Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusammenrechnung der Ehegattenvermögen bei § 54 LAG
Leitsatz (amtlich)
1. Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. April 1960 – III 34/60 – verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit es über Erlaß- und Stundungsantrag des Beschwerdeführers entscheidet. Insoweit wird es aufgehoben und die Sache an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.
2. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.
Normenkette
GG Art. 6; LAG § 54
Tatbestand
A.
I. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau sind durch rechtskräftigen Bescheid vom 19. Oktober 1956 mit einem Vermögen von 165 400 DM zusammen zur Vermögensabgabe für den Lastenausgleich veranlagt worden (§§ 21, 31, 38 des Gesetzes über den Lastenausgleich (Lastenausgleichsgesetz – LAG) vom 14. August 1952 – BGBl I S. 446 –). Der gemeinsame Vierteljahrsbetrag beläuft sich auf 1069,40 DM.
Der Beschwerdeführer hat beantragt, ihm wegen Vermögensverfalls einen Teilbetrag des auf sein Vermögen entfallenden Teils der Vermögensabgabe zu erlassen, zunächst jedenfalls seinen Anteil an den Vierteljahrsbeträgen zu stunden, hilfsweise das Verfahren auszusetzen, bis das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit der Zusammenveranlagung von Ehegatten nach § 38 LAG entschieden habe. Zur Begründung hat er geltend gemacht: Das der Abgabe unterliegende Vermögen habe nur in Höhe von 55200 DM ihm, in Höhe von 110200 DM seiner Ehefrau gehört. Sein Vermögen habe sich – ohne seine Schuld – um weit mehr als 50 %, nämlich auf 10950 DM vermindert. Da er zudem 78 Jahre alt und nicht mehr in der Lage sei, einen Erwerb oder Beruf auszuüben, sei er zur Zahlung seines Anteils an der Vermögensabgabe nicht imstande.
Das Finanzamt hat die Anträge im Hinblick auf das Vermögen der Ehefrau zurückgewiesen. Beschwerden an die Oberfinanzdirekton waren erfolglos. Auf die vom Beschwerdeführer eingelegten Berufungen hat das Finanzgericht die Vorentscheidungen aufgehoben: Das Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs vom 28. Februar 1958 – III 125/57 S – (BStBl 1958 III S. 191), das die Vereinbarkeit der Zusammenveranlagung von Ehepaaren zur Vermögensabgabe mit dem Grundgesetz bejahe, sei nicht überzeugend; da die Frage beim Bundesverfassungsgericht anhängig sei, stelle die Ablehnung des Aussetzungsantrags eine Verletzung des der Behörde hierbei eingeräumten Ermessens dar.
Der Bundesfinanzhof hat auf die Rechtsbeschwerde der Oberfinanzdirektion die Entscheidungen des Finanzamts wiederhergestellt und dazu ausgeführt; Es könne nicht anerkannt werden, daß die Verwaltung die Vollziehung aussetzen müsse, nur weil sich der Steuerpflichtige auf die Verfassungswidrigkeit einer tragenden Vorschrift berufe. Die Entscheidung der Verwaltung über die Aussetzung sei eine Ermessensentscheidung, für die die Grundsätze des § 2 des Steueranpassungsgesetzes gälten. Bei solchen Entscheidungen dürfe und müsse die Verwaltung außer den Belangen des Abgabepflichtigen auch die des Staates berücksichtigen. Stundung und Erlaß seien ebenfalls mit Recht abgelehnt worden. Der erkennende Senat halte an der in seinem Urteil vom 28. Februar 1958 eingehend begründeten Auffassung über die Verfassungsmäßigkeit des § 38 LAG fest. Die Bestimmungen der Verwaltungsanordnung vom 19. Juli 1954 (BStBl 1954 I S. 380), nach denen Eheleute, die nicht dauernd getrennt leben, für die Entscheidung über Erlaßanträge zusammen wie ein Abgabepflichtiger zu behandeln seien, so daß ihr Vermögen zusammenzurechnen sei, halte sich im Rahmen des § 38 LAG. Auch bei der Beurteilung des Stundungsantrags seien nach § 54 LAG die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eheleute zutreffend einheitlich behandelt worden.
