Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzlicher Richter: Änderung des Geschäftsverteilungsplans für ein einzelnes Verfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht einer Änderung der Zuständigkeit auch für bereits anhängige Verfahren jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt, zum Beispiel mehrere anhängige Verfahren und eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst und nicht aus sachwidrigen Gründen geschieht. Im Streitfall wurde im Beschluss des Präsidiums des Landgerichts nicht dargelegt, warum die Umverteilung eines einzelnen Verfahrens während des laufenden Geschäftsjahres notwendig war.
2. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt einen subjektiven Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Durch diese grundrechtsähnliche Gewährleistung wird das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht zu einem Kontrollorgan, das jeden einem Gericht unterlaufenden, die Zuständigkeit des Gerichts berührenden Verfahrensfehler korrigieren müsste. Vielmehr beurteilt das Bundesverfassungsgericht die Zuständigkeitsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG als Teil des rechtsstaatlichen Objektivitätsgebots, das auch die Beachtung der Kompetenzregeln fordert, die ihrerseits den oberen Fachgerichten die Kontrolle über die Befolgung der Zuständigkeitsordnung überträgt und auf den Instanzenzug begrenzt.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; GVG § 21e Abs. 3
Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 26.02.2003; Aktenzeichen 2 StR 2/03) |
LG Köln (Urteil vom 08.08.2002; Aktenzeichen B.110-17/02) |
Tenor
- Das Urteil des Landgerichts Köln vom 8. August 2002 – B.110-17/02 – und der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26. Februar 2003 – 2 StR 2/03 – verletzen die Rechte des Beschwerdeführers aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an eine andere Strafkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen.
- Das Land Nordrhein-Westfalen und die Bundesrepublik Deutschland haben dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen je zur Hälfte zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Änderung eines Geschäftsverteilungsplans gemäß § 21e Abs. 3 GVG, von der ausschließlich ein bereits anhängiges Verfahren erfasst wird.
I.
Das Landgericht (10. Strafkammer) verurteilte den Beschwerdeführer nach dreitägiger Hauptverhandlung zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe und ordnete seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung ist gemäß dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts die 13. Strafkammer zuständig gewesen. Mit Beschluss vom 20. Juni 2002 stellte das Präsidium des Landgerichts die Überlastung der 13. Strafkammer fest und übertrug die in der Zeit vom 1. bis 14. Juni 2002 bei ihr eingegangenen Anklagen in Haftsachen, wovon allein dieses Verfahren betroffen war, im Einvernehmen mit den Vorsitzenden der betroffenen Strafkammern auf die 10. Strafkammer. Eine Begründung ist nicht erfolgt.
In der Hauptverhandlung rügte der Beschwerdeführer vor Beginn seiner Vernehmung, das Gericht sei unter anderem deshalb nicht vorschriftsmäßig besetzt, weil die Änderung des Geschäftsverteilungsplans für bereits anhängige Verfahren gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter verstoße. Das Landgericht wies die Rüge als unbegründet zurück, weil eine Umverteilung auch bereits anhängige Verfahren erfassen dürfe.
Gegen das Urteil der 10. Strafkammer legte der Beschwerdeführer Revision ein, mit der er die allgemeine Sachrüge und unter anderem die Verfahrensrüge, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, erhob. Zur Begründung der Verfahrensrüge wiederholte er sein Vorbringen vor dem Landgericht; insbesondere wies er darauf hin, dass von der Umverteilung nur sein Verfahren erfasst worden sei.
Der Generalbundesanwalt beantragte, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Er war der Auffassung, dass eine Änderung der Geschäftsverteilung nach § 21e Abs. 3 GVG bereits anhängige Verfahren erfassen dürfe. Dies gelte auch, wenn sie nur ein Verfahren betreffe, sofern dies aufgrund objektiver und sachgerechter Kriterien erfolge. Ausweislich der Überlastungsanzeige des Vorsitzenden sei dies der Fall gewesen. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss ohne weitere Begründung.
II.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen das Urteil des Landgerichts und den Beschluss des Bundesgerichtshofs sowie mittelbar gegen § 66 StGB. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung “neben” der Verhängung einer zeitigen Freiheitsstrafe verstoße gegen Art. 103 Abs. 3 GG.
Das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei verletzt, weil die nachträgliche Änderung der Geschäftsverteilung für bereits anhängige Verfahren unzulässig sei.
III.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Äußerungsberechtigten die Möglichkeit zur Äußerung gegeben.
1. Die Bundesregierung und die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen haben von einer Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde abgesehen.
2. Der Bundesgerichtshof hat auf seine Rechtsprechung verwiesen (vgl. BGHSt 44, 161; Urteil vom 2. Dezember 2003 – 1 StR 102/03 –, veröffentlicht in JURIS, jeweils m.w.N.), wonach eine Änderung der Geschäftsverteilung während des Geschäftsjahres unter den Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG auch bereits anhängige Verfahren erfassen dürfe. Die Notwendigkeit der Umverteilung auch bereits anhängiger Verfahren folge aus dem Gebot der beschleunigten Verfahrensförderung in Haftsachen und aus dem Umstand, dass von der Justiz zu verantwortende Verfahrensverzögerungen rechtsstaatswidrig sein können. Dieser Anspruch des Angeklagten auf eine Entscheidung in angemessener Zeit stehe im Spannungsfeld mit der Garantie des gesetzlichen Richters, die in ihrer Wirkkraft beachtet werden müsse. Die prozedurale Ansiedlung der Geschäftsverteilungsbefugnis beim Präsidium biete hinreichende Gewähr dafür, dass willkürliche Änderungen der Geschäftsverteilung unterblieben.
3. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Stellungnahmen mehrerer Senate übersandt, die insgesamt kein einheitliches Bild liefern. Zum Teil verweisen die Senate darauf, dass eine Umverteilung, die auch anhängige Verfahren erfassen dürfe, lediglich am Willkürmaßstab zu prüfen sei. Teilweise bejahen sie unter Hinweis auf § 21e Abs. 4 GVG die Zulässigkeit der Umverteilung anhängiger Verfahren.
4. Die Stellungnahmen des Bundesfinanzhofs und des Bundessozialgerichts gehen von der Zulässigkeit der Umverteilung anhängiger Verfahren aus, ohne zu erörtern, ob dies auch für den Fall der Umverteilung ausschließlich anhängiger Verfahren gilt. Ferner soll bei Präsidiumsentscheidungen zur Umverteilung eine Vermutung gegen eine sachwidrige Manipulation sprechen.
5. Das Bundesarbeitsgericht verweist darauf, dass die Parteien der bereits anhängigen Verfahren bei der Umverteilung ausschließlich anhängiger Verfahren in gleicher Weise betroffen würden wie dann, wenn zugleich eine unbestimmte Anzahl künftiger Verfahren erfasst werde. Entscheidend sei allein die Sachgerechtigkeit der – ohne Ansehung der Parteien erfolgenden – Umverteilungsregelung.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gerügt wird, in einer die Zuständigkeit der Kammer ergebenden Weise offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgebenden Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die im Präsidiumsbeschluss vom 20. Juni 2002 enthaltene Änderung des Geschäftsverteilungsplans für das Jahr 2002 verletzt das Recht des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Urteil der 10. Strafkammer ist infolgedessen nicht durch den gesetzlichen Richter ergangen (1.). Mit der Verwerfung der Revision hat das Revisionsgericht diese Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts perpetuiert (2.). Demgegenüber verstößt die Verhängung der Sicherungsverwahrung nicht gegen Art. 103 Abs. 3 GG. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet (3.).
1. a) Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es soll vermieden werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung – gleichgültig von welcher Seite – beeinflusst werden kann (vgl. BVerfGE 17, 294 ≪299≫; 48, 246 ≪254≫; 82, 286 ≪296≫; 95, 322 ≪327≫). Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 4, 412 ≪416, 418≫; 95, 322 ≪327≫).
