Verfahrensgang
AG Ratingen (Beschluss vom 30.10.2002; Aktenzeichen 12 XVI 6/02) |
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Ratingen vom 30. Oktober 2002 – 12 XVI 6/02 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Rechtskraft der Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Ratingen zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Adoption ihrer volljährigen Tochter.
1. Die Beschwerdeführerin ist die Mutter der 1984 geborenen N…, heute S… Der Kindesvater verstarb 1986. Nachdem das Kind zunächst mit der Beschwerdeführerin allein gelebt hatte, lebte es seit 1989 – zunächst mit Einverständnis, später gegen den Willen der Beschwerdeführerin – größtenteils in der Familie S….
Im August 2002 beantragten das inzwischen volljährige Kind und die Eheleute S… beim Amtsgericht Ratingen – Vormundschaftsgericht – die Adoption. Mit Beschluss vom 30. Oktober 2002 sprach das Gericht die Annahme aus und bestimmte, die Wirkungen der Annahme richteten sich nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen (§ 1772 Abs. 1 BGB) sowie weiterhin nach §§ 1767 ff., 1741 ff., § 1755 Abs. 1, § 1757 Abs. 1 BGB. Die Beschwerdeführerin wurde am Verfahren nicht beteiligt.
Die Beschwerdeführerin erhielt durch Zufall von der Adoption Kenntnis und beantragte daraufhin Akteneinsicht. Mit Schreiben vom 4. Februar 2003 teilte das Amtsgericht Ratingen der Beschwerdeführerin mit, dass die Annahme erfolgt sei. Die beantragte Akteneinsicht wies das Gericht mit Beschluss vom 5. März 2003 zurück. Es sei kein rechtliches Interesse zu erkennen; bei Erwachsenen-Adoptionen seien die Eltern des Anzunehmenden nicht am Verfahren beteiligt. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin hin wies das Landgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 21. Juli 2003 das Amtsgericht an, der Anwältin der Beschwerdeführerin Akteneinsicht zu gewähren, die am 19. September 2003 erfolgt ist.
2. Mit ihrer am 11. März 2003 erhobenen Verfassungsbeschwerde begehrt die Beschwerdeführerin die Aufhebung des Adoptionsbeschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Vormundschaftsgericht. Im Hinblick auf die einschneidenden Wirkungen der Annahme auf die Verwandtschaftsbeziehungen hätte ihre Beteiligung am Verfahren nicht unterbleiben dürfen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist fristgemäß erhoben (§ 93 Abs. 1 BVerfGG).
a) Die Verfassungsbeschwerde gegen eine letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung ist binnen eines Monats einzulegen (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Nach § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG beginnt die Frist mit der Zustellung oder formlosen Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung, wenn diese nach den maßgeblichen Vorschriften von Amts wegen vorzunehmen ist. In Fällen der Nichtbeteiligung beginnt die Frist mit tatsächlicher Kenntnis von der vollständigen Entscheidung (vgl. BVerfGE 75, 201 ≪214≫).
b) Vorliegend hat die Beschwerdeführerin bereits Verfassungsbeschwerde erhoben, bevor sie die angegriffene Entscheidung durch die gewährte Akteneinsicht in vollständiger Form zur Kenntnis nehmen konnte. Hinsichtlich der Einhaltung der Monatsfrist bestehen daher keine Bedenken.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
a) aa) Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zählt das Recht auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪111≫). Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 103 Abs. 1 GG darf der Einzelne deshalb nicht zum bloßen Objekt staatlicher Entscheidung werden; ihm muss insbesondere die Möglichkeit gegeben werden, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 9, 89 ≪95≫; 65, 171 ≪174 f.≫). Dies setzt voraus, dass der Betroffene von dem Sachverhalt und dem Verfahren, in dem dieser verwertet werden soll, überhaupt Kenntnis erhält (vgl. BVerfGE 101, 397 ≪405≫).
bb) Die leiblichen Eltern des Anzunehmenden gehören zu den materiell Betroffenen bei einer Adoption (vgl. BVerfGE 92, 158 ≪183 f.≫). Ihre rechtlichen Interessen sind bei der Volljährigenadoption tangiert, wenn die Wirkungen der Minderjährigenannahme ausgesprochen werden sollen. Insbesondere erlöschen nach § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den bisherigen Eltern und dem von anderen Angenommenen. Die Annahme ist gemäß § 56e Satz 3 FGG unanfechtbar und entwickelt gegenüber Behörden und anderen Gerichten Tatbestandswirkung, so dass das Bestehen einer Familie zwischen den Annehmenden und dem Angenommenen nicht mehr in Frage gestellt werden darf. Aus diesen Gründen darf die Annahme dann nicht ausgesprochen werden, wenn ihr überwiegende Interessen der Eltern des Anzunehmenden entgegenstehen (§ 1772 Abs. 1 Satz 2 BGB). Um ihre Interessen im Verfahren darlegen zu können, müssen die Eltern von dem Annahmeverfahren in Kenntnis gesetzt werden.
b) Diesen Mindestanforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht.
Die Beschwerdeführerin war als leibliche Mutter von der Adoption ihrer Tochter mit den Wirkungen der Minderjährigenannahme in ihren Rechten betroffen. Gründe, die es gerechtfertigt hätten, von einer Beteiligung der Beschwerdeführerin am Verfahren abzusehen, sind nicht ersichtlich.
3. Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht auf der Verletzung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens. Es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht, hätte es die Belange der Beschwerdeführerin im Annahmeverfahren berücksichtigt, anders entschieden oder möglicherweise die Wirkungen der Vorschriften über die Minderjährigenannahme nicht bestimmt hätte.
4. Der Verstoß führt jedoch nicht zu einer Aufhebung des angegriffenen Adoptionsbeschlusses. Der Rechtsfolgenausspruch ist auf die Beseitigung der Rechtskraft des Adoptionsbeschlusses und die Zurückverweisung an das Vormundschaftsgericht zu beschränken. Das Amtsgericht hat unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin über die Aufrechterhaltung oder die Aufhebung des Adoptionsbeschlusses zu entscheiden.
a) Werden durch die Aufhebung einer gerichtlichen Entscheidung oder eines Verwaltungsaktes Rechte Dritter oder wesentliche öffentliche Interessen berührt, kann eine Beschränkung des Rechtsfolgenausspruchs zulässig und geboten sein (vgl. BVerfGE 84, 1 ≪5≫). Wird eine Volljährigenadoption unter Verletzung des Anspruchs auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren ausgesprochen, so ist nur die Beseitigung der Rechtskraft auszusprechen, damit das Fachgericht die versäumte Handlung nachholen und anschließend darüber entscheiden kann, ob der Adoptionsbeschluss rückwirkend aufzuheben oder aufrechtzuerhalten ist (vgl. BVerfGE 89, 381 ≪395 f.≫).
b) Vorliegend haben die Angenommene und die Annehmenden ein schutzwürdiges Interesse daran, dass der Status, der durch den Adoptionsbeschluss begründet worden ist, so lange nicht verändert wird, als nicht feststeht, ob das Vormundschaftsgericht nach Gewährung des rechtlichen Gehörs die Voraussetzungen für die Adoption verneinen oder weiter bejahen wird. Im Verhältnis dazu ist das Interesse der Beschwerdeführerin daran, dass die Statusentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht sofort und rückwirkend aufgehoben wird, von geringerem Gewicht.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen.
5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1853569 |
FamRZ 2008, 243 |
FamRB 2008, 139 |