaubigte Generalhandlungsvollmacht änderte die Rechtsmachtverhältnisse ebenfalls nicht. Sie berechtigte zwar zu allen branchenüblichen Geschäfts- und Rechtshandlungen und damit insoweit auch zur Verpflichtung der GmbH im Außenverhältnis, räumte dem Beigeladenen jedoch keine besondere Stellung im Hinblick auf das Weisungsrecht der Geschäftsführung ein. Zudem hätte die Vollmacht widerrufen werden (§ 168 Satz 2 BGB) und der Beigeladene dies kraft seiner Gesellschafterstellung nicht verhindern können.
5. Auch die Beitragsfestsetzung ist nicht zu beanstanden. Arbeitgeber haben für versicherungspflichtig Beschäftigte den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen (§ 28d Satz 1 und 2, § 28e Abs 1 Satz 1 SGB IV idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710). Der Beitragsbemessung liegt in der GRV, GKV, sPV und nach dem Recht der Arbeitsförderung das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde (§ 162 Nr 1 SGB VI idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754; § 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V; § 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI idF des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007, BGBl I 378, und des Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf vom 23.12.2014, BGBl I 2462; § 342 SGB III). Darüber hinaus haben die Arbeitgeber die Mittel zur Durchführung der U1- und U2-Verfahren durch gesonderte Umlagen aufzubringen, die sich nach dem Entgelt richten, nach dem die Beiträge zur GRV für die im Betrieb Beschäftigten bemessen werden (§ 1 Abs 1 und 2 Satz 1 AAG). Dass die Beklagte die Beiträge und Umlagen fehlerhaft berechnet hätte, ist weder geltend gemacht worden noch ersichtlich.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 Abs 3 VwGO.
7. Der Streitwert ist nach § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3 Satz 1, § 47 Abs 1 GKG in Höhe der streitigen Beitragsforderung festzusetzen und war nicht gemäß § 52 Abs 3 Satz 2 GKG anzuheben. Der Antrag der Klägerin hat nicht offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftig zu erlassende Beitragsbescheide. Die beanstandete Beitragspflicht für die Zeit vom 1.1.2013 bis zum 31.12.2015 umfasst die - bis 20.11.2016 unverändert bestehende - Versicherungspflicht des Beigeladenen aufgrund seiner Beschäftigung. Ob und in welchem Umfang Beiträge für die Zeit vom 1.1.2016 bis 20.11.2016 zu zahlen sind, ist von weiteren Tatbestandsmerkmalen abhängig.
Fundstellen
Haufe-Index 14669080 |
AP 2022 |
SGb 2021, 563 |
info-also 2022, 79 |