Aus diesem Zweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt, dass die Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind. Auch die die gesetzlichen Bestimmungen ergänzenden Regelungen über die Geschäftsverteilung in den jährlich aufzustellenden Geschäftsverteilungsplänen der Gerichte, die die Zuständigkeit der jeweiligen Spruchkörper festlegen und diesen die erforderlichen Richter zuweisen, müssen die wesentlichen Merkmale gesetzlicher Vorschriften aufweisen (vgl. BVerfGE 17, 294 ≪299≫; 18, 344 ≪349≫; 95, 322 ≪328≫). Sie müssen also zum einen der Schriftform genügen und zum anderen im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache “blindlings” aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGE 4, 412 ≪416≫; 82, 286 ≪298≫; 95, 322 ≪329≫).
Das aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Gebot, die zur Entscheidung berufenen Richter so eindeutig und genau wie möglich durch eine generell-abstrakte Regelung für ein Geschäftsjahr im Voraus zu bestimmen, schließt Neuregelungen nicht aus, die die so beschlossene Neuordnung während des laufenden Geschäftsjahres ändern. Die Rechtsprechungstätigkeit der Gerichte und ihrer Spruchkörper oder Abteilungen wird immer wieder auch mit nicht vorhersehbaren Ereignissen und Entwicklungen wie Überlastung, unzureichender oder ungleicher Auslastung, Ausscheiden oder langfristiger Verhinderung einzelner Richter konfrontiert. Solche Umstände erfordern ein Eingreifen des Spruchkörpers oder des Präsidiums, um die Effizienz des Geschäftsablaufs zu erhalten oder wiederherzustellen (vgl. BVerfGE 17, 294 ≪300≫; 18, 344 ≪349≫; 95, 322 ≪332 f.≫).
Eine nachträgliche Änderung der Geschäftsverteilung kann geboten sein, wenn nur auf diese Weise dem Verfassungsgebot einer Gewährleistung von Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit (vgl. BVerfGE 55, 349 ≪369≫; vgl. auch BVerfGE 60, 253 ≪269 f.≫; 78, 165 ≪178≫; 88, 118 ≪124≫), insbesondere einer beschleunigten Behandlung von Strafsachen (vgl. zuletzt: Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2003 – 2 BvR 327/02 –, NJW 2003, S. 2225, und vom 25. Juli 2003 – 2 BvR 153/03 –, NJW 2003, S. 2897, sowie Beschluss vom 21. Januar 2004 – 2 BvR 1471/03 –, JURIS), nachzukommen ist. Das durch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), die Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und, soweit Untersuchungshaft vollzogen wird, das Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) mit Verfassungsrang ausgestattete und darüber hinaus auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gegründete Gebot, anhängige Sachen zügig zu entscheiden, lässt das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) aber nicht vollständig zurücktreten. Vielmehr besteht Anspruch auf eine zügige Entscheidung durch den gesetzlichen Richter.
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht daher einer Änderung der Zuständigkeit auch für bereits anhängige Verfahren jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt, zum Beispiel mehrere anhängige Verfahren und eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst und nicht aus sachwidrigen Gründen geschieht (vgl. BVerfGE 24, 33 ≪54 f.≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. September 2002 – 2 BvR 1843/00 –, NJW 2003, S. 345; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Oktober 2002 – 2 BvR 1837/00 –, veröffentlicht in Juris; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 1988 – 1 BvR 155/85 u.a. –, NJW 1989, S. 382 ≪383≫; vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. November 1978 – 1 C 33/78 –, DÖV 1979, S. 299 f.; Degenhardt, in: Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 101 Rn. 12; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Kommentar zum Grundgesetz, Band III, Art. 101 Rn. 18; Wassermann, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 101 Rn. 16; Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, 2002, S. 258; Kissel, GVG, 3. Aufl., § 21e Rn. 99). Ob es darüber hinaus Konstellationen geben kann, in denen die Umverteilung ausschließlich bereits anhängiger Verfahren als ultima ratio geboten ist, um die konfligierenden Verfassungsgüter angemessen zur Geltung zu bringen, bedarf hier keiner Entscheidung. In einem solchen Fall wird es jedenfalls nahe liegen, die Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern, zu dokumentieren und den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu geben, um dem Anschein einer willkürlichen Zuständigkeitsverschiebung entgegen zu wirken. Ebenso könnte es nahe liegen, in derartigen Fällen die Vertreter der Mitglieder des zu entlastenden Spruchkörpers vorrangig mit der Rechtsprechungsaufgabe zu betrauen.