I. Mit der gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs gerichteten Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer eine Verletzung der Art. 6 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und 2 und Art. 14 Abs. 1 GG geltend. Durch die Zusammenrechnung seines Vermögens mit dem seiner Ehefrau nach §§ 38, 54 LAG und nach der Verwaltungsanordnung vom 19. Juli 1954 werde er – im Widerspruch zu dem Grundsatz des Schutzes der Ehe – gegenüber Ledigen benachteiligt und zugleich sein Eigentum zu Lasten der Familie verkürzt; auch das Eigentum seiner Frau sei in verfassungswidriger Weise verletzt, da das Finanzamt wegen des auf ihn entfallenden Teils der Vermögensabgabe in ihr Vermögen eine Pfändung ausgebracht habe. Der Beschwerdeführer erstrebt die Aufhebung des Urteils des Bundesfinanzhofs und der ihm zugrunde liegenden Vorschriften.
Die Sache ist zur mündlichen Verhandlung – nicht auch zur Entscheidung – mit sechs anderen, § 38 und andere Bestimmungen des Lastenausgleichsgesetzes betreffenden Verfahren – 1 BvL 29/57 und 20/60 sowie 1 BvR 704/57, 330/59, 252 und 267/60 – verbunden worden. Der Beschwerdeführer war in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten.
Für die Bundesregierung hat sich der Bundesminister der Finanzen sowohl schriftlich wie in der mündlichen Verhandlung geäußert; er hält die Verfassungsbeschwerde in vollem Umfange für unbegründet. Insbesondere seien die Stundungs- und Erlaßvorschriften – unabhängig von der Zusammenveranlagung der Ehegatten nach § 38 LAG – verfassungsgemäß. Beide Gruppen von Vorschriften stünden auf einer gewissen gemeinsamen Grundlage; sie enthielten nur eine präzisierte Ausgestaltung der „Härtegrundsätze” des § 131 AO. Jedenfalls im Rahmen solcher der darreichenden Verwaltung nahestehenden Härteregelungen sei es verfassungsrechtlich erlaubt, wirtschaftliche Rechtsfolgen an die Ehe zu knüpfen, soweit das der Natur des geregelten Lebensverhältnisses angemessen sei. Das folge zudem aus der für das gesamte Abgabenrecht maßgebenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise (§ 1 Abs. 2 und 3 StAnpG). Es sei daher berechtigt, bei Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Abgabeschuldners die Vermögensverhältnisse beider Ehegatten unter Berücksichtigung der gegenseitigen Unterhaltsverpflichtungen in Rechnung zu stellen. Schließlich sei zu beachten, daß hinter den präzisierten Gruppenregelungen für Stundung und Erlaß, die zur einfacheren Handhabung durch die Finanzämter geschaffen worden seien und deren Folgen automatisch einträten, auch noch die allgemeine Stundungs- und Erlaßmöglichkeit auf Grund allgemeiner Würdigung der Gesamtverhältnisse nach §§ 127, 131 AO stehe, über die im allgemeinen allerdings nicht das Finanzamt, sondern – grundsätzlich – der Bundesminister der Finanzen zu entscheiden habe.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, zum Teil auch begründet.
I. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Zusammenveranlagung mit seiner Ehefrau und gegen deren zwangsweise Inanspruchnahme aus dem Gesichtspunkt der Gesamthaftung wendet, ist nicht ganz klar, ob er damit Zusammenveranlagung und Pfändung selbständig angreifen oder lediglich seine Beschwerde gegen die Ablehnung seiner Anträge auf Aussetzung, Stundung und Erlaß stützen will. In keinem Fall können diese Ausführungen Erfolg haben.
