Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungspflicht. landwirtschaftlicher Unternehmer und abhängige Beschäftigung. Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit. Zuständigkeit. Krankenkasse. Ermittlung. Arbeitseinkommen
Leitsatz (amtlich)
1. Ist ein landwirtschaftlicher Unternehmer daneben abhängig beschäftigt, so ist er nur dann in der KVdL versicherungspflichtig, wenn die selbständige Erwerbstätigkeit von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Umfang her die abhängige Beschäftigung deutlich übersteigt. Dem Kriterium „Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit” kommt insoweit keine eigenständige Bedeutung zu.
2. Zur Ermittlung des maßgeblichen Arbeitseinkommens gemäß § 15 SGB 4 nF (Fortführung von BSG vom 29.4.1997 – 10/4 RK 3/96 = SozR 3-5420 § 3 Nr 2).
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5; KVLG 1989 § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 22; SGB IV § 15 Abs. 1-2; EStG 1990 § 13a; ALG § 32 Abs. 6; EStG 1990 §§ 4, 7k; SGB IV § 14
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 1996 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft die Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Krankenkasse (KK) für einen selbständigen Landwirt, der zugleich vollschichtig in abhängiger Beschäftigung steht.
Der Beigeladene zu 1) ist Landwirtschaftsmeister und war ab dem 1. April 1988 als landwirtschaftlicher Unternehmer versicherungspflichtiges Mitglied bei der Landwirtschaftlichen Krankenkasse (Klägerin). Ab dem 1. November 1988 wurde er von der zu 2) beigeladenen Steuerberatungsgesellschaft als Steuergehilfe angestellt und daraufhin – auf seinen Antrag – bei der beklagten Barmer Ersatzkasse krankenversichert. Die Klägerin erfragte im Oktober 1992 bei der Beigeladenen zu 2) die Arbeitszeit (39 Wochenstunden) und das Bruttoarbeitsentgelt (DM 2500,00) des Beigeladenen zu 1) und erklärte gegenüber der Beklagten, sie führe ab dem 1. Oktober 1992 die Versicherung nach dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) durch, da der Beigeladene zu 1) als landwirtschaftlicher Unternehmer hauptberuflich selbständig erwerbstätig sei iS des § 5 Abs 5 Fünftes Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V). Demgegenüber bestand die Beklagte auf ihrer fortgesetzten Zuständigkeit. Außergerichtlich konnten sich beide Krankenkassen nicht einigen.
Das Sozialgericht (SG) Landshut wies die Klage auf Feststellung, die Landwirtschaftliche KK sei die für den Beigeladenen zu 1) zuständige Krankenversicherung, durch Urteil vom 15. März 1994 mit der Begründung ab, bei der vollschichtigen abhängigen Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) sei für die Annahme einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit kein Raum mehr. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin unter Änderung des angefochtenen Urteils festgestellt, daß der Beigeladene zu 1) Mitglied der Klägerin ab Rechtskraft seines Urteils vom 27. Juni 1996 sei. Eine Versicherungspflicht bei der Beklagten bestehe wegen § 5 Abs 5 SGB V nicht, weil der Beigeladene zu 1) als Landwirt hauptberuflich selbständig erwerbstätig sei. Sein landwirtschaftliches Unternehmen überschreite die vorgeschriebene Mindesthöhe bzw Mindestgröße. Hauptberuflich werde die selbständige Tätigkeit ausgeübt, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrige Erwerbstätigkeit deutlich übersteige und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstelle. Beim Beigeladenen zu 1) spreche weder der zeitliche Einsatz noch die wirtschaftliche Bedeutung eindeutig für oder gegen die hauptberufliche Unternehmertätigkeit. Daß aber die landwirtschaftliche Tätigkeit doch den Mittelpunkt seiner Erwerbstätigkeit ausmache, leite sich aus Abstammung, Ausbildung, Werdegang und Selbsteinschätzung des Beigeladenen zu 1) ab.