Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe für Zivilklage auf Ausgleichszahlung wegen verweigerter Zusammenveranlagung
Leitsatz (redaktionell)
Die Prozesskostenhilfe darf nicht wegen überspannter Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung abgelehnt werden, hier für eine Zivilklage auf Zahlung eines Ausgleichsbetrages, weil die Ehefrau nach Trennung der Ehegatten die Zusammenveranlagung verweigert hat.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; ZPO § 114; BVerfGG § 93c Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Köln (Beschluss vom 30.07.2002; Aktenzeichen 26 T 37/02) |
AG Bergisch Gladbach (Beschluss vom 11.06.2002; Aktenzeichen 61 C 137/02) |
Tenor
- Der Beschluss des Landgerichts Köln vom 30. Juli 2002 – 26 T 37/02 – und der Beschluss des Amtsgerichts Bergisch Gladbach vom 11. Juni 2002 – 61 C 137/02 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Entscheidung des Landgerichts Köln wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Köln zurückverwiesen.
- Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein Prozesskostenhilfeverfahren. Der Beschwerdeführer war in die Steuerklasse III und seine Ehefrau, die Antragsgegnerin im Ausgangsverfahren, in die Steuerklasse V eingruppiert. Nach Trennung der Ehegatten beantragte die Antragsgegnerin rückwirkend für das Jahr 2000 die getrennte Veranlagung, woraufhin das Finanzamt in dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 für den Beschwerdeführer eine noch zu entrichtende Steuer festsetzte; der Antragsgegnerin erteilte es eine Gutschrift. Der Beschwerdeführer forderte die Antragsgegnerin erfolglos auf, einer gemeinsamen Veranlagung zuzustimmen. Ihre Bedingung, sie von sämtlichen steuerlichen Nachteilen freizustellen, wollte der Beschwerdeführer nicht erfüllen. Er beantragte daraufhin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Antragsgegnerin auf Zahlung eines Ausgleichsbetrages, mit dem er den hälftigen Anteil an der Steuererstattung sowie die hälftige Beteiligung an der Steuernachforderung von der Antragsgegnerin einforderte.
Das Amtsgericht Bergisch Gladbach wies den Antrag zurück. Der beabsichtigten Klage des Beschwerdeführers, mit der er der Sache nach einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der ehelichen Treuepflicht geltend mache, fehle die Erfolgsaussicht, da die Antragsgegnerin ihre Zustimmung zur gemeinsamen Veranlagung zu Recht von der Erstattung der hieraus entstehenden steuerlichen Nachteile habe abhängig machen dürfen. Der Beschwerdeführer könne sich demgegenüber nicht darauf berufen, während des Zusammenlebens aufgrund seines höheren Einkommens den “Löwenanteil” an den gemeinsamen Kosten getragen zu haben. Die dagegen erhobene Beschwerde blieb erfolglos, wobei das Landgericht in seiner Entscheidung im Wesentlichen auf die Ausführungen des Amtsgerichts Bezug nahm.
Der Beschwerdeführer rügt mit seiner gegen die Entscheidungen des Amts- und Landgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt.
Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Die für die Beurteilung maßgebliche verfassungsrechtliche Frage zu den Anforderungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits entschieden (vgl. BVerfGE 9, 124 ≪130 f.≫; 10, 264 ≪270≫; 22, 83 ≪87≫; 51, 295 ≪302≫; 63, 380 ≪394≫; 67, 245 ≪248≫; 78, 104 ≪117 f.≫; 81, 347 ≪357≫).
1. Die angefochtenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebieten Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG eine weit gehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124 ≪130 f.≫; 10, 264 ≪270≫; 22, 83 ≪87≫; 51, 295 ≪302≫; 63, 380 ≪394≫; 67, 245 ≪248≫; 78, 104 ≪117 f.≫). Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪357≫). Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, jedoch dann, wenn sie die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unter Verkennung der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit überspannen und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weit gehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird (vgl. BVerfG, NJW 2000, S. 1936 ≪1937≫).
b) Diesen Anforderungen haben die Gerichte unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG in ihren Entscheidungen nicht genügt. Sie haben eine schwierige Rechtsfrage, die – wie die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeigt (vgl. NJW 2002, S. 2319 ≪2320≫; 2002, S. 1570 ≪1571≫) – in vertretbarer Weise auch anders beantwortet werden kann, ohne Erörterung dieser Rechtsprechung in Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens abschließend im Prozesskostenhilfeverfahren erörtert und dem Beschwerdeführer damit den Zugang zu den Gerichten versagt.
Die Gerichte haben entscheidend darauf abgestellt, dass die Antragsgegnerin einer gemeinsamen Veranlagung nicht hätte zuzustimmen brauchen, da der Beschwerdeführer ihr nicht zugesichert hat, die hieraus entstehenden steuerlichen Nachteile auszugleichen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es hingegen zweifelhaft, ob der Beschwerdeführer tatsächlich zu einer entsprechenden Zusage verpflichtet war. Zwar ist danach der die Zustimmung verlangende Ehegatte regelmäßig zum internen Ausgleich verpflichtet, wenn sich bei dem anderen Ehegatten die Steuerschuld infolge der Zusammenveranlagung im Vergleich zur getrennten Veranlagung erhöht (BGH, NJW 2002, S. 2319 ≪2320≫ m.w.N.). Dies gilt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs aber dann nicht, wenn die Ehegatten eine andere Aufteilung ihrer Steuerschulden konkludent vereinbart haben (NJW 2002, S. 2319 ≪2320≫; vgl. auch NJW 2002, S. 1570 ≪1571≫). Wenn die Eheleute während der Ehe entscheiden, dass der besserverdienende Ehegatte Steuerklasse III und der andere Steuerklasse V erhalten soll, damit ihnen letztlich mehr Geld monatlich zur Verfügung steht, und sich der Ehegatte mit dem geringeren Einkommen und der höheren Steuerschuld keinen entsprechenden Ausgleich vorbehält, kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darin der Abschluss einer konkludenten Vereinbarung des Inhalts liegen, dass der Ehegatte mit der höheren Steuerschuld keinen Ausgleich erhalten soll (vgl. BGH, NJW 2002, S. 2319 ≪2320≫). Es entspreche der Lebenserfahrung und dem Wesen der ehelichen Lebensgemeinschaft, dass der zu viel Leistende im Zweifel keinen Rückforderungswillen habe (BGH, NJW 2002, S. 1570 ≪1571≫). Liege eine solche Vereinbarung vor, brauche der die Zusammenveranlagung begehrende Ehegatte den anderen Ehegatten lediglich von Nachforderungen des Finanzamts freizustellen, die über die Rückforderung des bereits erstatteten Betrages hinausgehen (vgl. BGH, NJW 2002, S. 2319 ≪2332≫). Angesichts dieser Rechtsprechung haben die Gerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der vom Beschwerdeführer beabsichtigten Klage in Verkennung der durch Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gewährleistete Rechtsschutzgleichheit bei ihren Entscheidungen überspannt.
c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte bei Beachtung der sich aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.
2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Damit erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde (vgl. BVerfGE 62, 392 ≪397≫; 71, 122 ≪136 f.≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen
Haufe-Index 905970 |
HFR 2003, 720 |
NJW 2003, 1857 |
FamRZ 2003, 833 |
FuR 2003, 549 |
NVwZ 2003, 1251 |
ZAP 2003, 585 |
EzFamR aktuell 2003, 230 |
FPR 2003, 450 |
ZFE 2003, 147 |
KammerForum 2003, 278 |