Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlußfrist für Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich verfassungsgemäß
Leitsatz (amtlich)
Die Anordnung einer Ausschlußfrist für die Stellung des Antrags auf Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42 Abs. 2 Satz 3 EStG) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Leitsatz (redaktionell)
Der Anspruch auf Erstattung zuviel gezahlter Steuern ist Eigentum i. S. des Art. 14 Abs. 1 GG und fällt daher in den Schutzbereich der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie; es handelt sich um ein vermögenswertes Recht, das dem Anspruchsinhaber als „sein Recht” – zu eigener Disposition – zugeordnet ist.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; EStG § 42 Abs. 2 S. 3; EStRG Art. 1 Nr. 54
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Vorlegungsbeschluss vom 21.12.1982; Aktenzeichen I 186/79 L) |
FG Düsseldorf (Vorlegungsbeschluss vom 21.12.1982; Aktenzeichen I 140/81 L) |
Tenor
§ 42 Absatz 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Artikels 1 Nummer 54 des Gesetzes zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung (Einkommensteuerreformgesetz – EStRG) vom 5. August 1974 (Bundesgesetzbl. I Seite 1769) und des Gesetzes zur Änderung der Antragsfrist für den Lohnsteuer-Jahresausgleich vom 27. September 1978 (Bundesgesetzbl. I Seite 1597) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Tatbestand
A.
Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, daß der Anspruch auf Lohnsteuer-Jahresausgleich bei schuldhafter Versäumung der Antragsfrist ersatzlos wegfällt.
I.
Die Erstattung zuviel gezahlter Lohnsteuer wurde für die in den Ausgangsverfahren maßgeblichen Jahre durch das Einkommensteuergesetz 1975 in der Fassung des Einkommensteuerreformgesetzes vom 5. August 1974 (BGBl. I S. 1769) geregelt:
§ 42
(1) …
(2) Der Lohnsteuer-Jahresausgleich wird nach Ablauf des Ausgleichsjahrs auf Antrag des Arbeitnehmers vom Finanzamt durchgeführt, soweit er nach § 42 b nicht vom Arbeitgeber durchgeführt worden ist. Bei Wegfall der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht kann der Lohnsteuer-Jahresausgleich sofort durchgeführt werden. Der Antrag ist spätestens am 31. Mai des dem Ausgleichsjahr folgenden Kalenderjahrs nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck zu stellen; die Frist kann nicht verlängert werden. …
(3) bis (5) …
Durch das Gesetz zur Änderung der Antragsfrist für den Lohnsteuer-Jahresausgleich vom 27. September 1978 (BGBl. I S. 1597) wurde die Antragsfrist bis zum 30. September verlängert.
In Rechtsprechung und Lehre besteht Einigkeit darüber, daß der Erstattungsanspruch erlischt, wenn nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist beim zuständigen Finanzamt Antrag auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahreausgleichs gestellt wird.
II.
1. Die Kläger des Ausgangsverfahrens zu 1 BvL 17/83 sind Eheleute; der Ehemann erzielte im Jahre 1977 als Schlosser bei einer Maschinenfabrik Arbeitslohn. Zusammen mit seiner Ehefrau, die keine Einkünfte erzielt hatte, beantragte er am 11. Oktober 1978, beraten durch einen Lohnsteuerhilfeverein, die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs. Darin machte er Werbungskosten und Sonderausgaben geltend. Mit Bescheid vom 23. Oktober 1978 lehnte das Finanzamt den Antrag ab, weil der Kläger die Ausschlußfrist des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht eingehalten habe. Mit Schreiben vom 4. November 1978 teilte der Lohnsteuerhilfeverein dem Finanzamt mit, der Leiter der örtlichen Beratungsstelle habe den Lohnsteuer-Ausgleichsantrag des Klägers und die Unterlagen dazu eigenmächtig an sich genommen und erst aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung vom 21. September 1978 herausgegeben. In der verbleibenden Zeit bis 30. September 1978 hätte der Ausgleichsantrag des Klägers nicht mehr abschließend bearbeitet werden können.