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 5 Abs 1 Nr 1, Abs 5 SGB V. Die Bewertung des LSG entspreche nicht der von der Gesetzesbegründung vorgegebenen Gewichtung der Kriterien, wonach eine hauptberuflich selbständige Erwerbstätigkeit dann vorliege, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und vom zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten deutlich übersteige und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstelle. Wirtschaftliche Bedeutung und zeitlicher Aufwand der selbständigen Erwerbstätigkeit des Beigeladenen zu 1) überwögen auch nach den Feststellungen des LSG nicht die der abhängigen Beschäftigung. Zur Annahme des Überwiegens sei das LSG erst unter Berücksichtigung weiterer – wiederum angreifbarer – Kriterien (Abstammung, landwirtschaftliche Ausbildung, Werdegang, berufliche Selbsteinschätzung) im Hinblick auf das Kriterium „Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit” gelangt. Entgegen der Würdigung des LSG überwiege der zeitliche Aufwand der abhängigen Beschäftigung mit 39 Wochenstunden eindeutig den der landwirtschaftlichen Tätigkeit. Das LSG verkenne den Begriff der wirtschaftlichen Bedeutung und wende sich von den allgemein anerkannten Kriterien in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und den Vorstellungen der Spitzenverbände der Krankenkassen ab. Die zusätzlich herangezogenen Kriterien trügen dem auslegungsbedürftigen Begriff der Hauptberuflichkeit nicht Rechnung, wenn etwa auf das Verhältnis Gehilfe-Meister bzw die untergeordnete Stellung im Beruf abgehoben würde. Auf das Urteil des BSG vom 24. Oktober 1978 – Az 12 RK 50/76 – könne sich das LSG nicht berufen, da hiernach das – zumal für die Abgrenzung von selbständiger und abhängiger Tätigkeit entwickelte – Merkmal der Selbsteinschätzung als Auslegungshilfe nur in Ermangelung – hier aber vorliegender – objektiver Kriterien in Betracht zu ziehen sei.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 1996 die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15. März 1994 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Wirtschaftliche Bedeutung und zeitlicher Einsatz seien nicht nur schematisch zu prüfen. Der selbständigen Tätigkeit müsse die Hauptberuflichkeit schon dann zugemessen werden, wenn die daraus erzielten Einnahmen wesentlich zur Bestreitung des Lebensunterhaltes beitrügen. Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen eigneten sich nicht zum direkten Vergleich, da das Betriebsergebnis wesentlich durch unternehmerische (Investitions-) Entscheidungen und die Wettbewerbslage beeinflußt seien (Hinweis auf das Urteil des Hessischen LSG vom 18. Mai 1995 – Az L-14/Kr-563/93 –). Aus der Sicht des zeitlichen Aufwandes liege beim Beigeladenen zu 1) schon wegen der landwirtschaftlichen Nutzfläche von 36,92 ha kein typischer Fall einer Nebenerwerbslandwirtschaft vor. Unter Einbeziehung der Arbeitsleistung Dritter und seines geistigen Einsatzes überwiege die landwirtschaftliche Tätigkeit des Beigeladenen zu 1). Keinen Bedenken begegne, wenn das LSG mangels objektiver Kriterien zum Tatbestandsmerkmal des „Mittelpunkts der Erwerbstätigkeit” auf die Selbsteinschätzung des Beigeladenen zu 1) sowie auf weitere Kriterien zurückgreife.
Die Beigeladenen sind im Revisionsverfahren nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten (§ 166 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen nicht aus, um abschließend über die Kassenzuständigkeit entscheiden zu können.
Die vorliegend streitige Zuständigkeit der beklagten Barmer Ersatzkasse bestimmt sich nach § 173 Abs 2 Nr 3 SGB V idF des Gesundheits-Strukturgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266, nachdem die – abweichende – Zuständigkeit der Klägerin frühestens mit der Rechtskraft des LSG-Urteils vom 27. Juni 1996 eintreten könnte. Für den vorausgegangenen Zeitraum bleibt es nach dem klageabweisenden Urteil des SG Landshut vom 15. März 1994 bei der Zuständigkeit der Beklagten. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin die Feststellung der Mitgliedschaft auf die Zeit „ab Rechtskraft des Urteils” beschränkt und das LSG diesem Antrag vollumfänglich stattgegeben.
