Keine Höchstgrenze für Zeichenzahl von Dateinamen bei beA-Schriftsätzen
In einer Grundsatzentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klargestellt, dass Gerichte jegliche Schriftsätze bei einer Entscheidung zu berücksichtigen haben, die ein Anwalt entsprechend den fachrechtlichen Vorschriften über sein beA bei Gericht eingereicht hat. Die Anforderungen an die Eignung zur elektronischen Verarbeitung durch das Gericht sind laut BVerfG in der „Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung“ (ERVV) abschließend geregelt.
Widerspruch der Tochter gegen Adoption eines Volljährigen
Der Entscheidung des BVerfG lag ein Ausgangsverfahren zu Grunde, in dem die Beschwerdeführerin einer von ihrem Vater und seiner Ehefrau beabsichtigten Adoption eines Volljährigen widersprochen hatte. Die Beschwerdeführerin machte in einem ersten, an das Amtsgericht gerichteten Schriftsatz vom 2.6.2021 geltend, der Adoption stünden ihre Interessen als bisher alleinigen Erb- und Pflichtteilsberechtigten entgegen. In einem weiteren Schriftsatz vom 2.7.2021 legte ihr Anwalt ausführlich Umstände dar, die gegen das für eine Adoption erforderliche Näheverhältnis zwischen ihrem Vater und dem als Kind Anzunehmenden sprachen.
PDF-Datei mit langem Dateinamen
Dem über das beA eingereichten zweiten Schriftsatz vom 2.7.2021 war eine PDF-Datei beigefügt, die über einen Dateinamen mit mehr als 90 Zeichen verfügte. Der Eingang des Schriftsatzes beim AG wurde elektronisch bestätigt. Am 19.7.2021 teilte das AG dem Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin mit, die elektronische Nachricht vom 2.7.2021 könne wegen des langen Dateinamens nicht elektronisch verarbeitet werden. Der Bevollmächtigte solle die Nachricht erneut mit einem kürzeren Dateinamen übersenden.
Adoptionsbeschluss des AG
Bereits eine Woche vor Übersendung dieses Hinweises an den Verfahrensbevollmächtigten, hatte das AG am 12.7.2021 einen dem Adoptionsantrag stattgebenden Beschluss erlassen. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin eine Gehörsrüge, die das AG durch Beschluss vom 30.7.2021 zurückwies. Begründung: Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sei nicht ersichtlich. Es sei allein Aufgabe der Beschwerdeführerin, sicherzustellen, dass ihre über das beA eingereichten Stellungnahmen zur elektronischen Verarbeitung durch das Gericht geeignet sind und die zuständige Abteilung des Gerichts auch tatsächlich erreichen.
Verfassungsbeschwerde erfolgreich
Die gegen diese Entscheidung des AG eingereichte Verfassungsbeschwerde der Tochter hatte Erfolg. Nach Auffassung des BVerfG war der Schriftsatz ordnungsgemäß bei Gericht eingereicht. Gemäß § 13a Abs. 1, Abs. 2 ZPO müsse ein elektronisch bei Gericht eingereichtes Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Anforderungen an die Eignung für die elektronische Verarbeitung folgten gemäß § 130 a Abs. 2 Satz 3 ZPO aus der „Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung“ (ERVV).
Keine Obergrenze für Zeichenzahl bei Dateinamen
Die für den zulässigen Umfang der eingereichten Dokumente maßgeblichen Vorschriften der §§ 2 und 5 ERVV geben laut BVerfG
- Obergrenzen für die Anzahl elektronischer Dokumente pro Nachricht sowie
- Obergrenzen für das Gesamtvolumen elektronischer Dokumente pro Nachricht vor.
- Demgegenüber enthalte sowohl die ERVV als auch die auf der Grundlage des § 5 ERVV ergangene „Elektronischer-Rechtsverkehr-Bekanntmachung 2018“ (ERVB 2018) keine Höchstgrenze für die Zeichenzahl der verwendeten Dateinamen.
Damit stellte das BVerfG klar, dass ein im elektronischen Rechtsverkehr eingereichtes Dokument auch dann den Vorgaben der ERVV entspricht, wenn es mit einem ungewöhnlich langen Dateinamen versehen ist.
beA-Dokument enthielt entscheidungserhebliches Vorbringen
Der Schriftsatz vom 2.7.2021 enthielt nach der Bewertung des BVerfG entscheidungserheblichen Sachvortrag. Die dort gemachten Ausführungen beträfen sowohl das für eine Erwachsenenadoption gemäß § 1769 Abs. 1 BGB maßgebliche Näheverhältnis zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden als auch die der beabsichtigten Adoption möglicherweise entgegenstehenden Interessen der Tochter (BVerfG, Beschluss v. 20.10.2008, 1 BvR 291/06; OLG München, Beschluss v. 8.6.2009, 31 Wx 22/09).
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt
Die Gehörsrüge war nach Auffassung des BVerfG daher begründet. Der Adoptionsbeschluss habe die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Gericht habe den ordnungsgemäß eingereichten Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 2.7.2021 bei seiner Adoptionsentscheidung nicht übergehen dürfen.
AG muss erneut entscheiden
Auf Grundlage des festgestellten Gehörsverstoßes wies das BVerfG das Verfahren zur Gewährung des rechtlichen Gehörs an das AG zurück. Allerdings hob das BVerfG den angegriffenen Adoptionsbeschluss nicht auf, sondern beseitigte lediglich die Rechtskraft des Beschlusses. Unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin in dem Schriftsatz vom 2.7.2021 muss das AG nun darüber entscheiden, ob der Adoptionsbeschluss aufrechtzuerhalten ist oder nicht.
(BVerfG, Beschluss v. 16.2.2023, 1 BvR 1881/21)
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