Die seit langem rechtskräftige Zusammenveranlagung kann wegen Ablaufs der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 93 BVerfGG) mit der Verfassungsbeschwerde nicht mehr angegriffen werden; überdies hat das Bundesverfassungsgericht die Grundgesetzmäßigkeit der Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Vermögensabgabe nach § 38 LAG durch das heutige Urteil über zwei Gerichtsvorlagen – 1 BvL 29/57 und 20/60 – festgestellt. In dem gleichen Urteil ist dargelegt, daß die Bestimmung des § 7 Abs. 3 StAnpG über die Gesamthaftung bei richtiger Interpretation auch die Vermögensabgabe erfaßt – also auf Antrag im Fall der Zwangsbeitreibung Aufteilung der restlichen Abgabeschuld nach dem Verhältnis der beiden Einzelvermögen – und bei dieser Interpretation mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Eine Verfassungsbeschwerde wegen verfassungswidriger Anwendung dieser Bestimmung bei der Vollstreckung in das Vermögen der Ehefrau könnte nur nach Erschöpfung des Rechtsweges und durch die betroffene Ehefrau selbst erhoben werden (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
Soweit die Ausführungen über Zusammenveranlagung und Gesamthaftung den Angriff gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs und die voraufgegangenen Verwaltungsentscheidungen stützen sollen, liegen sie neben der Sache. Die Vorschriften, auf denen die Ablehnung der Anträge auf Aussetzung der Beitreibung sowie auf Stundung und Erlaß beruht, sind von Zusammenveranlagung und Gesamthaftung unabhängig und deshalb selbständig auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu prüfen.
II. Maßgebend für die Aussetzung der Vollziehung ist § 251 der Abgabenordnung:
Durch Einlegung eines Rechtsmittels wird die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheids nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Steuer nicht aufgehalten. Die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, kann die Vollziehung aussetzen …
Es kann dahinstehen, ob die Finanzbehörde bei unmittelbarer oder analoger Anwendung dieser Vorschrift ohne Ermessensverletzung dem Aussetzungsantrag des Beschwerdeführers hätte stattgeben können. Jedenfalls ist den Ausführungen des Bundesfinanzhofs, daß eine Verpflichtung zur Aussetzung in vorliegendem Fall nicht bestand, im Ergebnis beizupflichten.
Die Entscheidung über die Aussetzung nach § 251 AO ist eine Ermessensentscheidung im Sinne von § 2 StAnpG. Nach den von der Finanzgerichtsbarkeit – und entsprechend von der Verwaltungsgerichtsbarkeit – entwickelten Grundsätzen über die Ausübung des Ermessens ist die Beitreibung öffentlicher Abgaben auszusetzen, falls ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes (Bescheides) bestehen (vgl. z.B. BFH in BStBl 1954 III S. 116 und S. 328; FR 1958 S. 209 und OVG Münster in JZ 1960 S. 709). Wenn demgemäß ernstliche Zweifel an der Richtigkeit von Auslegung und Anwendung des Gesetzes die Aussetzung rechtfertigen, so muß das auch gelten, wenn ernste verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit des Gesetzes selbst erhoben werden können; denn auch die vollziehende Gewalt ist nach Art. 20 Abs. 3, Art. 1 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht, insbesondere an die Grundrechte gebunden. Aus dem Prinzip der Gewaltenteilung und aus Sinn und Zweck der Ermächtigung zur Aussetzung folgt nichts anderes. Der Grundsatz der Gewaltenteilung wird durch die wechselseitige Kontrolle der Gewalten ergänzt; er zwingt nicht zum Vollzug eines Gesetzes, das wahrscheinlich für nichtig erklärt werden muß; wenn § 2 StAnpG die Verwaltungsbehörden auf die Grenzen verweist, die „das Gesetz” dem Ermessen zieht, so ist vor allem auch die Bindung an das Grundgesetz als die Grundordnung unseres Staates zu beachten. Die Sorge, unzureichend begründete Aussetzungen könnten überhandnehmen und die Verwaltung lähmen, ist nicht begründet; einem Mißbrauch können die höheren Verwaltungsstellen entgegentreten. In letzter Linie sind Bundesregierung oder Landesregierungen in der Lage, durch Einleitung eines Verfahrens nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG eine Klärung der verfassungsrechtlichen Zweifel herbeizuführen.
Selbstverständlich ist eine Aussetzung nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil ein Steuerpflichtiger die Verfassungswidrigkeit einer Norm behauptet oder die Verfassungswidrigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht worden ist, mag das auch Anlaß sein, eine Aussetzung in Betracht zu ziehen. Doch kann von einem Ermessensmißbrauch nicht die Rede sein, wenn das zuständige obere Bundesgericht die Vereinbarkeit der umstrittenen Norm bejaht hat, wie hier der Bundesfinanzhof, und die Verwaltungsbehörde sich bei der Ablehnung der Aussetzung dieser Ansicht anschließt.
