Wer haftet bei Unfällen zwischen Radfahrern und Fußgängern
Die Zahl getöteter Radfahrer im Straßenverkehr ist in den letzten Jahren bedenklich angestiegen. Nicht zuletzt wegen der stark wachsenden Zahl von Fahrradfahrern, insbesondere in Städten, kommt es nicht nur zwischen Rad und Kfz immer häufiger zu Konflikten, sondern auch zwischen Radfahrern und Fußgängern. Oft sind den Beteiligten die für sie geltenden Regeln nicht wirklich klar. Was gilt, wenn es zu Unfällen unter Beteiligung von Radfahrern und Fußgängern und damit häufig verbundenen körperlichen Verletzungen kommt?
Das Rücksichtsgebot gegenüber Fußgängern wird zu wenig beachtet
Worauf sich alle Radfahrer deutlich stärker konzentrieren sollten, ist das im Straßenverkehr für alle Verkehrsteilnehmer geltende Gebot der Rücksichtnahme gemäß § 1 StVO. Dieses wird in der gerichtlichen Praxis besonders häufig bei Unfällen zwischen Radfahrern und Fußgängern angewendet, nicht selten zu Ungunsten der Radfahrer. Radfahrer reiben sich dann verwundert die Augen, wenn ihnen nach einer Kollision mit einem Fußgänger von den Gerichten trotz Vorfahrt und Benutzung eines Radweges ein erhebliches Mitverschulden angelastet wird.
Radwege an Stellen mit starker Fußgängerfrequenz
Besonders akut wird das Gebot der Rücksichtnahme, wenn Radweg und Gehweg lediglich optisch durch farbliche Streifen voneinander getrennt sind und der Radweg an stark genutzten Fußgängerüberwegen, an Bushaltestellen, Schulen oder an anderen, stark von Fußgängern frequentierten Punkten vorbeiführt. Radfahrer, die dort ihre Geschwindigkeit nicht angemessen reduzieren und mit einem Fußgänger kollidieren, müssen grundsätzlich mit einer Mithaftung rechnen, auch wenn sie vorschriftsmäßig den Radweg genutzt haben.
Radfahrerhaftung trotz Nutzung des Radweges
Nach einer Entscheidung des OLG Hamm müssen Radfahrer auf Radwegen, die unmittelbar an stark von Fußgängern frequentierten Bereichen vorbeiführen, ihre Geschwindigkeit deutlich reduzieren. Im Fall eines Unfalls kommt bei Nichtbeachtung dieser Vorgabe gemäß § 254 BGB eine Mitverschuldensquote des Radfahrers trotz Nutzung des Radweges von bis zu 50 % in Betracht (OLG Hamm, Urteil v. 19.1.2018, 26 U 53/17). Kollidiert ein Radfahrer auf einem gekennzeichneten Radweg, an dem unmittelbar eine Haltestelle des Linienverkehrs angrenzt, mit einem Fahrgast, der gerade den Bus verlassen hat, so haftet der Radfahrer sogar bis zu 80 % (KG Berlin, Beschluss v. 15.1.2015, 29 U 8/14).
Konfliktträchtig: Kombinierte Rad / Gehwege
Probleme zwischen Fußgängern und Radfahrern entstehen gehäuft, wenn Rad- und Gehweg kombiniert sind (Zeichen 240 mit Trennung des Fußgänger- und Fahrradsymbols durch einen waagerechten Strich). In diesem Fall gilt das Gebot der Rücksichtnahme für Radfahrer und Fußgänger gleichermaßen. Dennoch sieht das LG Münster eine erhöhte Rücksichtnahmepflicht von Radfahrern, insbesondere wenn das Rad durch einen Motor unterstützt wird (E-Bike, Pedelec). Wegen der deutlich langsameren Gehgeschwindigkeit von Fußgängern müssten Radfahrer immer damit rechnen, dass Fußgänger plötzlich die Gehrichtung oder die benutzte Seite wechseln (anders: OLG Nürnberg, Beschluss v. 31.1.2019, 2 U 1967/18). Selbst bei unbedachtem Verhalten des Fußgängers trifft in diesen Fällen nach Auffassung der meisten Gerichte die Radfahrer ein hälftiges Verschulden (LG Münster, Urteil v. 7.11.2018, 14 O 202/18).