Die vom LSG festgestellte Zuständigkeit der Klägerin für die Folgezeit setzt grundsätzlich voraus, daß der Beigeladene zu 1) als Landwirt die Tatbestandsvoraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 1 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) idF des Gesetzes vom 29. Juli 1994, BGBl I 1890 erfüllt und anderseits nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften – hier § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V – versicherungspflichtig ist, § 3 Abs 1 Nr 1 KVLG 1989. In dieser Vorschrift kommt zwar – worauf der 4. Senat des BSG in dem Urteil vom 16. November 1995 bereits hingewiesen hat (BSGE 77, 93, 94) – die grundsätzliche Nachrangigkeit der landwirtschaftlichen Unternehmerversicherung gegenüber anderen Versicherungspflichttatbeständen in der gesetzlichen Krankenversicherung zum Ausdruck. Daraus folgt aber nicht bereits, daß die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG 1989 verdrängt. Ob die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V greift, ist zuvor am Maßstab des § 5 Abs 5 SGB V zu überprüfen: Nach Abs 1 Nr 1 oder 5 bis 12 dieser Vorschrift ist nicht versicherungspflichtig, wer hauptberuflich selbständig erwerbstätig ist.
Die Norm dient der Mißbrauchsabwehr. Sie soll nicht nur verhindern, daß nicht versicherungspflichtige Selbständige durch ein Mindestmaß an abhängiger Nebenbeschäftigung den Schutz der allgemeinen Krankenversicherung erlangen, sondern auch, daß Haupterwerbslandwirte, die in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig sind, wegen einer abhängigen Nebenbeschäftigung in die allgemeine Krankenversicherung abwandern (s auch BSGE 77, 93, 96 f). Deshalb werden, wenn – wie hier – ein Versicherungspflichttatbestand in der allgemeinen Krankenversicherung mit einem solchen in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung konkurriert, hauptberuflich selbständig erwerbstätige Landwirte von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V nicht schon dann erfaßt, wenn sie deren Voraussetzungen erfüllen (BSGE 77, 93, 95 f). Einerseits soll § 5 Abs 5 SGB V verhindern, daß es wegen des Nachrangs der landwirtschaftlichen Unternehmerversicherung zu einer Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V selbst dann kommt, wenn ein landwirtschaftlicher Unternehmer seinen Lebensunterhalt ganz überwiegend aus der selbständigen Tätigkeit bestreitet. Andererseits wäre es mit ihrer grundsätzlichen Nachrangigkeit nicht zu vereinbaren, wenn der landwirtschaftlichen Krankenversicherung durch eine weite Auslegung der Ausschlußregelung des § 5 Abs 5 SGB V faktisch ein Vorrang eingeräumt würde.
Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 16. November 1995 (aaO) unter Bezugnahme auf die zugrundeliegenden Erwägungen im Gesetzgebungsverfahren zur Auslegung von § 5 Abs 5 SGB V bereits erläutert, daß eine selbständige Erwerbstätigkeit dann als hauptberuflich anzusehen ist, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten zusammen deutlich übersteigt und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstellt. Dem hat sich der erkennende Senat angeschlossen (Urteil vom 29. April 1997 – 10/4 RK 3/96 –, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Wenn es gilt, die abhängige Beschäftigung gegen die selbständige Erwerbstätigkeit abzuwägen, ist – in Fortführung dieser Rechtsprechung (so bereits der Senat aaO) – nur darauf abzustellen, ob die selbständige Erwerbstätigkeit von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Umfang her die übrigen Erwerbstätigkeiten deutlich übersteigt. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird die selbständige Tätigkeit nicht hauptberuflich ausgeübt. Damit ergibt sich zugleich, daß dem Kriterium „Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit” keine eigenständige Bedeutung zukommt; es stellt insbesondere kein eigenständiges „Tatbestandsmerkmal” dar, wie die Klägerin und das LSG meinen. Die Beklagte macht demgegenüber zutreffend geltend, daß sich die – zumal kaum konkret faßbaren – tatsächlichen Umstände, auf die das LSG ergänzend abgestellt hat, zur Ausfüllung des Begriffs „Hauptberuf” nicht eignen. Der in den Gesetzesmaterialien neben der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand genannte Begriff „Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit” dient lediglich der Verdeutlichung des Begriffs „hauptberuflich” (vgl BT-Drucks 11/2237 S 159). Zugleich weist er auf eine notwendige Gesamtschau hin, die Zufallsergebnisse vermeidet, wenn ein geringes Zurückbleiben bei einem Kriterium mit einem deutlichen Übersteigen beim anderen Kriterium zusammentreffen. Dieser Lösungsansatz erlaubt es zudem, Besonderheiten wie zB im Falle eines Ausbildungsverhältnisses mit entsprechend geringer Vergütung Rechnung zu tragen, indem bei der gebotenen Gesamtschau eine höhere Bewertung der wirtschaftlichen Bedeutung dieses Entgelts im Hinblick auf die angestrebte abhängige Beschäftigung im späteren Beruf vorgenommen wird.
