Keine Auferlegung der Anwaltskosten ohne Begründung

Wird ein Bußgeldverfahren eingestellt, so dürfen dem Betroffenen seine notwendigen Auslagen nicht ohne Begründung auferlegt werden. Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde eines Betroffenen statt.

Ordnungswidrigkeitenverfahren in verkehrsrechtlichen Angelegenheiten werden von den Gerichten regelmäßig eingestellt, wenn die Identität der handelnden Person nicht festgestellt werden kann. Nicht selten müssen die Betroffenen dennoch ihre Auslagen, insbesondere die entstandenen Anwaltskosten, selbst tragen. Das BVerfG sieht diese Praxis kritisch. In jedem Fall sei eine solche Auslagenentscheidung zu begründen.

Einstellung des Bußgeldverfahrens wegen nicht geklärter Fahreridentität

Gegenstand der konkreten Verfassungsbeschwerde war eine Auslagenentscheidung des AG. Dort war ein Verfahren wegen eines Bußgeldbescheides über 143,75 Euro wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gegen den Halter eines Kfz anhängig. In der mündlichen Verhandlung erschien der Beschwerdeführer mit seinem Verteidiger. Dieser wies darauf hin, dass nach dem in der Bußgeldakte befindlichen Foto sein Mandant nicht der Fahrer sein könne. Daraufhin stellte der Amtsrichter das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Staatskasse ein und verfügte, dass die Staatskasse nicht die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen habe. Eine Begründung hierfür enthielt der Beschluss nicht.

Sofortige Beschwerde gegen Auslagenbeschluss

Die gegen Auslagenbeschluss erhobene sofortige Beschwerde des Betroffenen hatte ebenso wenig Erfolg wie die anschließende Gegenvorstellung und die erhobene Anhörungsrüge. Sämtliche Rechtsbehelfe verwarf das Gericht ohne Begründung als unzulässig. Das LG bestätigte die Entscheidungen des AG. Begründung: Gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO sei eine gerichtliche Entscheidung über die Kosten der notwendigen Auslagen nicht anfechtbar, wenn eine Anfechtung der Hauptentscheidung nicht statthaft ist. § 47 Abs. 2 Satz 3 OWiG schließe die Anfechtbarkeit eines Einstellungsbeschlusses aus, sodass auch die Auslagenentscheidung nicht mehr änderbar sei.

Verfassungsbeschwerde erfolgreich

Der gegen diese Entscheidung des LG erhobenen Verfassungsbeschwerde gab das BVerfG statt. Das BVerfG wies zunächst darauf hin, dass die Gegenvorstellung verbunden mit der Anhörungsrüge ein zulässiger Rechtsbehelf gewesen sei. Dieser sei gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG aus Gründen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde auch erforderlich gewesen, um den Weg für eine Verfassungsbeschwerde freizumachen.

BVerfG rügt unterlassene Anhörung

Das BVerfG bemängelte, dass das AG den Beschwerdeführer weder zu der auf § 47 Abs. 2 OWiG gestützten Einstellung des Verfahrens noch zu der beabsichtigten Auslagenentscheidung angehört habe. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleiste den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich sowohl zu dem einer Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt als auch zur Rechtslage zu äußern. Darüber hinaus sei das Gericht verpflichtet, die entsprechenden Ausführungen des Betroffenen und seines Verteidigers zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen.

Verstoß gegen Willkürverbot  

Dieser Anhörungspflicht sei das AG in keiner Weise nachgekommen. Die für den Beschwerdeführer negative Auslagenentscheidung ohne jegliche Begründung beinhalte einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung des Willkürverbots. Gemäß § 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG habe die nach der Einstellung eines Bußgeldverfahrens zu treffende Entscheidung über die notwendigen Auslagen grundsätzlich zulasten der Staatskasse auszufallen. Davon könne nur in begründeten Fällen im Rahmen einer nach § 467 Abs. 4 StPO zutreffenden Ermessensentscheidung abgewichen werden.

Keine nachvollziehbaren Gründe für Auslagenentscheidung

Die Verfassungsrichter rügten, dass sich der Entscheidung des AG nicht einmal ansatzweise Gründe dafür entnehmen ließen, weshalb im Rahmen des Ermessens hier eine Ausnahme von dem Regelfall der Kostentragung durch die Staatskasse zu machen sei. Die Entscheidung enthalte keinerlei Hinweise dazu, weshalb der Betroffene, der offensichtlich nicht selbst gefahren sei, dennoch seine notwendigen Auslagen, insbesondere seine Anwaltskosten, selbst tragen soll. Bei objektiver Betrachtung könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich das AG und in der Folge auch das LG von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen und somit gegen das Willkürverbot verstoßen habe.

Keine Rechtspflicht zur Rücksendung des Anhörungsbogens

Ergänzend wies der Senat darauf hin, dass dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen werden könne, ihn entlastende Umstände nicht rechtzeitig vorgebracht zu haben. Insbesondere sei der Beschwerdeführer als Betroffener eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens nicht verpflichtet gewesen, einen ihm möglicherweise übersandten Anhörungsbogen an die Behörde zurückzusenden und Angaben zum tatsächlichen Fahrer zu machen.

Verfassungsbeschwerde erfolgreich

Damit beruhte die angegriffene ursprüngliche Auslagenentscheidung nach der Bewertung des BVerfG auf einem möglichen Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG und war damit aufzuheben. Ob darüber hinaus auch der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt war, musste daher nicht mehr entschieden werden. Die weiteren Beschlüsse hinsichtlich der sofortigen Beschwerde und der Gegenvorstellung wurden damit gegenstandslos. Das AG muss nun erneut über die Auslagen unter Beachtung der Rechtsauffassung des BVerfG entscheiden.

(BVerfG, Beschluss v. 27. 9. 2024, 2 BvR 375/24)