III. Zu prüfen bleibt die behauptete Unvereinbarkeit der Ablehnung des Stundungs- und Erlaßantrags des Beschwerdeführers vornehmlich mit Art. 6 Abs. 1 GG. Wie in dem obenerwähnten Urteil vom heutigen Tage zu D II 6 ausgeführt ist, sind die Bestimmungen über Stundung und Erlaß, auf denen die Ablehnung beruht, allenfalls durch den Gedanken, das Vermögen von Ehegatten als Einheit zu behandeln, mit § 38 LAG verbunden, in ihrer Geltung aber von § 38 LAG unabhängig. Sie sind also selbständig an Art. 6 Abs. 1 GG zu messen.
Stundung und Erlaß sind Billigkeitsmaßnahmen, die in den §§ 127, 131 der Reichsabgabenordnung für das gesamte Steuerrecht eine allgemeine Regelung gefunden haben.
§ 127
(1) Zahlungen von Steuern und sonstigen Geldleistungen können gestundet werden, wenn ihre Einziehung mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden ist …
§ 131
(1) Im Einzelfall können Steuern ganz oder zum Teil erlassen, erstattet oder angerechnet werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre …
(2) Für bestimmte Gruppen von gleichgelagerten Fällen können für die entsprechende Anwendung des Absatzes 1 Richtlinien aufgestellt werden.
Für die Vermögensabgabe sind die allgemeinen „Härtegrundsätze” der Abgabenordnung teils im Lastenausgleichsgesetz, teils in Verwaltungsanordnungen präzisierend ausgestaltet worden. Diese Ausgestaltung ist nach Grund, Ziel und Wirkung bei Stundung wegen Alters oder Erwerbsunfähigkeit einerseits und bei Erlaß wegen Vermögensverfalls und der als Vorstufe zum Erlaß gedachten Stundung andererseits verschieden. Die Verschiedenheit ergibt sich aus dem Charakter der Vermögensabgabe als einer am Objekt orientierten, einmaligen Belastung, bei der nur im Rahmen der Verrentung auf den Lebensbedarf des Abgabepflichtigen Rücksicht genommen wird. Diesem Charakter entsprechend wird subjektiven Notlagen des Abgabepflichtigen grundsätzlich nur durch Stundung Rechnung getragen, weil bei der langen Laufzeit der Abgabe sowohl eine Besserung der Verhältnisse wie ein Übergang des abgabepflichtigen Vermögens auf Dritte, etwa im Erbgang, möglich und dann die Nachzahlung der gestundeten Beträge nach dem – erhaltenen – Objekt sachgerecht ist. Dagegen entspricht der Struktur der Abgabe ein Erlaß nur zur Beseitigung objektiver Härten, so vor allem, wenn das belastete Vermögen eine entscheidende und voraussichtlich dauernde Wertminderung erfahren hat. Der grundsätzliche Unterschied beider Maßnahmen zeigt sich deutlich darin, daß die Stundung auf natürliche Personen beschränkt ist, während die Erlaßregelung auch für juristische Personen gilt. Eine gemeinsame Beurteilung der Stundungs- und Erlaßregelung ist sonach trotz des gemeinsamen Ausgangspunktes – des Gedankens der Billigkeit – nicht möglich.
