Entscheidungsstichwort (Thema)
Unübertragbarkeit des Verlustabzugs nach § 10d EStG. Mantelkauf
Leitsatz (amtlich)
Ein Verlustabzug nach § 10d EStG ist nicht mehr möglich, wenn die Anteile an einer vermögenslos gewordenen Kapitalgesellschaft auf einen Erwerber übertragen werden (Mantelkauf) und die Gesellschaft danach mit neuem Betriebsvermögen wieder am Wirtschaftsleben teilnimmt.
Normenkette
EStG § 10d; KStDV § 15 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Gründe
A.
I.
Nach § 10d EStG können Steuerpflichtige unter den dort näher genannten Voraussetzungen
die Verluste der fünf vorangegangenen Veranlagungszeiträume aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb und aus selbständiger Arbeit wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abziehen, soweit ihnen ein Ausgleich oder Abzug der Verluste in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht möglich war.
Diese Bestimmung ist gemäß § 15 Nr. 1 KStDV bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer anzuwenden.
Nach der Rechtsprechung und Verwaltungspraxis kann nur der Steuerpflichtige, der den Verlust erlitten hat, diesen Verlustabzug geltend machen. Eine solche Identität soll beim Mantelkauf nicht mehr bestehen.
II.
1. Die Beschwerdeführerin befaßte sich seit ihrer Gründung am 5. August 1950 mit der Herstellung, dem Vertrieb und der Lohnveredelung von Lederwaren. Im Jahre 1953 stellte sie nach Eröffnung des Vergleichsverfahrens ihren Betrieb ein; das Anlage- und Umlaufvermögen wurde veräußert. In der Bilanz zum 31. Dezember 1953 stand einem Stammkapital von 90 000 DM nur ein Verlustvortrag in gleicher Höhe gegenüber.
Der Kaufmann J. M., der schon seit dem Jahre 1927 eine Lederwarenfabrik besaß und im Vergleichsverfahren wesentliche Teile des Anlagevermögens übernommen hatte, erwarb mit Wirkung vom 1. Januar 1954 alle Gesellschaftsanteile an der Beschwerdeführerin zum Preis von 500 DM. Ab April 1955 führte die Beschwerdeführerin Lohnarbeiten insbesondere für den Kaufmann J. M. und später für die von ihm gegründete J. M. Lederwaren-GmbH aus. Die Anlagegüter und Betriebsmittel stellten die Unternehmen M. zur Verfügung. Bei der Ermittlung ihres steuerpflichtigen Einkommens für die Kalenderjahre 1955 bis 1958 zog die Beschwerdeführerin den Verlustvortrag ab. Das FA versagte den Abzug; die Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.
2. Der BFH führte in dem angefochtenen Urteil aus: Nach dem Sinn des § 10d EStG könne eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung trotz formaler Gleichheit der zivilrechtlichen Rechtspersönlichkeit den Verlustabzug nur geltend machen, wenn eine Gleichheit der sachlichen und persönlichen Grundlagen der Gesellschaft bestehe. Dies sei nicht der Fall, wenn jemand lediglich das Rechtskleid der Gesellschaft erwerbe und sie durch Zuführung von Betriebsmitteln auf eine neue Grundlage stelle.
III.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BFH und die vorausgegangenen Entscheidungen rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip mit folgender Begründung:
Der BFH beachte nicht, daß § 1 KStG die Steuerpflicht an die durch die Zivilrechtsordnung geschaffene juristische Person anknüpfe. Er greife deshalb in unzulässiger Weise mit Hilfe der wirtschaftlichen Betrachtung auf die personelle und sachliche Struktur der Gesellschaft mit beschränkter Haftung hindurch. Ein solcher Durchgriff komme nur in hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen in Betracht. Es verstoße deshalb gegen das allgemeine Gleichheitsgebot, wenn der Verlustabzug bei der einen juristischen Person zugelassen werde, bei der anderen jedoch nicht, weil sich ihre personelle Struktur geändert habe. In der Einbringung "neuer Betriebsmittel in einen leeren Gesellschaftsmantel" sei keine Übertragung des Verlustabzuges auf eine andere Person zu sehen; eine Neugründung habe niemals stattgefunden. Die Auslegung des BFH, daß der Verlustabzug nicht dem "Rechtskleide" gebühre, sondern dem verlusttragenden Unternehmen, überschreite die durch Gesetz und Recht gezogenen verfassungsrechtlichen Schranken.
IV.