Nichts anderes folgt aus den Materialien zum Agrarsozialreformgesetz 1995 (ASRG 1995) vom 29. Juli 1994, BGBl I 1890. Soweit darin für das Zusammentreffen von landwirtschaftlicher Unternehmertätigkeit mit anderer selbständiger Erwerbstätigkeit (§ 2 Abs 4a KVLG 1989) ebenfalls auf den Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit abgestellt wird, stellt die dazu gegebene Begründung ausdrücklich klar, daß der zu § 5 Abs 5 SGB V entwickelte Grundsatz gelten soll (vgl BT-Drucks 12/5700 S 95 zu Nr 1 Buchst e). Die dann wiederholte Definition der Hauptberuflichkeit (wenn die Tätigkeit von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten zusammen deutlich übersteigt oder ≪statt ‚und’ in den Materialien zu § 5 Abs 5 SGB V≫ den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstellt) verwendet ebenfalls den Begriff „Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit” als Synonym für die Voraussetzungen „wirtschaftliche Bedeutung” und „zeitlicher Aufwand”.
Soweit danach die Erwerbstätigkeit des Beigeladenen zu 1) als selbständiger Landwirt zu beurteilen ist, fehlen dem angefochtenen Urteil des LSG die entscheidenden rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen.
1. Die tatsächlichen Verhältnisse, wie sie beim Zusammentreffen einer Beschäftigung als Arbeitnehmer mit einer selbständigen Erwerbstätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer vorliegen, sind in einer vorausschauenden Betrachtungsweise zu beurteilen (BSG vom 19. Februar 1987, SozR 2200 § 172 Nr 19 S 41 mwN; 23. Februar 1988, SozR 2200 § 172 Nr 20 S 45; 5. Mai 1988, SozR 2200 § 1385b Nr 3 S 17 f; s auch BSG vom 30. September 1996, SozR 3-5870 § 2 Nr 33 mwN). Entscheidungen über die Versicherungspflicht sind ihrer Natur nach gegenwartsorientiert und zugleich – durch ihre Dauerwirkung – zukunftsbezogen. Da von diesen Entscheidungen im Interesse der Versicherten Entwicklungen über längere Zeiträume nicht abgewartet werden können, müssen sich die Entscheidungen regelmäßig nach den Umständen richten, die dem streitigen Zeitraum des Zusammentreffens von Versicherungspflichttatbestand und der selbständigen Erwerbstätigkeit möglichst unmittelbar vorhergehen und eine Vorausschau auf die Zukunft zulassen. In der Folgezeit eingetretene tatsächliche Entwicklungen eignen sich zwar nicht als Beurteilungsgrundlage einer Prognose; allerdings ist es auch nicht mit dem Gebot einer vorausschauenden Betrachtungsweise unvereinbar, später eingetretene Entwicklungen als Bestätigung für jene Anhaltspunkte zu berücksichtigen, auf die die Prognose gestützt wird (BSG vom 19. Februar 1987 aaO S 41).
2. Das LSG hat nach seiner Feststellung, daß der Beigeladene zu 1) die tatbestandlichen Voraussetzungen sowohl des § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG 1989 als auch die des § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V erfüllt, zu Recht geprüft, ob er „hauptberuflich” als Landwirt tätig ist. Es hat jedoch für die insoweit erforderliche Abwägung nicht auf die allein entscheidenden Tatsachen abgestellt. Für die Prüfung der wirtschaftlichen Bedeutung einerseits der selbständigen Tätigkeit als Landwirt und andererseits der abhängigen Beschäftigung als Steuergehilfe sind Arbeitseinkommen und Arbeitsentgelt miteinander zu vergleichen.
Als Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus der Beschäftigung zu werten (§ 14 Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – ≪SGB IV≫). Insoweit hat das LSG die (als glaubhaft erachteten) Angaben des Beigeladenen zu 1) vor dem SG und dem LSG zugrunde gelegt, wonach er – einschließlich Weihnachtsgeld und Prämie – 40.000 bzw 41.000 DM „brutto” im Jahr 1994 verdient hat. Neuere Angaben fehlen.