a) Die Stundung der Vermögensabgabe wegen Alters oder Erwerbsunfähigkeit ist in § 54 LAG geordnet. Das hier in Abs. 2 Nr. 3 gemeinte „Vermögen” ist nicht das der Vermögensabgabe, sondern das der laufenden Vermögensteuer unterliegende „Gesamtvermögen”; es setzt sich aus den Einzelvermögen beider Ehegatten zur Zeit der Stundung zusammen. Der Bundesminister der Finanzen hat zu § 54 LAG am 17. März 1955 die Verwaltungsanordnung IV C/3 – LA 2341 – 1/55 (VerwAO 17. März 1955) erlassen (BStBl 1955 I S. 119), in der u.a. (Tz. 21) die „für eine bescheidene Lebensführung unerläßlichen Beträge” festgesetzt und (Tz. 14 und 16) der Begriff der „Einkünfte” erläutert werden. Im vorliegenden Verfahren sind lediglich die Sonderbestimmungen für Ehegatten von Bedeutung. Für Ehegatten, die nicht dauernd getrennt leben, werden danach der Lebensbedarf, die Einkünfte und das Gesamtvermögen, von deren Ausmaß die Stundung abhängt, zusammengerechnet, während für Alleinstehende (Ledige, Verwitwete, Geschiedene, dauernd getrennt Lebende) ausschließlich ihre persönlichen Verhältnisse maßgebend sind.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vermögenszusammenrechnung sind hier nicht berechtigt. Dia von dem Beschwerdeführer beanstandete Nummer 3 des zweiten Absatzes von § 54 LAG, wonach eine Stundung nur gewährt werden darf, wenn das derzeitige Gesamtvermögen nicht mehr beträgt als 30 000 DM, kann nicht isoliert, sondern nur als Teil der ganzen Bestimmung verstanden werden. Die Stundung ist in ihren Voraussetzungen völlig von der Vermögensabgabe, die gestundet werden soll, gelöst. Auch sind Ablehnung oder Bewilligung der Stundung auf die Höhe der Abgabe ohne Einfluß, denn gestundete Beträge sind von den Erben nachzuzahlen. Umgekehrt spielt die für die Vermögensabgabe allein maßgebende objektive Leistungsfähigkeit des Stichtagsvermögens für die Stundung keine Rolle; vielmehr ist ausschließlich auf die – bei der Veranlagung bewußt nicht berücksichtigte (vgl. dazu etwa BT I/1949 Drucks. Nr. 1800 Anl. 1 b, S. 17 und 20) – subjektive Leistungsfähigkeit abgehoben, und zwar in dem besonderen Sinne der Schonung des für eine bescheidene Lebensführung unerläßlichen Betrages. Die entscheidende Bedeutung des Lebensbedarfs für die Rechtsgestaltung aber ist in erster Linie dem Familien-Unterhaltsrecht und dem öffentlichen Fürsorgerecht im weiteren Sinne eigentümlich (vgl. auch BVerfGE 6, 55 [77]). Die Stundung ist also durch ihre nach Grund, Ziel und Wirkung rein soziale Ausrichtung auf den Lebensbedarf in die Nähe fürsorgerechtlicher Maßnahmen gerückt – und zwar in viel höherem Grade als andere steuerrechtliche Vergünstigungen, die, wie etwa die Freibetragsregelung in § 29 LAG, vorwiegend von der Leistungsfähigkeit des Steuerobjekts und der Rücksicht auf Praktikabilität bestimmt sind.
Es ist hiernach berechtigt, wenn bei der Stundung, ähnlich wie bei anderen staatlichen Hilfsmaßnahmen zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs, der Lebensbedarf und die zu seiner Deckung vorhandenen Mittel für nicht getrennt lebende Ehegatten einheitlich berücksichtigt werden (vgl. etwa §§ 5 und 8 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge [RGrunds] und §§ 145, 149, 150 AVAVG). Das entspricht der familienrechtlichen Unterhaltsregelung, nach der Ehegatten unabhängig vom Güterstand einander verpflichtet sind, zu dem gemeinsamen Unterhalt nach Kräften beizutragen, ohne daß, wenn der Gesamtbetrag der Einkünfte zum standesgemäßen Unterhalt nicht ausreicht, ein Ehegatte einen bestimmten Einkommensanteil für sich zurückbehalten könnte und ohne daß, wenn sich ein Rückgriff auf Vermögen als notwendig erweist, ein Unterschied zwischen ihnen gemacht würde.
Voraussetzung für das Eingreifen staatlicher Hilfe durch positive Fürsorgemaßnahmen – ebenso wie für die familienrechtliche Unterhaltspflicht außerhalb des engen Kreises der Ehegatten und ihrer minderjährigen Kinder – ist es grundsätzlich, daß zuvor eigenes Vermögen vollständig aufgebraucht wird; erst dann wird ein Bedürfnis nach fremder Hilfe zur Deckung des Lebensbedarfs anerkannt (vgl. RGrunds § 8 Abs. 1 und AVAVG § 149). Die in § 54 Abs. 2 Nr. 3 LAG gesetzte 30000- DM-Grenze schränkt diese strenge Voraussetzung dahin ein, daß ein Bedürfnis nach Stundung anerkannt wird, auch wenn noch ein Vermögensrückhalt in dieser Höhe vorhanden ist. Es handelt sich also nicht um eine Besteuerungsgrenze im üblichen Sinne, sondern um die Milderung des hergebrachten Maßstabs für ein Bedürfnis nach staatlicher Hilfe zur Deckung des Lebensbedarfs. Entspricht es, wie dargelegt, dem Wesen der ehelichen Lebensgemeinschaft als Unterhaltsgemeinschaft, bei der Prüfung, ob der notwendige Lebensbedarf gedeckt ist, den Lebensbedarf und die Mittel des Ehepaares zusammenzurechnen, so folgt daraus, daß auch für die Prüfung, ob diese Schongrenze erreicht ist, die Zusammenrechnung beider Vermögen dem geordneten Lebensverhältnis entspricht.
Insbesondere liegt in der Zusammenrechnung keine Benachteiligung der im Ehestand Lebenden gegenüber Alleinstehenden, da diese in aller Regel keine familienrechtlichen Unterhaltsansprüche haben, die den wechselseitigen Unterhaltsansprüchen zusammen lebender Ehegatten entsprächen. Etwaige Ansprüche. Alleinstehender gegen Kinder oder geschiedene Ehegatten sind ihrer Struktur nach mit der Unterhaltsgemeinschaft der Gatten während der Ehe hier nicht zu vergleichen (vgl. etwa §§ 1602, 1603, 1612 BGB; §§ 62, 63 EheG). Es fehlt also insoweit im Rahmen der „Altersstundung” des § 54 LAG an einem für beide Personengruppen gleichen Sachverhalt.
Unbefriedigend im Sinne der Schutzvorschrift des Art. 6 Abs. 1 GG ist allerdings, daß die Schongrenze des § 54 Abs. 2 Nr. 3 LAG bei Ehegatten nicht erhöht worden ist – wie das für die Berechnung des Lebensbedarfs selbst in VerwAO 17. März 1955 wenigstens in bescheidenem Maße geschehen ist. Ob das Fehlen solcher Differenzierung mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar ist oder hingenommen werden kann, bedarf jedoch hier keiner Entscheidung, da der Beschwerdeführer allein durch die Tatsache der Zusammenrechnung, nicht auch durch die Schongrenze von 30000 DM betroffen ist. Selbst wenn diese Grenze für Ehepaare weit hinausgerückt würde, könnte er wegen Alters und Erwerbsunfähigkeit keine Stundung beanspruchen, da das Vermögen seiner Ehefrau mehr als 100 000 DM beträgt.
Die Zusammenrechnung nach § 54 Abs. 2 Nr. 3 LAG, auf der das Urteil des Bundesfinanzhofs beruht, ist als solche mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar. Inwiefern Art. 3 Abs. 1 und 3 und Art. 14 GG verletzt sein sollen, ist nicht ersichtlich. Die Ablehnung der Stundung wegen Alters und Erwerbsunfähigkeit nach § 54 LAG ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
b) Hingegen sind die Ablehnung des Erlaßantrags sowie die Bestimmungen der Verwaltungsanordnung, auf die sie gestützt ist, mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
Die allgemeine steuerrechtliche Vorschrift über Erlaß aus Billigkeitsgründen (§ 131 AO) ist nicht, wie die allgemeine Stundungsvorschrift des § 127 AO, für die Vermögensabgabe im Lastenausgleichsgesetz selbst ausgestaltet worden. Doch wollte der Gesetzgeber es auch nicht allein bei dieser Generalklausel der Abgabenordnung belassen, sondern wünschte – unbeschadet der Erlaßmöglichkeit auf Grund spezieller und umfassender Würdigung des Einzelfalles – eine präzisierte Gruppenregelung, die jedenfalls die Beantwortung der Frage, ob eine einen Erlaß rechtfertigende Härte vorliege, schematisierte und dadurch so vereinfachte, daß die Entscheidung über den Erlaß den Finanzämtern überlassen werden konnte. Das war, wie der Bundesminister der Finanzen in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, der Sinn des ihm in § 203 Abs. 5 LAG erteilten Auftrags.
1. Diesen gesetzgeberischen Auftrag hat der Bundesminister der Finanzen grundlegend in der „Verwaltungsanordnung über den Erlaß von Vermögensabgabe und Soforthilfeabgabe aus Billigkeitsgründen” vom 19. Juli 1954 (BStBl 1954 I S. 380) – VerwAO 19. Juli 1954 – und ergänzend in dem „Erlaß betr. Erlaß der Vermögensabgabe bei Vermögensverfall” vom 21. Januar 1957 (BStBl 1957 I S. 126 mit Änderungen durch RdErl. vom 12. Dezember 1957, BStBl 1957 I S. 590) – Erl. 21. Januar 1957 – ausgeführt. Die Verwaltungsanordnung legt in einem einleitenden Abschnitt die für den Erlaß der Vermögensabgabe maßgebenden allgemeinen Gesichtspunkte dar. Der Abschnitt lautet:
I. Allgemeines
Tz. 1: Im Hinblick auf das mit dem Lastenausgleich verfolgte Ziel sind einem Erlaß der VA enge Grenzen gezogen. Das ergibt sich bereits aus dem schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für den Lastenausgleich zum Entwurf des LAG (zu BT-Drucksache Nr. 3300, S. 20). Dort ist folgendes ausgeführt:
„Was einen Erlaß der VA anlangt, so war sich die Mehrheit des Ausschusses der Folgen bewußt, die sich aus § 48 des Entwurfs (jetzt: § 54 des Gesetzes) ergeben. Wenn hiernach den bedürftigsten Abgabepflichtigen (alten oder erwerbsunfähigen Personen mit geringem Einkommen und Vermögen) die Abgabe nicht erlassen, sondern nur gestundet werden darf, so ist daraus als Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, daß ein Erlaß der Abgabe im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage bei Leistungsfähigeren erst recht nicht in Betracht kommen kann. Es bleiben daher für einen Erlaß der Abgabe nur Fälle besonderer Art übrig, z.B. solche, in denen ein Erlaß nicht im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage des Abgabepflichtigen, sondern zur Beseitigung solcher objektiver Härten notwendig erscheint, die sich aus der Anwendung des Gesetzes ergeben, deren sich aber der Gesetzgeber offensichtlich nicht bewußt gewesen ist. Außerdem ist dabei auch an die Fälle eines außerordentlichen Vermögensverfalls nach dem Währungsstichtag gedacht worden.”
Tz. 2: Wenn hiernach bei einem Erlaß der VA aus wirtschaftlichen Gründen zunächst nur an die Fälle eines außerordentlichen Vermögensverfalls gedacht war, so kann trotzdem ein Erlaß auch aus anderen wirtschaftlichen Gründen nicht schlechthin ausgeschlossen werden. Ein solcher Erlaß muß aber – der in dem Ausschußbericht ausgesprochenen Tendenz folgend – auf Fälle besonderer Art beschränkt werden. Im Hinblick darauf ist die Möglichkeit eines Erlasses grundsätzlich nur für die Fälle zugelassen, die in dieser Verwaltungsanordnung ausdrücklich bezeichnet worden sind.
Tz. 3: Soweit ein Erlaß der VA wegen außerordentlichen Vermögensverfalls oder aus anderen wirtschaftlichen Gründen zugelassen ist, können dabei die Grundsätze, die sich bei Anwendung des § 131 AO über den Erlaß von Steuern herausgebildet haben, nicht ohne weiteres übernommen werden. Das ergibt sich allein schon aus dem Charakter der VA. Ihre lange Laufdauer erfordert eine andere Beurteilung als bei den laufenden Jahressteuern, weil es sich bei augenblicklich schlechter wirtschaftlicher Lage des Abgabeschuldners meist nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilen läßt, ob sich nicht in späteren Jahren die Lage wieder erheblich bessern kann.
Sowohl bei dem Erlaß wegen außerordentlichen Vermögensverfalls als auch bei dem Erlaß aus anderen wirtschaftlichen Gründen sind die Gesamtverhältnisse des einzelnen Falls zu würdigen. Dabei sind nicht nur die Verhältnisse im Zeitpunkt der Antragstellung bzw. der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen; bei der endgültigen Entscheidung über den Erlaßantrag ist auch die voraussichtliche Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse abzuwägen.