Gehweg mit Zusatzschild: Fahrräder frei
Auf Gehwegen, die durch ein Zusatzschild für Radfahrer freigegeben sind, dürfen Radfahrer grundsätzlich nur Schrittgeschwindigkeit fahren. Dort sind Fußgänger praktisch immer im Vorrecht, denn der Radfahrer bewegt sich auf einem Gehweg, auf dem ihm ein bloß ein Nutzungsrecht eingeräumt wird. Den Belangen der Fußgänger kommt in diesem Fall ein besonderes Gewicht zu (OLG Celle, Beschluss v. 19.8.2019, 14 U 141/19). Gleiches gilt für Radfahren in Grünanlagen
Abstandhalten vor Hauswänden und Einfahrten
Häufig führen kombinierte Rad-/Gehwege unmittelbar an Hauswänden und Grundstücksausgängen vorbei. Bewegt sich der Radfahrer sehr dicht an einer Hauswand oder Grundstücksausfahrt, so kann den Radfahrer die alleinige Verantwortung für einen Zusammenstoß mit einem aus einer Hofeinfahrt heraustretenden Fußgänger treffen. Auf kombinierten Rad und Fußwegen, die an Häuser und Einfahrten vorbeiführen, muss der Radfahrer gegebenenfalls Schrittgeschwindigkeit fahren und einen möglichst großen Abstand halten, da er damit rechnen muss, dass Personen aus einem Hof oder einem Haus plötzlich die Fahrbahn betreten. (OLG Frankfurt, Urteil v. 9.10.2012, 22 U 10/11).
Besondere Rücksichtnahme auf Kinder und Jugendliche
Gegenüber Kindern und Jugendlichen besteht für Radfahrer eine erhöhte Pflicht zur Rücksichtnahme. Er muss immer damit rechnen, dass Kinder und auch Jugendliche plötzlich unbedacht den Radweg betreten. Fährt ein Radfahrer an einer Gruppe ins Gespräch vertiefter Jugendlicher mit hoher Geschwindigkeit unter Nutzung des Radweges nahe vorbei und kommt infolge einer unbedachten, in den Bereich des Radweges hineinragenden Bewegung eines Jugendlichen zu Fall, so hat er seinen Schaden zu 70 % selbst zu tragen (OLG Köln, Urteil v. 23.8.2000, 11 U 16/00).
Besondere Vorsicht an Engstellen
In der Praxis des Fahrradfahrens ein häufiges Problem: Eine Baustelle verursacht eine Engstelle, die von Radfahrern und Fußgängern nicht ohne teilweise Mitbenutzung des Rad- bzw. Gehweges passiert werden kann. Auch in diesem Fall gilt für Fahrradfahrer: Geschwindigkeit extrem reduzieren, andernfalls haftet er bei Verletzung eines Fußgängers für die Unfallfolgen zu 100 % (OLG München, Urteil v. 5.10.2012, 10 U 1869/12).
Rücksichtnahme gilt nicht nur für, sondern auch gegenüber Radfahrern
Trotz der umfangreichen Rechtsprechung zum Mitverschulden von Radfahrern bei Fußgängerunfällen haben Radfahrer natürlich nicht immer Schuld. So hat das OLG Hamm entschieden, dass ein Fußgänger, der einen deutlich erkennbaren Radweg schuldhaft unachtsam betritt, zu 100 % haftet, wenn der Radfahrer ein sofortiges Bremsmanöver einleitet, hierdurch stürzt und sich verletzt (OLG Hamm, Urteil v. 13.6.2024, 3 U 215/23).
Positiv für Radfahrer zu vermerken ist auch, dass im Verhältnis Radfahrer/Kfz in der Rechtsprechung häufiger die Rücksichtnahmepflicht der Autofahrer stärker gewichtet wird, denn dort ist - anders als gegenüber Fußgängern - der Radfahrer häufig der schwächere Verkehrsteilnehmer.
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