Zum Arbeitseinkommen aus der selbständigen Tätigkeit hat das LSG entsprechend auf die ebenfalls das Jahr 1994 betreffende Angabe des Beigeladenen zu 1) vor dem SG abgestellt, das zu versteuernde Einkommen aus der Landwirtschaft liege „über 30.000 DM”; nach der weiter in bezug genommenen Angabe des Beigeladenen zu 1) vor dem LSG betrugen die Einkünfte aus der Landwirtschaft nach Abzug der Betriebsausgaben im Jahre 1993 32.000 DM und im Jahre 1994 28.000 DM. Insoweit liegen damit zwar Feststellungen zu dem Arbeitseinkommen nach § 15 SGB IV vor, welche sich ohne weitere Angaben jedoch nicht verwerten lassen. Nach § 15 Abs 1 SGB IV in der hier anzuwendenden, seit 1. Januar 1995 geltenden Fassung des 2. Agrarsozialreformgesetzes 1995 vom 29. Juli 1994 (BGBl I 1890) ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Im Gegensatz zur früheren Fassung des § 15 SGB IV kommt es damit ua nicht mehr darauf an, inwieweit bei der Gewinnermittlung steuerliche Vergünstigungen zu Buche geschlagen haben.
Einschlägig könnte aber auch § 15 Abs 2 SGB IV in der hier anzuwendenden neuen Fassung sein. Danach ist bei Landwirten, deren Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft – statt nach den Gewinnermittlungsvorschriften der §§ 4 bis 7k Einkommensteuergesetz (EStG) – nach § 13a EStG ermittelt wird (also nach Durchschnittssätzen und nicht anhand einer Buchführung oder einer Einnahmen-Ausgaben-Überschuß-Rechnung), als Arbeitseinkommen der sich aus § 32 Abs 6 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) ergebende Wert (der sog korrigierte Wirtschaftswert) anzusetzen, worauf dann auch bei der Abwägung zur „Hauptberuflichkeit” bei § 5 Abs 5 SGB V abzustellen wäre. Denn dieser korrigierte Wirtschaftswert mag zwar der einzelbetrieblichen Situation nicht gerecht werden, stellt jedoch einen Versuch dar, bei der Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft einen gerechteren Maßstab zu finden als den – reinen – Wirtschaftswert oder die Durchschnittssätze nach § 13a EStG (vgl Rombach, Alterssicherung der Landwirte, 1995, S 220). Zudem sprechen erhebliche Gesichtspunkte der Verwaltungsvereinfachung dafür, auch innerhalb des § 5 Abs 5 SGB V auf Vergleichswerte abzustellen, die bereits feststehen, nicht gesondert ermittelt zu werden brauchen und schließlich den im Sozialrecht auch sonst maßgeblichen Größen entsprechen. Offensichtlichen Abweichungen von den tatsächlichen Verhältnissen kann uU im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau (s oben) Rechnung getragen werden.
Sofern es nach der entsprechenden Prüfung durch das LSG bei den og Feststellungen über die Relation der landwirtschaftlichen und außerlandwirtschaftlichen Einnahmen des Beigeladenen zu 1) bleibt, so überwiegt nach der hierzu vorgenommenen Abwägung des LSG die wirtschaftliche Bedeutung der abhängigen Beschäftigung.
3. Die Feststellungen des LSG zum zeitlichen Arbeitsaufwand, der mit der Erwerbstätigkeit des Beigeladenen zu 1) als landwirtschaftlicher Unternehmer verbunden ist, beruhen ebenfalls nicht auf den zu würdigenden rechtlich allein entscheidenden Tatsachen.
Das Berufungsgericht hat den Zeitaufwand des Beigeladenen zu 1) im landwirtschaftlichen Betrieb nach seinen für glaubhaft befundenen Angaben auf regelmäßig 15 Stunden je Woche zuzüglich 4 Stunden je Woche umgerechneter Jahresurlaub (26 Arbeitstage), mithin 19 Stunden je Woche festgestellt.
