Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Nichtgewährung einer Steuerbefreiung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG 1974 bei fehlgeschlagener vorweggenommener Erbfolge. gesetzlicher Richter bei Überbesetzung gerichtlicher Spruchkörper
Leitsatz (amtlich)
- Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Erbschaftsbesteuerung in einem Fall fehlgeschlagener vorweggenommener Erbfolge.
- Zur Mitwirkung von Berufsrichtern in überbesetzten Spruchkörpern (im Anschluß an den Beschluß des Plenums des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1997 ≪BVerfGE 95, 322≫).
Leitsatz (redaktionell)
Im Streitfall fiel das im Zuge vorweggenommener Erbfolge dem Sohn zugewandte Vermögen nach dessen Tod an den Vater mit den zwischenzeitlich erzielten Früchten zurück. Das ursprüngliche, geschenkte Vermögen blieb von der Erbschaftsteuer befreit, das neue Vermögen (Früchte) wurde mit Erbschaftsteuer belastet.
Normenkette
GG Art. 14 Abs. 1 Sätze 1-2, Art. 6 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 S. 2; GVG § 21e Abs. 3 S. 1, § 21g Abs. 2 Halbs. 2; ErbStG § 15 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 10, § 3 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die Hälfte der notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Höhe einer Erbschaftsteuerforderung und rügt darüber hinaus die Besetzung des Senats des Bundesfinanzhofs, der seine Revision zurückgewiesen hat.
I.
Der Beschwerdeführer ist Kommanditist einer GmbH & Co. KG. Er schenkte seinem Sohn im Wege der vorweggenommenen Erbfolge eine Beteiligung als stiller Gesellschafter an der Kommanditgesellschaft im Wert von 2 Millionen DM. Entnahmen und nicht entnommene Gewinne waren über ein verzinsliches Darlehenskonto zu verbuchen. Zu Lasten dieses Kontos erwarb der Sohn Beteiligungen an zwei weiteren Gesellschaften.
Der Sohn starb 1981 und hinterließ namentlich seine stille Beteiligung, ein auf dem Darlehenskonto ausgewiesenes Guthaben sowie die Beteiligungen an den beiden anderen Gesellschaften. Er wurde von dem Beschwerdeführer allein beerbt. Das Finanzamt veranlagte diesen zur Erbschaftsteuer. Es ließ die stille Beteiligung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 10 des durch das Gesetz vom 18. August 1980 (BGBl I S. 1537) geänderten Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) vom 17. April 1974 (BGBl I S. 933) steuerfrei, unterwarf jedoch die Beteiligungen an den beiden anderen Gesellschaften und später in der Entscheidung über den Einspruch des Beschwerdeführers auch das Darlehenskonto der Erbschaftsteuer. Dabei ordnete es den Beschwerdeführer der Steuerklasse II zu, der gemäß § 15 Abs. 1 ErbStG in der damaligen Fassung bei Erwerben von Todes wegen unter anderem die Eltern des Erblassers angehörten; erst seit dem Inkrafttreten von Art. 2 Nr. 7 des Jahressteuergesetzes 1997 vom 20. Dezember 1996 (BGBl I S. 2049) rechnen die Eltern in diesen Fällen – ei veränderten Steuersätzen – zur Steuerklasse I.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diese Veranlagung Klage beim Finanzgericht mit dem Ziel, die Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer um das Guthaben auf dem Darlehenskonto und um den Wert der Beteiligungen an den anderen Gesellschaften zu mindern. Er machte geltend, es handele sich um Bestandteile der an ihn zurückgefallenen stillen Beteiligung, weil sie ausschließlich aus deren Erträgen erworben worden seien.
Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen, der Bundesfinanzhof die Revision des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist im wesentlichen wie folgt begründet:
Der streitige Erwerb sei nicht nach § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG von der Erbschaftsteuer befreit. Die Steuerbefreiung nach dieser Vorschrift sei auf den Rückerwerb der Gegenstände beschränkt, die dem Erblasser zuvor vom Erwerber geschenkt worden seien. Der zurückfallende Vermögensgegenstand müsse mit dem zugewandten identisch sein. Dafür reiche aus, daß zwischen dem rückfallenden und dem zugewandten Vermögensgegenstand bei objektiver Betrachtung Art- und Funktionsgleichheit bestehe. Der streitige Erwerb des Beschwerdeführers erfülle diese Voraussetzung nicht. Die auf dem Darlehenskonto verbuchte Forderung habe sich nicht im Vermögen des Beschwerdeführers befunden und sei auf den Erblasser nicht übertragen worden. Auch die Beteiligungen an den beiden anderen Gesellschaften genügten dem gesetzlichen Erfordernis nicht. Forderung und Beteiligungen seien vielmehr vom Erblasser hinzuerworben worden.
Selbst wenn die sich aus § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG ergebende erbschaftsteuerrechtliche Entlastung des Generationenwechsels unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 Abs. 1 GG zwingend wäre, wäre es nicht gerechtfertigt, den streitigen Erbanfall von der Erbschaftsteuer freizustellen. Gemessen an § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG liege keine Übermaßbesteuerung vor. Der in Art. 6 Abs. 1 GG verankerte Schutz der Familie sei auch nicht dadurch gefährdet, daß die Erbschaftsteuer gemäß § 15 Abs. 1 ErbStG entsprechend der verwandtschaftlichen Beziehung des Beschwerdeführers zum Erblasser nach Steuerklasse II zu erheben sei. Eine andere Beurteilung sei von Verfassungs wegen nicht deshalb geboten, weil das dem Beschwerdeführer angefallene Vermögen “mit seinen Mitteln” erworben worden sei und der der Erbschaftsteuer unterliegende Erwerb darauf beruhe, daß der Lebensplan des Beschwerdeführers auf tragische Weise zunichte gemacht worden sei. Ein Art. 14 GG berührender Eingriff sei nicht erkennbar.
- Dem für das Revisionsurteil zuständigen Senat des Bundesfinanzhofs waren zum Zeitpunkt seiner Entscheidung neben der Vorsitzenden fünf weitere Richter zugewiesen. Er war mithin um einen Richter überbesetzt. In dem senatsinternen Mitwirkungsplan (auszugsweise abgedruckt in BVerfGE 95, 322 ≪324 f.≫) war deshalb jedem der beisitzenden Richter die fortlaufende Nummer der Sitzung zugeordnet, in der er bei Überbesetzung auszuscheiden hatte. Nicht ausscheiden durften allerdings der Berichterstatter der jeweiligen Sache, der von der Senatsvorsitzenden nach pflichtgemäßem Ermessen, insbesondere unter Berücksichtigung von Eilbedürftigkeit und Arbeitsbelastung, bestimmt wurde, und der Mitberichterstatter, dessen Person sich grundsätzlich nach der Endziffer des Aktenzeichens der Sache richtete. Über die endgültige Besetzung des Senats entschied sodann die Terminierung der einzelnen Sache; auf die Tagesordnung der jeweils nächsten Sitzung wurden alle Sachen gesetzt, die bis einschließlich Donnerstag der der Sitzung vorausgehenden Woche mit den Voten von Berichterstatter und Mitberichterstatter bei der Geschäftsstelle eingegangen waren.
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer die Entscheidungen des Finanzamts und der Finanzgerichte an.
- Es verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG, aber auch gegen Art. 14 Abs. 1 GG, wenn der Bundesfinanzhof unter Vermögensgegenstand im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG nur das Volumen der Ursprungszuwendung verstehe, die Wert- und Substanzvermehrung durch Thesaurierung und Surrogaterwerb dagegen nach Rückfall an den Zuwendenden als erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb ansehe. Falle das geschenkte Vermögen infolge vorzeitigen Todes des zukünftigen Erben an den Schenker zurück, sei es aus der Sicht der Kleinfamilie willkürlich, das ohne Zutun des vorverstorbenen Beschenkten gewachsene Vermögen, weil es nicht bei den Eltern verbleibe, nochmals zu besteuern. Die geglückte und die mißglückte vorweggenommene Erbfolge führten zu keinen Einkommensteuerlasten, nach Auffassung des Bundesfinanzhofs aber zu sehr unterschiedlichen Folgen bei der Erbschaftsteuer. Insoweit bestehe eine verfassungswidrige Unverträglichkeit der Erbschaftsteuer mit der Einkommensteuer.
