Entscheidungsstichwort (Thema)
BFH-Rechtsprechung zur Liebhaberei verfassungsgemäß. Vertrauensschutz in die Rechtsprechung und Rückwirkung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Rechtsprechung des BFH zur steuerlichen „Liebhaberei” ist verfassungsmäßig unbedenklich und beinhaltet keine gegen Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 20 Abs. 3 GG verstoßende rückwirkende steuerschärfende Analogie.
2. Die Grundsätze des Verbots der Rückwirkung und des Vertrauensschutzes, wie sie bei Gesetzesänderungen zu beachten sind, können nicht ohne weiteres auf Entscheidungen der Gerichte übertragen werden. Anderenfalls wären die Gerichte an eine einmal feststehende Rechtsprechung gebunden, auch wenn sich diese im Lichte geläuterter Erkenntnis oder angesichts des Wandels der sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse als nicht haltbar erweist.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1; EStG 1971 § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 15 Nr. 1
Verfahrensgang
Gründe
1. Der Bundesfinanzhof hat in Auslegung und Anwendung der §§ 2 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 15 Nr. 1 EStG 1971 in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise entschieden, daß der Beschwerdeführer in den Jahren 1971 bis 1973 Verluste aus einer einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Tätigkeit erzielt hat, die folglich auch nicht im Wege des Verlustausgleichs gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG 1971 mit anderen positiven Einkünften der Beschwerdeführer ausgeglichen werden können.
Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestands, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall obliegen allein den Fachgerichten und sind der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 25, 28 ≪35≫). Es ist nicht ersichtlich, daß der Bundesfinanzhof Bedeutung und Tragweite von Grundrechten verkannt oder außer acht gelassen hätte. Ebensowenig veranlaßt die Rechtsanwendung durch den Bundesfinanzhof den Schluß, sie könnte auf sachfremden, nicht mehr nachvollziehbaren Erwägungen beruhen und deshalb gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen (vgl. BVerfGE 20, 93 ≪97≫).
2. a) Zu Unrecht sehen die Beschwerdeführer in der Anwendung der Rechtsfigur der sogenannten steuerlichen Liebhaberei eine gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoßende rückwirkende steuerschärfende Analogie. Das Bundesverfassungsgericht hat die Aufgabe und Befugnis, der Gerichte zur richterlichen Rechtsfortbildung stets bejaht. Sie ist eine seit jeher anerkannte Funktion der Rechtsprechung und wird von zahlreichen Verfahrensregelungen gerade der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugewiesen (vgl. etwa § 11 Abs. 4 FGO; BVerfGE 25, 28 ≪35 und 40≫; 65, 182 ≪190≫ m.w.N.); 69, 188 ≪203≫).
Die Finanzrechtsprechung hat seit jeher den Gewerbebetrieb für den Bereich der Einkommensteuer und Gewerbesteuer als jede selbständige, nachhaltige Betätigung verstanden, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird, sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und weder zur Land- und Forstwirtschaft noch zu den freien Berufen gehört (vgl. RFHE 15, 347 ≪351≫; BFH, BStBl. III 1960 S. 324 f.; BFH, BStBl. II 1973 S. 260; BStBl. II 1980 S. 389; Schmidt-Liebig, Steuer und Wirtschaft 1977, S. 302 ≪304≫; Littmann, EStG, 14. Aufl., § 15 Rdz. 1). Sowohl die Gewerbesteuerdurchführungsverordnung von 1955 als auch der durch das Steuerentlastungsgesetz 1984 (BGBl. 1 1983 S. 1583) in § 15 EStG neueingefügte Abs. 2 übernehmen lediglich die zuvor bereits im Wege der Auslegung von der Rechtsprechung entwickelte Definition des Gewerbebetriebs (vgl. Blümich/Falk, EStG, 11. Auflage § 15 Rdz. 5).
b) Der Begriff der Liebhaberei ist bis heute im Einkommensteuerrecht nicht ausdrücklich umschrieben. Bereits der Reichsfinanzhof hatte jedoch in Auslegung des Einkommensteuergesetzes insbesondere aus dem Zweck, dem Reiche Einnahmen zu verschaffen, gefolgert, daß die im Einkommensteuerrecht aufgezählten Einkunftsarten eine Beteiligung am Wirtschaftsleben voraussetzen und ein wesentliches Merkmal dieser Tätigkeit nicht nur das Streben nach Erzielung von Einnahmen, sondern von Einkommen im Sinne eines Gewinns sei (vgl. RFH, RStBl. 1929 S. 329). Die Rechtsprechung hat ab 1934 dieses Streben nach Einkunftserzielung zwar im wesentlichen nach einem objektiven Maßstab, nämlich nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen bestimmt und der subjektiven Einstellung des Betriebsinhabers nur noch in Grenzfällen Bedeutung beigemessen (vgl. RFH, RStBl. 1934 S. 501; ebenso BFH, BStBl. III 1954 S. 197). Erst die jüngere Rechtsprechung wendet bei der Beantwortung der Frage, ob Gewinnerzielungsabsicht vorliegt, wieder die subjektive Betrachtungsweise an (vgl. Beschluß des Großen Senats vom 25. Juni 1984 – GrS 4/82 –, BStBl, II 1984 S. 751 ≪766≫ m.w.N.). Die Rechtsprechung folgt damit einer in der finanzgerichtlichen und überwiegend auch in der steuerrechtlichen Literatur vertretenen Forderung (vgl. Lang, Steuer und Wirtschaft 1981, S. 223 ≪225≫ m.umf.N.).