Gleichgültig, ob ausschließlich anhängige Verfahren oder daneben auch zukünftig eingehende Verfahren umverteilt werden, muss jedoch jede Umverteilung während des laufenden Geschäftsjahres, die bereits anhängige Verfahren erfasst, geeignet sein, die Effizienz des Geschäftsablaufs zu erhalten oder wiederherzustellen. Änderungen der Geschäftsverteilung, die hierzu nicht geeignet sind, können vor Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG keinen Bestand haben.
b) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt einen subjektiven Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Durch diese grundrechtsähnliche Gewährleistung wird das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht zu einem Kontrollorgan, das jeden einem Gericht unterlaufenden, die Zuständigkeit des Gerichts berührenden Verfahrensfehler korrigieren müsste. Vielmehr beurteilt das Bundesverfassungsgericht die Zuständigkeitsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG als Teil des rechtsstaatlichen Objektivitätsgebots, das auch die Beachtung der Kompetenzregeln fordert, die ihrerseits den oberen Fachgerichten die Kontrolle über die Befolgung der Zuständigkeitsordnung überträgt und auf den Instanzenzug begrenzt.
Das Bundesverfassungsgericht beanstandet deshalb die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪194≫ unter Hinweis auf BVerfGE 29, 198 ≪207≫). Das vorliegende Verfahren betrifft demgegenüber jedoch nicht die fehlerhafte Auslegung oder Anwendung einer Zuständigkeitsregel (etwa eines Geschäftsverteilungsplans oder der Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG) durch das Gericht, sondern die Verfassungsmäßigkeit der Regelung im Geschäftsverteilungsplan, die der Rechtsanwendung zugrunde lag. Der Kontrollmaßstab des Bundesverfassungsgerichts geht daher über eine reine Willkürprüfung hinaus und erfasst jede Rechtswidrigkeit (Gummer, in: Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 21e GVG Rn. 52; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juni 1984 – 6 C 35.83 –, NJW 1984, S. 2961; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 1986 – 4 CB 4.86 –, NJW 1987, S. 2031 ≪2032≫; Sowada, a.a.O., S. 259 dort Fn. 158; a.A. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Oktober 1990 – 3 C 19.88 –, NJW 1991, S. 1370 ≪1371≫).
c) Der Beschluss des Präsidiums des Landgerichts Köln vom 20. Juli 2002, mit dem allein das anhängige Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer von der im Jahresgeschäftsverteilungsplan generell-abstrakt vorausbestimmten Strafkammer auf eine andere Strafkammer übertragen wurde, wird den Anforderungen nicht gerecht, die das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) an eine nachträgliche Zuständigkeitsänderung stellt. Die vom Präsidium des Landgerichts bestimmten Richter waren nicht die gesetzlichen Richter, so dass ihr Urteil das grundrechtsgleiche Recht des Beschwerdeführers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.
Dem Beschluss des Präsidiums sind die Umstände, die zu der festgestellten Überlastung der ursprünglich zuständigen Strafkammer geführt haben könnten, nicht zu entnehmen. Eine eigene nachvollziehbare Darlegung oder einen Verweis auf eine anderweitige Dokumentation der Geschäftslast der Kammer und einer Prognose über ihre zukünftige Auslastung enthält der Beschluss nicht. Aus der Überlastungsanzeige des Vorsitzenden der ursprünglich zuständigen Strafkammer, auf die sich der Generalbundesanwalt zur Begründung seines Antrags im Revisionsverfahren bezogen hat, ergibt sich nicht, dass die nachträgliche Zuständigkeitsänderung geeignet war, um die Effizienz des Geschäftsablaufs wieder herzustellen.