Das Finanzamt behandelte das Schreiben als Einspruch und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Den Einspruch wies es zurück; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil der Lohnsteuerhilfeverein am 21. September 1978 unschwer hätte feststellen können, daß im Falle des Klägers keine Einkommensteuerveranlagung, sondern nur ein Lohnsteuer-Jahresausgleich in Betracht komme. Derartige Fälle hätten bevorzugt bis Ende September 1978 bearbeitet werden können. Das Verschulden des Lohnsteuerhilfevereins müsse sich der Kläger zurechnen lassen.
Mit der beim Finanzgericht erhobenen Klage verfolgte der Kläger seinen Wiedereinsetzungsantrag weiter. Dagegen machte das Finanzamt geltend, der Kläger habe nicht zur Einkommensteuer veranlagt werden und auch nicht mit einer Veranlagung rechnen können. Schon für das Vorjahr sei auf seinen Antrag ein Lohnsteuer-Jahresausgleich durchgeführt worden. Es liege kein sogenannter Wechselfall vor, bei dem ein unverschuldeter Irrtum darüber, daß eine Einkommensteuerveranlagung nicht mehr durchzuführen sei, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könne. Der Lohnsteuerhilfeverein habe die verspätete Abgabe des Antrags verschuldet; das Verschulden sei dem Kläger zuzurechnen.
2. Die Kläger des Ausgangsverfahrens zu 1 BvL 19/83 sind ebenfalls Eheleute. Der Ehemann war seit dem Veranlagungszeitraum 1977 Geschäftsführer einer GmbH und bezog ein Gehalt, das dem Lohnsteuerabzug unterlag, während er vorher als Mitunternehmer einer Personengesellschaft zusammen mit seiner Frau, die in dem Betrieb als Angestellte mitarbeitete, zur Einkommensteuer veranlagt worden war. Bereits für 1977 wurde lediglich der Lohnsteuer-Jahresausgleich durchgeführt. Für das Jahr 1978 gaben die Kläger am 23. Juni 1980 unter Mitwirkung ihres Steuerberaters eine Einkommensteuererklärung ab. Nach den vorgelegten Lohnsteuerkarten hatten beide zusammen nur Arbeitslohn in einer Höhe erzielt, die unter der Veranlagungsgrenze gemäß § 46 EStG lag. Die Kläger machten Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen geltend. Das Finanzamt lehnte die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs ab, weil die Kläger die Antragsfrist nicht eingehalten hätten.
Die Kläger legten durch ihren Steuerberater Einspruch ein und beriefen sich darauf, daß das Finanzgericht im Normenkontrollverfahren 1 BvL 131/78 (BVerfGE 56, 128) die Ausschlußfrist für den Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich als verfassungswidrig angesehen habe. Hilfsweise beantragten sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ohne allerdings Entschuldigungsgründe für die Fristüberschreitung anzuführen. Im Hinblick auf das Verfahren 1 BvL 131/78 wurde das Einspruchsverfahren zunächst nicht bearbeitet. Nachdem das Bundesverfassungsgericht diese Vorlage für unzulässig erklärt hatte, wies das Finanzamt den Einspruch zurück. Mit ihrer Klage machen die Kläger geltend, das frühere Normenkontrollverfahren habe nicht die erwünschte Klärung gebracht, ob die Ausschlußfrist des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG verfassungsgemäß sei. Inhaltlich sei dem damaligen Vorlagebeschluß des Finanzgerichts beizutreten. Das Finanzamt trat der Klage entgegen.
3. Das Finanzgericht hat die Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt,
ob § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Antragsfrist für den Lohnsteuer-Jahresausgleich mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit darin für den Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich eine Ausschlußfrist gesetzt wird, deren schuldhafte Versäumung den Verlust des Erstattungsanspruchs zur Folge hat.
Zur Begründung hat das Finanzgericht ausgeführt, es wolle den Klagen stattgeben, obwohl die Ausschlußfrist versäumt worden sei. Hierfür komme es darauf an, ob § 42 Abs. Satz 3 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Sei das der Fall, müßten die Klagen abgewiesen werden, weil die Kläger die Frist zur Abgabe des Antrags auf Lohnsteuer-Jahresausgleich schuldhaft versäumt hätten. Andernfalls sei den Klagen trotz Fristversäumung stattzugeben. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO 1977) komme nicht in Betracht. Die Kläger hätten es zu vertreten, daß sie die am 30. September abgelaufene Ausschlußfrist nicht eingehalten hätten.