Entgegen der Meinung des LSG erhöht sich dieser Wert nicht unter Berücksichtigung des Zeitaufwands von mithelfenden Familienangehörigen (Vater) sowie fremdem Personal einschließlich der Arbeitszeit von Lohnunternehmen (Maschinenring). Die Verfügung über fremde Zeitkontingente berechtigt nicht zu dem Schluß, jene Zeit sei – im Rahmen der nach § 5 Abs 5 SGB V erforderlichen Abwägung – auch vom Unternehmer selbst erbracht worden. Für diese Zurechnung fehlt jeglicher Rechtsgrund. Sie ist selbst – und gerade – dann nicht berechtigt, wenn man davon ausgeht, ohne fremdes Personal hätte der Beigeladene zu 1) die Arbeit selbst erbringen müssen. Grundsätzlich fließen der Einsatz von Personal und seine Erträgnisse in die betriebliche Gesamtrechnung mit ein (Betriebsausgaben, vgl § 4 Abs 3, 4 EStG). Sofern dies bei Landwirten in den Fällen des § 15 Abs 2 SGB IV nicht geschieht, vermag das am Ergebnis nichts zu ändern. Die Kriterien, auf die bei der Abwägung nach § 5 Abs 5 SGB V abzustellen ist, beziehen sich von vornherein allein auf die Person des Versicherten: Er muß sowohl das Arbeitsentgelt als auch das Arbeitseinkommen selbst erwirtschaften als auch die zu vergleichende Arbeitszeit selbst aufwenden.
Diese Betrachtung gebietet zugleich, die für die kaufmännische und organisatorische Führung des Betriebes erforderliche Zeit, insbesondere zur Erledigung der laufenden Verwaltung und Buchhaltung, Behördengänge, Geschäftsbesorgungen, Personaleinweisungen und ähnliche Aufgaben zusätzlich zu der rein körperlichen Tätigkeit des Landwirts zu berücksichtigen. Hierzu gehört auch die notwendige Koordination und Beaufsichtigung der im Betrieb eingesetzten Fremdkräfte sowie der mithelfenden Familienangehörigen. Der mit der Leitungsfunktion (Direktionsgewalt) über die abhängigen Beschäftigten notwendig verbundene Zeitaufwand ist dem Unternehmer ebenso zuzurechnen wie das wirtschaftliche Ergebnis der von ihm eingesetzten Arbeitskräfte. Ob der entsprechende Zeitaufwand bereits in den Angaben des Beigeladenen zu 1) enthalten ist, ist vom LSG nicht festgestellt.
4. Als nur mittelbare Kollisionsregelung beseitigt § 5 Abs 5 SGB V nach allem die grundsätzliche Versicherungspflicht aus § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V bei selbständig Erwerbstätigen nur dann, wenn sich bei Vergleich der Faktoren wirtschaftliche Bedeutung und zeitlicher Aufwand der jeweiligen Tätigkeiten erweist, daß die selbständige Erwerbstätigkeit eindeutig überwiegt. Das LSG wird daher in vorausschauender Betrachtungsweise hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung der selbständigen Erwerbstätigkeit des Beigeladenen zu 1) dessen maßgebliches Arbeitseinkommen gemäß § 15 SGB IV – hier aus den og Gründen ab dem Zeitpunkt des Beginns der von der Klägerin begehrten Feststellung – festzustellen und mit dem Arbeitsentgelt aus der Steuergehilfentätigkeit zu vergleichen haben. Der Arbeitsaufwand des Beigeladenen zu 1) als landwirtschaftlicher Unternehmer wird unter Einschluß der geistigen Anteile zu ermitteln und zu bewerten sein. Nur wenn sich danach die selbständige Tätigkeit als Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit des Beigeladenen zu 1) herausstellt, ist die Klägerin die zuständige Krankenkasse. Für diesen Fall richtet sich der Beginn der Mitgliedschaft bei der Klägerin nach § 22 Abs 1 Nr 5 KVLG 1989; danach beginnt die Mitgliedschaft versicherungspflichtiger landwirtschaftlicher Unternehmer in der Landwirtschaftlichen KK zu dem Zeitpunkt, zu dem ihre Mitgliedschaft als Versicherungspflichtige nach § 3 Abs 1 KVLG 1989 in einer anderen KK endet. Ab wann eine ggf festgestellte Hauptberuflichkeit der selbständigen Erwerbstätigkeit den Zuständigkeitswechsel nach sich zieht, wird das LSG festzustellen haben.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
NZS 1998, 238 |
SGb 1998, 534 |
SozR 3-5420 § 3, Nr.3 |
SozSi 1998, 238 |