Ein Verstoß gegen die genannten Grundrechte liege jedenfalls in der Besteuerung nach dem Steuersatz der Steuerklasse II. Der Bundesfinanzhof sei im angegriffenen Urteil ohne vertiefte Begründung über diese Problematik hinweggegangen. Erwerbe durch Kinder lebender Kinder würden nach Steuerklasse II, Erwerbe durch Kinder verstorbener Kinder jedoch nach Steuerklasse I besteuert. Daher entspreche es allein Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG, Eltern verstorbener Kinder nicht in die Steuerklasse II, sondern in die Steuerklasse I einzuordnen, zumindest insoweit, als sie die Früchte von Vermögen erhielten, welche aus Vermögensgegenständen stammten, die nach § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG steuerbefreit zurückfielen. Die Kluft zwischen der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG einerseits und der hohen Belastung nach Steuerklasse II andererseits könne verfassungsrechtlich nicht hingenommen werden.
Seine Belastung mit einer Erbschaftsteuer in Höhe von 1.948.020 DM stehe zudem im Widerspruch zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 (BVerfGE 93, 165). Danach dürfe die Erbschaftsteuer nur maßvoll in Familienerbfällen eingreifen und noch schonender beim Erwerb von Betriebsvermögen, das über eine geschwächte erbschaftsteuerliche Leistungsfähigkeit verfüge. Ihm sei nicht der “deutlich überwiegende Teil” des Rückfalls zugute gekommen. Das wären 75 vom Hundert in der höchsten Stufe des Tarifs nach Zahlung der Höchst-Erbschaftsteuer von 75 vom Hundert gewesen. Der genannte Beschluß des Bundesverfassungsgerichts stelle auch auf die Mitberechtigung der Kinder am Familiengut ab. Der Tatbestand des Rückfalls bedürfe der zusätzlichen Steuerschonung.
- Außerdem sei ihm durch die Revisionsentscheidung des Bundesfinanzhofs der gesetzliche Richter entzogen worden. Der zuständige Senat sei überbesetzt gewesen. Nach dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan für 1994 seien die Richter der fünfköpfigen Urteils-Richterbank nicht zu Beginn des Geschäftsjahrs abstrakt bestimmt worden. Es habe Willkür geherrscht. Welcher überzählige Richter ausgeschieden und wann die jeweilige Sache terminiert worden sei, habe sich maßgeblich nach dem Eingang der Voten des Berichterstatters und des Mitberichterstatters bei der Geschäftsstelle gerichtet. Der verfassungsrechtlich bedenkliche Spielraum habe in der Freiheit der beiden Berichterstatter in der Abgabe der Sache an die Geschäftsstelle gelegen. Darüber hinaus hätten nach dem Geschäftsverteilungsplan der Urteilsbesetzung des Senats stets Berichterstatter und Mitberichterstatter angehört, die von der Senatsvorsitzenden eigenhändig und ungebunden bestellt worden seien. Diese habe danach die Möglichkeit gehabt, die Mehrheit im Senat von sich aus frei zu bestimmen. Das sei mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar.
III.
Zu der Verfassungsbeschwerde hat für die Bundesregierung das Bundesministerium der Justiz Stellung genommen. Es hat sich allgemein zur Einrichtung überbesetzter Senate beim Bundesfinanzhof geäußert und diese für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet.
IV.
Im Zusammenhang mit der Rüge des Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hat der Senat das Plenum des Bundesverfassungsgerichts angerufen (vgl. NJW 1995, S. 2703). Das Plenum hat die damit aufgeworfenen Fragen im Beschluß vom 8. April 1997 (BVerfGE 95, 322) beantwortet.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen die vom Beschwerdeführer bezeichneten Grundrechte; auch die gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs erhobene Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter greift im Ergebnis nicht durch.
I.
Die Auslegung und Anwendung von § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG und die Behandlung des Beschwerdeführers nach Steuerklasse II lassen einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG nicht erkennen.
II.
Ohne Erfolg bleibt schließlich die Rüge des Beschwerdeführers, ihm sei durch die angegriffene Entscheidung des Bundesfinanzhofs der gesetzliche Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entzogen worden.
- Zwar genügte der Mitwirkungsplan, nach dem sich die Zusammensetzung des für das Urteil des Bundesfinanzhofs zuständigen Senats richtete, nicht den Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Wie das Plenum des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluß vom 8. April 1997 (BVerfGE 95, 322) entschieden hat, ist es nach dieser Vorschrift grundsätzlich geboten, für mit Berufsrichtern überbesetzte Spruchkörper eines Gerichts im voraus nach abstrakten Merkmalen zu bestimmen, welche Richter an den jeweiligen Verfahren mitzuwirken haben. Das kann in der Weise geschehen, daß in dem für den gerichtlichen Spruchkörper geltenden Mitwirkungsplan für die Zusammensetzung der für die einzelne Sache zuständigen Sitz- oder Spruchgruppe an die vorwegbestimmte Person des Berichterstatters angeknüpft wird. Die Zuständigkeit der im Spruchkörper bestehenden Sitzgruppen kann aber auch nach anderen objektiven Merkmalen, beispielsweise nach Aktenzeichen, Eingangsdatum, Rechtsgebiet oder Herkunftsgerichtsbezirk der anhängigen Sache, generell im voraus bestimmt werden. Dem Erfordernis, den im Einzelfall zur Mitwirkung berufenen Richter so genau wie möglich festzulegen, wird dagegen nicht genügt, wenn im Mitwirkungsplan zunächst nur geregelt wird, welche Richter an welchen Sitzungstagen mitzuwirken haben, und erst die Terminierung der einzelnen Sache zu deren Zuordnung zur konkreten Sitzgruppe führt. Bei einer solchen Regelung, wie sie im Ausgangsverfahren auch für den im Revisionsverfahren zuständigen Spruchkörper gegolten hat, bleibt dem Vorsitzenden bei der Heranziehung der einzelnen Richter zur Mitwirkung an der jeweiligen Sache ein Entscheidungsspielraum, dessen es zur effektiven Bewältigung der Rechtsprechungsaufgabe angesichts der anderen zur Verfügung stehenden Mitwirkungssysteme nicht bedarf. Ihm steht deshalb die Gewährleistung des gesetzlichen Richters entgegen.
- Dies wirkt sich jedoch auf das Ausgangsverfahren nicht aus. Wie das Plenum des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluß ausgeführt hat, ist mit seiner Entscheidung die Auslegung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verdeutlicht und fortgebildet worden. Das Plenum hat deshalb Anlaß gesehen, die bisherigen Mitwirkungsregeln in überbesetzten Spruchkörpern noch für eine Übergangszeit bis zum 30. Juni 1997 hinzunehmen. Dies gilt auch für den Mitwirkungsplan, auf dessen Grundlage der Bundesfinanzhof im Ausgangsverfahren entschieden hat.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG. Dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten, ist deshalb gerechtfertigt, weil seine Verfassungsbeschwerde zur gewandelten Auslegung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geführt hat (vgl. BVerfGE 66, 337 ≪368≫).
Unterschriften
Seidl, Grimm, Kühling, Seibert, Jaeger, Haas, Hömig, Steiner
Fundstellen
BVerfGE, 1 |
HFR 1998, 127 |
NJW 1998, 743 |
Inf 1998, 94 |
FamRZ 1998, 153 |
SteuerStud 1998, 365 |
www.judicialis.de 1997 |