Der Bundesfinanzhof ist zu einer solchen Weiterentwicklung auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) befugt (BVerfGE 18, 224 ≪290≫). Die Grundsätze des Verbots der Rückwirkung und des Vertrauensschutzes, wie sie bei Gesetzesänderungen zu beachten sind, können nicht ohne weiteres auf Entscheidungen der Gerichte übertragen werden. Anderenfalls wären die Gerichte an eine einmal feststehende Rechtsprechung gebunden, auch wenn sich diese im Lichte geläuterter Erkenntnis oder angesichts des Wandels der sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse als nicht haltbar erweist (vgl. BVerfGE 18, 224 ≪240≫; 19, 38 ≪47≫; 59, 128 ≪165≫). Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwiefern die Beschwerdeführer durch die subjektive Betrachtungsweise zusätzlich beschwert sein sollen. Ergab sich nach früherer Rechtsprechung bei objektiver Beurteilung, daß ein Betrieb nicht geeignet war, nachhaltig Gewinn zu erwirtschaften, so nützte es dem Steuerpflichtigen nichts, wenn er Umstände für seine Gewinnabsicht darlegen und glaubhaft machen konnte. Nach der gewandelten Rechtsprechung läßt die objektive Feststellung, daß mit einem Totalgewinn nicht zu rechnen sei, noch nicht den Schluß auf eine fehlende Gewinnabsicht zu. Vielmehr sind weitere Beweisanzeichen erforderlich. Insbesondere kann aber der Steuerpflichtige jetzt darlegen und glaubhaft machen, daß er die voraussichtlich nicht zu einem Totalgewinn führende Tätigkeit nicht aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen oder Neigungen ausübt, wie dies etwa für die von den Beschwerdeführern angeführten Unternehmungen ohne weiteres möglich ist (vgl. Söffing, NWB, Fach 3, s. 6257 ≪6259≫).
3. Eine steuerliche Schlechterstellung der Beschwerdeführer im Vergleich zu Ledigen allein deshalb, weil sie verheiratet sind und damit ein Verstoß gegen das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Diskriminierungsverbot (BVerfGE 69, 188 ≪205≫) liegt offensichtlich nicht vor. Kann der dem Beschwerdeführer entstandene Verlust steuerlich nicht anerkannt werden, so kommt ein Verlustausgleich mit positiven Einkünften des anderen Ehegatten, der überhaupt nur im Falle der Zusammenveranlagung (vgl. § 26 b Satz 2 EStG) durch die Zusammenrechnung der jeweiligen Einkünfte der Ehegatten ermöglicht wird, zwangsläufig nicht in Betracht.
4. Die angegriffene Entscheidung des Bundesfinanzhofs läßt auch keine Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG erkennen.
a) Zu Recht hat der Bundesfinanzhof die Feststellungslast für die Voraussetzungen der gewerblichen Verluste den Beschwerdeführern auferlegt (vgl. BFH, BStBI. II 1977 S. 728 ≪729≫ Dies entspricht dem generellen Grundsatz im Steuerprozeß, wonach jeder Beteiligte die Beweislast für das Vorhandensein aller – auch der negativen – Voraussetzungen derjenigen Normen trägt, ohne deren Anwendung sein Prozeßbegehren keinen Erfolg haben kann (vgl. Tipke/Kruse, AO und FGO, § 96 FGO Rdz. 17 lit. f).
Die Beweislast wird den Steuerpflichtigen in derartigen Fällen zum einen durch die vom Bundesfinanzhof bei Gewerbebetrieben angewendeten Grundsätze des Anscheinsbeweises erleichtert, den das Finanzamt zunächst zu entkräften hat, zum anderen genügt es, wenn der Steuerpflichtige objektive Tatsachen darlegt und glaubhaft macht, die den Schluß auf eine Gewinnerzielungsabsicht rechtfertigen. Derartige Umstände haben die Beschwerdeführer jedoch gerade nicht geltend gemacht.
b) Sollten die Beschwerdeführer mit ihren Ausführungen zu den sogenannten Phantom-Normen zum Ausdruck bringen wollen, daß sie sich insoweit nicht hätten äußern können und ihr Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG gerade dadurch verletzt worden sei, so ist die Rüge jedenfalls nicht hinreichend substantiiert. Hierzu hätten die Beschwerdeführer auch vortragen müssen, was sie im Falle hinreichender Gelegenheit noch geltend gemacht hätten. Nur dann kann das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob die angegriffene Entscheidung auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann (vgl. BVerfGE 28, 17 ≪19≫).
c) Soweit die Beschwerdeführer schließlich die Rechtsauffassung des Gerichts angreifen und die zureichende Prüfung anhand der vom Bundesfinanzhof aufgestellten Kriterien vermissen, umfaßt der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG derartige Sachverhalte nicht. Das Bundesverfassungsgericht ist auch zu einer solchen einfachrechtlichen Überprüfung grundsätzlich nicht befugt (vgl. Ziffer 1).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 34 Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen