Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Schließung der Höherversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung zum 31. Dezember 1997 durch Art. 1 Nr. 72 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 – RRG 1999) vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2998).
I.
1. Die durch Gesetz über die Höherversicherung in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten vom 14. März 1951 (BGBl I S. 188) neu geregelte Höherversicherung war, solange sie bestand, eine Privatversicherung in öffentlich-rechtlicher Einkleidung. Die Beiträge wurden nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnet und so bemessen, dass sich die Höherversicherung selbst finanzierte und die Versichertengemeinschaft nicht belastete (vgl. BSG SozR 2200 § 1262 Nr. 8, S. 14). Es wurden feststehende Steigerungsbeträge zur Rente geleistet, die – anders als die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung – nicht an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst wurden (vgl. Gürtner, in: Kasseler Kommentar, § 269 SGB VI Rn. 7, Stand: November 2006). Für die Beiträge zur Höherversicherung galten die Regelungen für freiwillige Beiträge entsprechend (§ 280 Abs. 1 SGB VI i.d.F. des Rentenreformgesetzes 1992). Sie konnten daher stufenlos in jeder Höhe zwischen dem Mindestbeitrag und dem auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze errechneten Höchstbetrag gezahlt werden (§ 161 Abs. 2 SGB VI i.d.F. des Rentenreformgesetzes 1992). Die Höhe der Steigerungsbeträge richtet sich insbesondere nach der Höhe der Beiträge und dem Alter im Zeitpunkt der Beitragszahlung.
2. Der im Jahr 1953 geborene Beschwerdeführer ist als Rentenberater versicherungspflichtig beschäftigt. Im November 1991 hatte er einen einmaligen Beitrag zur Höherversicherung in Höhe des Mindestbeitrags von 99 DM entrichtet. Wenig später beschränkte das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 – RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S. 2261) mit Wirkung zum 1. Januar 1992 die Möglichkeit, Beiträge zur Höherversicherung zu leisten. Seitdem konnten nur noch Versicherte Beiträge zur Höherversicherung zahlen, die schon vor dem 1. Januar 1992 von dem Recht der Höherversicherung Gebrauch gemacht hatten oder vor dem 1. Januar 1942 geboren waren (§ 234 SGB VI i.d.F. des Rentenreformgesetzes 1992). Mit der Aufhebung des § 234 SGB VI durch das Rentenreformgesetz 1999 wurde schließlich die Rechtsgrundlage für die erstmalige Zahlung von Beiträgen zur Höherversicherung als auch für die Fortsetzung einer schon begonnenen Höherversicherung mit Wirkung zum 1. Januar 1998 insgesamt abgeschafft. Die Vorschriften über die Leistung von Steigerungsbeträgen auf die bereits einbezahlten Beiträge (§ 269 SGB VI) galten unverändert fort.
3. Der Beschwerdeführer beantragte im März 1998 die Zulassung einer Beitragsentrichtung zur Höherversicherung auch nach deren gesetzlicher Schließung zum 31. Dezember 1997. Er blieb mit diesem Begehren in den Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erfolglos. Zuletzt wies das Bundessozialgericht die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts zurück.
4. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich unmittelbar gegen das Urteil des Bundessozialgerichts und mittelbar gegen Art. 1 Nr. 72 RRG 1999. Der Beschwerdeführer rügt insbesondere eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit durch die Schließung der Höherversicherung.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist ohne Aussicht auf Erfolg. Die Schließung der Höherversicherung zum 31. Dezember 1997 verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG). Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung liegt nicht vor.
1. Die Aufhebung der Rechtsgrundlage für die Zahlung von Beiträgen zur Höherversicherung (§ 234 SGB VI) lässt die in der Vergangenheit liegenden, bereits abgeschlossenen Sachverhalte unberührt. Auf die zuvor gezahlten Beiträge werden im Versicherungsfall unverändert Steigerungsbeträge nach den Bestimmungen des § 269 SGB VI geleistet. Eine “echte” Rückwirkung ist daher nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gegeben (vgl. BVerfGE 101, 239 ≪263≫).
