Nutzung eines Fahrzeugs als Arbeitsbühne

Auch wenn ein Unfall nicht „beim Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs aufgetreten ist, weil das versicherte Fahrzeug als Arbeitsbühne genutzt wurde, kann der Haftpflichtversicherer für die Unfallfolgen haftbar sein.

Das OLG Hamm hat in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung ausführlich begründet, weshalb die Halterhaftung des § 7 StVG bei der Nutzung eines Traktors als Arbeitsbühne nicht greift und der Haftpflichtversicherer des Traktors dennoch für die Unfallfolgen haftet.

Traktor als Arbeitsbühne benutzt

Ein Nebenerwerbslandwirt hatte bei einem Malerbetrieb Lackiererarbeiten an seinem Stallgebäude in Auftrag gegeben. Ein Angestellter des Malerbetriebs führte die Malerarbeiten aus. Auf Vorschlag des Nebenerwerbslandwirtes bestieg er zur Durchführung der Arbeiten - obwohl er Bedenken hinsichtlich der Sicherheit hatte - einen an einem Hebearm des Traktors befestigten Gitterkorb. Über einen Joystick steuerte der Landwirt den Korb bis zur Höhe des zu lackierenden Dachgiebels. Als die Arbeiten fast fertig waren, kippte der Korb infolge eines Bedienungsfehlers des Landwirtes leicht nach vorne. Der Lackierer stürzte in die Tiefe und zog sich erhebliche Verletzungen zu.

Schadensersatzklage erstinstanzlich ohne Erfolg

Trotz mehrfacher, stationär durchgeführte Operationen war der Maler zur Ausübung seines Berufes nicht mehr in der Lage. Er verklagte den Landwirt und den Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs u.a. auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 47.500 EUR sowie auf Feststellung, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis zu ersetzen. Erstinstanzlich scheiterte er mit seiner Klage.

Kein Fall der verkehrsrechtlichen Halterhaftung

Die hiergegen eingelegte Berufung des Lackierers war weitgehend erfolgreich. Das OLG lehnte allerdings - wie zuvor das LG - einen Anspruch des Klägers aus dem Gesichtspunkt der Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG ab, da der Unfall nicht beim Betrieb des Traktors geschehen sei. Es fehle an dem erforderlichen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer Beförderung (BGH, Urteil v. 18.7.2023, VI ZR 16/23). Der Traktor sei zum Zeitpunkt des Unfallereignisses nicht als Fortbewegungs- oder Transportmittel, sondern als Arbeitsbühne für Malerarbeiten benutzt worden. Die Transport- und Beförderungsfunktion des Traktors habe dabei nur eine untergeordnete oder gar keine Rolle gespielt.

Landwirt haftet aus unerlaubter Handlung

Allerdings folgt die Haftung des beklagten Landwirts nach der Entscheidung des Senats aus §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB (fahrlässige Körperverletzung und Verletzung der Verkehrssicherungspflicht). Der Senat war überzeugt, dass der Beklagte durch eine unachtsame Bedienung des Joysticks ein Kippen des Gitterkorbs, in welchem der Kläger gestanden hatte, verursacht und damit verschuldet hat. Gleichzeitig bewertete das Gericht den Vorgang als Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Beklagten, weil er mit der Zurverfügungstellung des Gitterkorbs, der gegen ein Herausfallen von Personen nicht genügend gesichert gewesen sei, eine spezielle Gefahrenlage geschaffen habe, die sich durch den Sturz des Klägers realisiert hat.

Mitverschulden des Klägers

Allerdings legte das Gericht dem Kläger ein anspruchsminderndes Mitverschulden zur Last. Er habe die in der Nutzung des Gitterkorbes liegende Gefahr erkannt und den Korb dennoch bestiegen. Damit habe er nicht die Sorgfalt angewendet, die ein vernünftig Handelnder zum Schutz seiner eigenen Gesundheit und seines Lebens üblicherweise anwendet. Er habe nach seinem eigenen Bekunden Bedenken u.a. an der Konstruktion des an dem Gitterkorb vorhandenen Handlaufs gehabt. Seine Mitverschuldensquote bewertete das Gericht mit 20 %. Dies gelte sowohl für die bereits entstandenen als auch für die zukünftig noch entstehenden Ansprüche.

Haftpflichtversichert sind auch Schäden aus unerlaubter Handlung

Die Haftung der Versicherung folgt nach der Entscheidung des Gerichts unmittelbar aus § 115 VVG. Zwar sei der Schaden nicht beim Betrieb des Kraftfahrzeugs im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG aufgetreten. Dies sei für eine Haftung des Haftpflichtversicherers aber auch nicht erforderlich, denn die Haftung der Versicherung umfasse gemäß § § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 1 PflVG auch Schadensersatzansprüche des Geschädigten aus § 823 ff BGB.

Haftpflichtversichert sind sämtliche Schäden bei Gebrauch eines Fahrzeugs

Die Eintrittspflicht der Versicherung setzt nach der Entscheidung des Senats allerdings voraus, dass ein Schaden beim Gebrauch des versicherten Fahrzeugs entstanden ist. Der Begriff des Gebrauchs schließe die Haftung „beim Betrieb“ gemäß § 7 Abs. 1 StVG ein, gehe aber darüber hinaus. Die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung versichere das Interesse des Versicherten, durch den Gebrauch des Fahrzeugs nicht mit Haftpflichtansprüchen belastet zu werden (BGH, Urteil v. 31.1.2012, VI ZR 43/11). Im konkreten Fall sei das Schadensereignis unzweifelhaft beim Gebrauch des Traktors entstanden, denn der Traktor sei für Malerarbeiten eingesetzt und damit im Sinne des Gesetzes gebraucht worden.

Keine Haftungsprivilegierung des Beklagten Landwirtes

Die Haftungsprivilegierung des § 105 Abs. 1 SGB VII (gemeinsame Tätigkeit für gleichen Betrieb) und des § 106 Abs. 3 SGB (Tätigkeit in gemeinsamer Betriebsstätte) greift nach Auffassung des OLG - entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen LG - im konkreten Fall nicht, denn die dort kodifizierte Einschränkung der Haftung auf vorsätzliche Handlungen, setze eine gemeinsame betriebliche Tätigkeit voraus, die nach der Bewertung des Senats hier nicht gegeben war.

Berufung weitgehend erfolgreich

Damit war die Berufung des Klägers im wesentlichen erfolgreich. Die Vorinstanz muss hinsichtlich der Höhe der einzelnen Ansprüche unter Berücksichtigung der Mitverschuldensquote des Klägers von 20 % den Sachverhalt noch weiter aufklären und erneut entscheiden.


(OLG Hamm, Urteil v. 4.12.2024, 11 U 84/23)


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