Die Ausschlußfrist des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG sei mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar, weil die schuldhafte Versäumung dieser Frist zu einem Verlust des materiellen Erstattungsanspruchs führe. Diese Regelung verletze die Eigentumsgarantie in der besonderer Ausprägung, die sie durch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und das Sozialstaatsprinzip erfahren habe. Der Anspruch auf Erstattung überzahlter Lohnsteuer sei durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt.
Zwar sei der Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt, Ansprüche einer zeitlichen Begrenzung zu unterwerfen. Eine von den Verjährungsregeln abweichende kürzere Befristung des Anspruchs müsse aber das Ergebnis einer Interessenabwägung sein, bei der die Grenze zur Enteignung mit Hilfe der Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gezogen werde. Diese Grundsätze seien in § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht beachtet. Das Erlöschen des Anspruchs bei Versäumung der Frist verletze das Übermaßverbot. Die Herstellung des Rechtsfriedens und der Budgetsicherheit könnten die kurze Ausschlußfrist überhaupt nicht rechtfertigen. Zwar könnten auch Belange der Verwaltungsorganisation das Setzen von Ausschlußfristen rechtfertigen; der Gesetzgeber hätte den Belangen der Verwaltungsorganisation vorliegend aber auch durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen – etwa durch die Auferlegung von „Verzögerungsgebühren” (ähnlich den Verspätungszuschlägen) – gerecht werden können. Der in der kurzen Ausschlußfrist liegende Nachteil stehe in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zu dem hieraus für die Allgemeinheit erwachsenden Vorteil. Im übrigen zeige die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zur Änderung der Antragsfrist für den Lohnsteuer-Jahresausgleich, daß Belange der Verwaltung überbewertet worden seien. Man müsse mit der Bundesregierung der Auffassung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages darin zustimmen, daß die „besondere Strenge einer Ausschlußfrist … nicht (mehr) durch einen begrenzten Verfahrensvereinfachungseffekt im Verwaltungsinteresse zu rechtfertigen” sei (BTDrucks. 8/1924).
Die Frist für den Jahresausgleich könne überdies leicht dadurch umgangen werden, daß Steuerpflichtige eine Einkommensteuererklärung einreichten und darin erdichtete Nebeneinkünfte von mehr als 800,– DM angäben. Sie verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Sie benachteilige die nicht zu veranlagenden Arbeitnehmer gegenüber den zu veranlagenden Steuerpflichtigen ohne hinreichenden sachlichen Grund und sei deshalb willkürlich. Aus den Besonderheiten des Lohnsteuerabzugsverfahrens sei keine sachliche Rechtfertigung für die in der Ausschlußfrist liegende Diskriminierung zu gewinnen. Das Lohnsteuerrecht bezwecke eine vereinfachende und damit praktikable Steuererhebung. Das rechtfertige Vereinfachungen und Vergröberungen beim Lohnsteuerabzug, nicht aber bei der Lohnsteuererstattung. Die besondere Strenge der Ausschlußfrist betreffe schließlich eine sozial schwächere Schicht und verstoße deshalb auch gegen das Sozialstaatsprinzip.
III.
Zu den Vorlagen haben sich der Bundesminister der Finanzen namens der Bundesregierung und der Bundesfinanzhof geäußert.