In jenem Schreiben des Vorsitzenden an den Präsidenten des Landgerichts ist die Arbeitsbelastung nur zweier Richter der Kammer dargestellt, während die Besetzung der großen Strafkammer wenigstens drei Richter umfassen wird. Die Mitte Mai gezogene Folgerung einer vollständigen Auslastung der gesamten Kammer bis einschließlich Oktober durch eine ab Ende August an voraussichtlich 20 Verhandlungstagen zu erledigende Strafsache ist auch dann nicht nachvollziehbar, wenn zugleich auf den anstehenden Erholungsurlaub zweier Richter verwiesen wird. Es bleibt offen, weshalb die Kammer bis Ende August – also während ungefähr dreieinhalb Monaten seit der Überlastungsanzeige – nicht in der Lage sein sollte, eine der bei ihr anhängigen Strafsachen zu erledigen. Unerörtert bleibt auch, ob neben der ab Ende August zu verhandelnden Sache eine weitere Sache verhandelt werden könnte. Zu einer solchen Beurteilung hätte eine Darstellung des Umfangs der anhängigen Sachen beitragen können, eine Mitteilung, ob Anhaltspunkte für geständige Einlassungen des Angeklagten ersichtlich sind, und eine Prognose über die etwaige Reduzierung der Hauptverhandlungsbesetzung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG. Das gegen den Beschwerdeführer geführte Strafverfahren konnte in der vor deren Eingang bei der Kammer verfassten Überlastungsanzeige nicht erwähnt werden.
Weshalb es dennoch sachgerecht gewesen sein könnte, gerade nur dieses Verfahren, das schließlich auch ohne geständige Einlassungen nach nur dreitägiger Hauptverhandlung erledigt werden konnte, nachträglich einer anderen Kammer zuzuweisen, ergibt sich aus dem Präsidiumsbeschluss nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Dabei ist insbesondere nicht nachvollziehbar, warum nicht eines der in der Überlastungsanzeige aufgeführten Verfahren abgeleitet wurde, sondern das augenscheinlich recht überschaubare und schnell zu erledigende Verfahren gegen den Beschwerdeführer. Dass gerade die nachträgliche Zuweisung eines so vergleichsweise geringfügigen Verfahrens geeignet und erforderlich sein könnte, um eine Überlastung der ursprünglich zuständigen Kammer zu vermeiden oder zu beseitigen, erschließt sich aufgrund der fehlenden Darlegungen nicht.
d) Auf die Frage, ob die konkret getroffene Regelung, die zwar abstrakt formuliert war, jedoch – wie im Zeitpunkt der Beschlussfassung bereits bekannt war – nur ein einziges Verfahren erfasste, als verdeckte Einzelzuweisung zudem wegen Verstoßes gegen das Abstraktionsprinzip unzulässig war, kommt es nicht mehr an (vgl. insoweit Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. April 1992 – 2 StR 538/91 –, BGHR StPO § 338 Nr. 1 Geschäftsverteilungsplan 2; BGHSt 44, 161 ff.).
2. Da der Bundesgerichtshof auf die zulässige Revision das Urteil der 10. Strafkammer nicht aufgehoben hat, wirkt die Grundrechtsverletzung im Beschluss des Senats fort.
3. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Die von § 66 StGB ermöglichte Anordnung der Sicherungsverwahrung neben der Verhängung einer zeitigen Freiheitsstrafe verstößt nicht gegen das Verbot doppelter Bestrafung (vgl. Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 1902/01 und 2 BvR 2029/01 –).
V.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
BFH/NV Beilage 2005, 367 |
NJW 2005, 2689 |
NJW-Spezial 2005, 472 |
StraFo 2005, 195 |
BAnz 2006, 37 |
BFH/NV-Beilage 2005, 367 |
www.judicialis.de 2005 |