Der BdF, der sich namens der Bundesregierung geäußert hat, hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet, da der BFH zutreffend nicht auf die formalrechtliche Identität und Kontinuität der Gesellschaft, sondern auf die nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bestimmende Personengleichheit abgestellt habe.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Die Rechtsprechung des BFH geht dahin: Nur der Steuerpflichtige kann den Verlustabzug geltend machen, der den Verlust erlitten hat. Das Recht zum Verlustabzug kann grundsätzlich nicht übertragen werden (BFH, BStBl 1958 III S. 468; 1962 III S. 386; 1966 III S. 289). Die auf natürliche Personen zugeschnittene Regelung des § 10d EStG ist bei der grundsätzlichen Verschiedenheit in der Besteuerung von natürlichen und juristischen Personen auf juristische Personen nur insoweit anzuwenden, als sie mit natürlichen Personen vergleichbar sind. Nach Sinn und Zweck des § 10d sollen Erträge und Verluste eines betrieblichen Organismus innerhalb eines längeren Zeitraums ausgeglichen werden. Die hierin zum Ausdruck kommenden Billigkeitserwägungen sind zwar in gleicher Weise wie bei natürlichen Personen auch bei juristischen Personen angebracht. Bei einem Mantelkauf, bei dem das ursprüngliche von der Kapitalgesellschaft betriebene Unternehmen erloschen ist und durch Zuführung von Betriebsmitteln eine neue Geschäftsgrundlage geschaffen wird, fehlt es jedoch bei wirtschaftlicher Betrachtung an der für die Geltendmachung des Verlustabzuges erforderlichen Identität und Kontinuität.
2. Das BVerfG kann nicht nachprüfen, ob diese vom BFH in ständiger Rechtsprechung vorgenommene Auslegung richtig ist. Seine Prüfung beshränkt sich darauf, ob das angefochtene Urteil des BFH die geltend gemachten Grundrechte verletzt oder auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung dieser Grundrechte beruht, insbesondere ob das Auslegungsergebnis des BFH unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG willkürlich ist oder den in dieser Vorschrift verbürgten Grundsatz der Steuergerechtigkeit verletzt (vgl. BVerfGE 13, 318 [325]; 18, 85 [92]; 21, 209 [216]; 25, 28 [35]).
3. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor.
a) Der BFH beurteilt die Frage der Personengleichheit im Sinne von § 10d EStG in Verbindung mit § 15 Nr. 1 KStDV bei Kapitalgesellschaften unter gebührender Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte. Eine solche, die Besonderheiten der tatsächlichen Gestaltung und den Zweck der Steuernorm beachtende wirtschaftliche Betrachtungsweise (§ 1 Abs. 2 und 3 StAnpG) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 13, 318 [326]; 18, 224 [233 f.]), zumal die in § 10d EStG verwendeten Begriffe des Steuerpflichtigen, der Verluste aus Gewerbebetrieb und des Abzugs wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte steuerrechtliche Begriffe und keine Begriffe des bürgerlichen Rechts darstellen (vgl. BVerfGE 25, 28 [35]).
Wegen der Eigenart des in erster Linie fiskalischen Zwecken dienenden Steuerrechts ist der Gesetzgeber nicht gehalten, bei der Regelung des Verlustabzuges durchgängig an die bürgerlich-rechtliche Ordnung anzuknüpfen (vgl. BVerfGE 13, 331 [339 f.]; 24, 112 [117 f.]). Es ist daher von der Verfassung her nicht geboten, daß die Finanzgerichte unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung die zur Anwendung kommenden steuerrechtlichen Begriffe und Institute stets und ausschließlich entsprechend ihrem bürgerlich-rechtlichen Gehalt auslegen.
b) Da die Rechtsprechung, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, von der Unübertragbarkeit des Rechts auf Verlustabzug ausgeht, beachtet sie konsequenterweise bei Kapitalgesellschaften die Identität des persönlichen und sachlichen Substrats im Jahre des Entstehens und des Abzuges des Verlustes. Der mit dieser Normauslegung verbundene "Durchgriff" auf die persönlichen und sachlichen Grundlagen der Kapitalgesellschaft verstößt schon deshalb nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil selbst das Privatrecht eine entsprechende Betrachtung kenne, wenn - wie vorliegend - alle Gesellschaftsanteile auf einen neuen Gesellschafter übertragen werden. In Fällen dieser Art hat es die Rechtsprechung zum Privatrecht schon immer für zulässig angesehen, die äußere Rechtsform zugunsten des wirtschaftlich erstrebten Erfolgs zu durchbrechen (vgl. RGZ 120, 283 [287]; 122, 378 [381]; 150, 397 [401]; BGH, DB, 1956, S. 278; WM, 1969, S. 67). Der BFH befindet sich daher bei seiner Auslegung in weitgehender Übereinstimmung mit der angeführten Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs, wenn er im Mantelkauf einen unmittelbaren Erwerb des Unternehmens selbst sieht und deshalb eine Übertragung des mit dem Unternehmen als solchem verbundenen Verlustes in gleicher Weise ablehnt, wie wenn das Recht auf Verlustabzug auf eine andere Person übertragen werden sollte.
4. Die angegriffene Rechtsprechung hält sich somit in den Grenzen, die dem Richter von der Verfassung her bei der Auslegung von Gesetzen gezogen sind und stellt deshalb auch keine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG dar (BVerfGE 19, 175 [176]; 25, 28 [35].
Fundstellen
Haufe-Index 68263 |
BStBl II 1969, 331 |
BVerfGE 25, 309-314 (Gründe) |
BVerfGE, 309 |