1. Nach Ansicht des Bundesministers hat der Gesetzgeber bei der Bestimmung der Ausschlußfrist gemäß § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Die Ausschlußfrist sei ein geeignetes und notwendiges, nicht übermäßig belastendes und deshalb zumutbares Mittel, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Die Anträge auf Lohnsteuer-Jahresausgleich sollten kurzfristig nach Ablauf des Ausgleichsjahrs bearbeitet sowie die Erstattungsbeträge ausgezahlt werden. Diese Ziele würden durch die Ausschlußfrist erreicht. Die vom Finanzgericht bevorzugte „Verzögerungsgebühr” sei hierzu ungeeignet. Die hohen Fallzahlen verlangten ein als Massenverfahren ausgestaltetes Jahresausgleichsverfahren mit einem straff organisierten Verfahrensablauf und grundsätzlich eine Erledigung innerhalb eines Kalenderjahres. Die Ausschlußfrist sei auch nicht unverhältnismäßig. Dabei sei zu berücksichtigen, daß es zur Fristwahrung ausreiche, in den eigenhändig unterschriebenen Vordruck die Personalangaben, die Angaben über den Brutto-Arbeitslohn und über die einbehaltene Lohnsteuer einzutragen. Die Regelung sei auch nicht übermäßig belastend. Sie übe nur einen indirekten, in den meisten Fällen kaum fühlbaren Zwang zur fristgerechten Abgabe des Ausgleichsantrags aus. Der im Einzelfall endgültige Verlust des Erstattungsanspruchs stelle lediglich die besondere Wirkung der zulässigen Ausschlußfrist dar. Er stehe in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen. Entgegen der Ansicht des vorlegenden Gerichts müsse zwischen dem Verlust des Erstattungsanspruchs im Einzelfall und den allgemeinen Auswirkungen zu Lasten der Mehrzahl der übrigen Antragsteller sowie dem Verwaltungsmehraufwand bei der Finanzverwaltung abgewogen werden. Die Allgemeinheit sei unter anderem hinsichtlich der Gewährung von Wohnungsbau- und Sparprämien betroffen; die geltende Ausschlußfrist erleichtere das Prämienverfahren. Außerdem seien Auswirkungen auf die Lohnsteuerstatistik und die Lohnsteuerzerlegung zu befürchten, die auf dem Stichtag 31. Dezember aufbauten. Eine Verzögerung in der Bearbeitung von Ausgleichsanträgen würde zu Verschiebungen des den einzelnen Gemeinden zuzurechnenden Anteils führen. Härten könnten durch eine nicht allzu engherzige Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vermieden werden. Auch eine Verletzung des Gleichheitssatzes und des Sozialstaatsprinzips scheide aus.
2. Der Bundesfinanzhof hat mitgeteilt, er habe sich bisher nur in einem Fall mit der Verfassungsmäßigkeit des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG 1975 befassen müssen. In einem Nichtzulassungsbeschluß vom 27. Juli 1979 – VI B 39/79 – habe er unter Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung zu § 4 Abs. 5 Satz 1 der früheren Jahresausgleichsverordnungen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift bejaht. Im übrigen hat er auf seine Stellungnahme zu einem Normenkontrollverfahren Bezug genommen, in der er die Verfassungsmäßigkeit des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG 1975 gleichfalls bejaht habe.
Entscheidungsgründe
B.
§ 42 Abs. 2 Satz 3 EStG in der für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
I.
Die zur Prüfung gestellte Vorschrift verstößt nicht gegen das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG).
1. Der Anspruch auf Erstattung zuviel gezahlter Steuern, der mit dem Ablauf des jeweiligen Abrechnungszeitraums entsteht, wird in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur im Ergebnis uneingeschränkt anerkannt. Er ist Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG und fällt daher in den Schutzbereich der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie; es handelt sich bei ihm um ein vermögenswertes Recht, das dem Anspruchsinhaber als „sein Recht” – zu eigener Disposition – zugeordnet ist.
2. Die Ausschlußfrist des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG in der zur Prüfung gestellten Fassung ist durch die Ermächtigung zur gesetzlichen Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) gedeckt.
a) Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ist hier maßgebend, obwohl die Versäumung der gesetzlichen Antragsfrist zum vollständigen Erlöschen des Erstattungsanspruchs führt. Eine Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) ist darin jedenfalls dann nicht zu erblicken, wenn das betreffende Recht infolge des ihm zugrunde liegenden Sachverhalts ohnehin besonders geltend gemacht werden muß und sein Erlöschen vom Berechtigten binnen angemessener Frist und in einfacher, leicht zu erfüllender Form verhindert werden kann. Beide Voraussetzungen sind beim Lohnsteuer-Jahresausgleich in der hier zur Prüfung gestellten Ausgestaltung gegeben.
b) Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den der Gesetzgeber auch bei der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) zu beachten hat, ist nicht verletzt. Er besagt, daß eine Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zweckes geeignet und erforderlich sein muß; sie ist geeignet, wenn der gewünschte Erfolg mit ihrer Hilfe gefördert werden kann, und erforderlich, wenn der Gesetzgeber kein anderes, das betreffende Grundrecht nicht oder doch weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte wählen können (vgl. BVerfGE 30, 292 (316); 63, 88 (115)). Ferner darf der mit der Maßnahme verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen (vgl. BVerfGE 27, 344 (352 f.); 65, 1 (54); st.Rspr.).