2. Indem Versicherten die Möglichkeit genommen wurde, mit der Zahlung von weiteren Beiträgen die Höherversicherung über den 31. Dezember 1997 hinaus fortzusetzen, wirkt die Aufhebung des § 234 SGB VI auf einen gegenwärtig noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt für die Zukunft ein. Art. 1 Nr. 72 RRG 1999 entfaltet damit “unechte” Rückwirkung (vgl. BVerfGE 51, 356 ≪362≫). Regelungen mit unechter Rückwirkung sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Zwar können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben (vgl. BVerfGE 101, 239 ≪263≫; stRspr). Mit der Beseitigung der Möglichkeit einer Zahlung von Beiträgen zur Höherversicherung hat der Gesetzgeber diese Grenzen jedoch nicht überschritten. Die angeordnete “unechte” Rückwirkung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Interesse des Beschwerdeführers an dem Fortbestand einer Zusatzversorgung in Form der Höherversicherung muss gegenüber den Belangen des Gemeinwohls zurückstehen.
a) Der Höherversicherung als einem System der Zusatzversorgung, das mit Eintritt des Versicherungsfalles feste Steigerungsbeträge auf die eingezahlten Beiträge gewährt, kam innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung spätestens seit der Rentenreform von 1957 eine Sonderstellung zu. Der Gesetzgeber hatte bereits mit dem Rentenreformgesetz 1992 die Berechtigung, Beiträge zur Höherversicherung zu leisten, durch die Wahl eines Stichtages auf bestimmte Versicherte mit der Begründung beschränkt, die Höherversicherung entspreche nicht den Prinzipien des Rentenversicherungsrechts (vgl. BTDrucks 11/4124, S. 198; Kurzprotokoll der 110. Sitzung des Ausschusses des Deutschen Bundestages für Arbeit und Sozialordnung vom 17. September 1997 ≪752-2401≫, S. 12). Das Renditeverhältnis zwischen den Beiträgen zur Höherversicherung und denen zur gesetzlichen Rentenversicherung hatte sich deutlich zugunsten der Höherversicherung verschoben (vgl. BTDrucks 13/8671, S. 118). Selbst bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente wurden die seit der Neuregelung von 1951 unverändert geltenden Steigerungsbeträge geleistet; sie wurden nicht den insoweit gekürzten Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst (vgl. BTDrucks, a.a.O.). Hatte ein Versicherter die Wahl, seine Altersversorgung durch Zahlung zusätzlicher freiwilliger Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung oder durch Zahlung von Beiträgen zur Höherversicherung zu verbessern, wurde ihm daher unter bestimmten Voraussetzungen die Höherversicherung empfohlen (vgl. Zülch, in: Deutsche Rentenversicherung 1996, S. 78 ≪83≫). Dadurch konnte das auf Beitragszahlungen angewiesene System der gesetzlichen Rentenversicherung gestört werden.
b) Das Vertrauen des Beschwerdeführers in die Fortführung der Höherversicherung hat demgegenüber kein so erhebliches Gewicht, dass eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips festzustellen ist.
Angesichts der einmaligen Zahlung des Mindestbeitrages im November 1991 bestehen schon Zweifel, ob der Beschwerdeführer die Planung seiner Altersvorsorge maßgeblich auf die Höherversicherung gestützt hat. Jedenfalls geht der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz im Sozialversicherungsrecht nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder nachteiligen Neuregelung zu bewahren, insbesondere wenn die beeinträchtigte Rechtsposition wie hier auf einer von der staatlichen Rechtsordnung zusätzlich zur gesetzlichen Rentenversicherung eingeräumten rechtlichen Option beruht (vgl. BVerfGE 14, 288 ≪299≫; 24, 220 ≪230≫). Gerade im Sozialversicherungsrecht muss der Gesetzgeber aus Gründen des Allgemeinwohls auf veränderte Situationen zum Schutz der Solidargemeinschaft reagieren können (vgl. BVerfGE 51, 356 ≪363≫). Die Höherversicherung beinhaltete lediglich das Angebot einer Zusatzversicherung. Die Absicherung des Beschwerdeführers in der Pflichtversicherung der gesetzlichen Rentenversicherung bleibt von der Schließung der Höherversicherung gänzlich unberührt. Auch wenn der Gesetzgeber seit einiger Zeit verstärkt bestrebt ist, die Alterssicherung auf eine breitere finanzielle Grundlage zu stellen und insbesondere eine zusätzliche private Altersvorsorge zu fördern, kann daraus ein Bestandsschutz speziell für die Höherversicherung nicht erwachsen. Für den Beschwerdeführer bestand kein verfassungsrechtlich schützenswertes Interesse, gerade auf den Fortbestand der Höherversicherung zu setzen, auch wenn andere Formen der ergänzenden Alterssicherung für ihn möglicherweise weniger gewinnversprechend waren.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
Haufe-Index 1717782 |
NZS 2007, 533 |