aa) Es kann dahingestellt bleiben, ob die vom Bundesminister der Finanzen geltend gemachten Gründe der Finanzplanung und der Datenverarbeitung die Regelung des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG zu rechtfertigen vermöchten. Jedenfalls ist es eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Erwägung des Gesetzgebers, daß das „Massengeschäft” des Lohnsteuer-Jahresausgleichs, bei dem alljährlich mehrere Millionen Anträge zu behandeln sind, binnen einer bestimmten Frist abgeschlossen werden soll. Dieser gesetzgeberische Zweck rechtfertigt die Anordnung einer Ausschlußfrist.
bb) Die Regelung fördert den vom Gesetzgeber angestrebten Zweck. Ohne eine Ausschlußfrist würde eine große Anzahl von Ausgleichsanträgen später als neun Monate nach dem Ende des Steuerjahres eingereicht.
cc) Es ist auch kein milderes, die Steuerpflichtigen weniger belastendes Mittel ersichtlich. Die vom vorlegenden Finanzgericht in diesem Zusammenhang erwogene Androhung von „Verzögerungszuschlägen” mag zwar imstande sein, die Zahl der verspäteten Ausgleichsanträge zu verringern; sie könnte aber nicht verhindern, daß sich Jahresausgleichsverfahren – ähnlich wie Veranlagungen – über Jahre verzögern und damit den Arbeitsablauf der Finanzbehörden erheblich erschweren.
dd) Schließlich steht der von § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG bewirkte Verlust des Erstattungsanspruchs nicht außer Verhältnis zu dem mit der Vorschrift angestrebten Zweck. Es mag sein, daß der Verlust den einzelnen Steuerpflichtigen je nach seiner wirtschaftlichen Lage spürbar trifft. Da dieser den ihm drohenden Schaden aber schon dadurch vermeiden kann, daß er innerhalb der gesetzlichen Frist einen unterschriebenen Antrag mit Angabe des Brutto-Arbeitslohns und der einbehaltenen Lohnsteuer einreicht, vermag auch dieser Gesichtspunkt die verfassungsrechtliche Beurteilung des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht zu beeinflussen. Hinzu kommt, daß in Härtefällen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann (§ 110 AO 1977).
II.
Auch im übrigen verstößt die zur Prüfung gestellte Vorschrift nicht gegen Verfassungsrecht.
1. Die Regelung des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG ist mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar. Die Ungleichbehandlung der verspätet eingehenden Ausgleichsanträge gegenüber den rechtzeitig eingegangenen rechtfertigt sich aus dem vom Gesetzgeber verfolgten, verfassungsrechtlich unbedenklichen Zweck (vgl. B I 2 b aa). Dasselbe gilt für die Ungleichbehandlung der lohnsteuerpflichtigen im Verhältnis zu den einkommensteuerpflichtigen Personen. Zwischen beiden Gruppen bestehen außerdem Unterschiede – beispielsweise hinsichtlich der Zulässigkeit von Steuernachforderungen und der Besteuerung von Nebeneinnahmen bis zu 800,– DM, welche die hier in Frage stehende Verschiedenbehandlung auch abgesehen von der Zielsetzung des Gesetzgebers gerechtfertigt erscheinen lassen. Daß der Steuerpflichtige durch die wahrheitswidrige Angabe von Nebeneinkünften die Veranlagung zur Einkommensteuer erreichen und die Ausschlußfrist gemäß § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG umgehen kann, mag im Einzelfall zutreffen. Es ist aber Sache der Finanzbehörden, solche Fälle zu ermitteln und die Veranlagung zu verweigern. Eine Vorschrift ist nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil sie mißbraucht oder umgangen werden kann.
2. Schließlich ist eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips nicht erkennbar. Für seine Konkretisierung ist in erster Linie der Gesetzgeber verantwortlich, dem dabei ein weiter Gestaltungsraum zur Verfügung steht. Es ist nicht ersichtlich, daß dessen Grenzen überschritten wären.
Fundstellen
Haufe-Index 1567771 |
NJW 1986, 1603 |