2. Anschließend trifft die VerwAO 19. Juli 1954 (idF des Erl. 21. Januar 1957) eine Gruppenregelung für den Erlaß wegen außerordentlichen Vermögensverfalls (Tz. 9 ff.). Sie stellt die Regel auf, daß ein solcher Vermögensverfall nur anerkannt werden darf, wenn der „Vermögensverlust”, d.h. die Differenz zwischen dem „Ausgangsvermögen” vom 21. Juni 1948 und dem noch vorhandenen „Restvermögen”, mindestens 40% des Ausgangsvermögens beträgt, und daß der Prozentsatz des zulässigen Erlasses der Vierteljahrsbeträge mit dem Prozentsatz des Vermögensverlustes steigt (Tz. 12 und 24). Ehegatten, die nicht dauernd getrennt leben, sind dabei zu behandeln, als wären sie nur ein Abgabeschuldner, unabhängig davon, ob sie zusammen veranlagt sind oder nicht; beider Ausgangsvermögen, Restvermögen und Vierteljahrsbeträge sind zusammenzurechnen (Tz. 10, 17, 20, 26). Sinn und Wortlaut der Sonderregelung für Ehegatten sind eindeutig; nach ihr mußte der Erlaßantrag des Beschwerdeführers abgelehnt werden.
3. Die Verwaltungsanordnung enthält zwar eine Billigkeitsmaßnahme, so daß für die Regelung der objektiven Erlaß Voraussetzungen und Erlaßmaßstäbe ein verhältnismäßig weiter Ermessensspielraum gegeben war; doch muß sich auch eine Billigkeitsmaßnahme innerhalb der Grenzen halten, die das Gesetz – hier das Grundgesetz durch das den Art. 3 Abs. 1 GG konkretisierende personelle Differenzierungsverbot des Art. 6 Abs. 1 – zieht. Die Zusammenrechnungsvorschriften der VerwAO 19. Juli 1954 aber wirken sich, wie auch der Bundesminister der Finanzen nicht bestreitet, für Ehegatten, deren jeder am Währungsstichtag oder zur Zeit des Stundungsantrags selbständiges Vermögen hatte – nur solche werden von der Zusammenrechnung getroffen –, in aller Regel ungünstig aus. Die Verschlechterung der Erlaßaussichten durch die Zusammenrechnung kann für die Betroffenen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sein, wie gerade der Fall des Beschwerdeführers beweist. Ihm könnten ohne Zusammenrechnung nach VerwAO 19. Juli 1954 (idF des Erl. 21. Januar 1957) Tz. 24 80% seines Anteils an den Vierteljahrsbeträgen erlassen werden. Es handelt sich hiernach bei der Benachteiligung der Ehegatten keinesfalls um eine auf besonders gelagerte Fälle beschränkte unbeachtliche Nebenfolge der Zusammenrechnungsbestimmungen.
4. Die Bestimmungen können auch nicht aus der Natur des geordneten Lebensverhältnisses (Erlaß der Vermögensabgabe wegen Vermögensverfalls) eines Ehegatten gerechtfertigt werden.
aa) Die maßgebende Billigkeitserwägung ist hier, wie die oben wiedergegebenen allgemeinen Ausführungen der Verwaltungsanordnung und die gesamte Ausgestaltung der Erlaßvorschriften erweisen, nicht sozialer, von den Bedürfnissen des Steuerschuldners bestimmter Art, sondern eine an die Entwicklung des Steuerobjekts knüpfende Erwägung der Steuergerechtigkeit. Die Heranziehung der Bedürftigkeit des Steuerschuldners zur Begründung des Erlasses wird ausdrücklich – und in Kontrastierung zu § 54 LAG – ausgeschlossen und nur auf „objektive Härte” abgehoben (Tz. 1). Der Erlaß wegen außerordentlichen Vermögensverfalls ist daher nicht der Stundung nach § 54 LAG vergleichbar. Er will vielmehr dem Grundgedanken der Abgabe wieder Geltung verschaffen. Diese war auf 50% des Vermögens bemessen, die anderen 50% sollte der Abgabepflichtige behalten. Die Verrentung sollte die Abgabeschuld nicht erschweren, sondern erleichtern, die Tilgung aus dem Ertrage des Vermögens ermöglichen. Beide Absichten des Gesetzes werden verfehlt, wenn ein so starker Vermögensverfall eintritt, daß dem Belasteten weder 50% oder auch nur annähernd 50% seines Vermögens bleiben, noch von einer Tilgung aus dem Ertrag des Vermögens die Rede sein kann. Die obenerwähnte Staffelung in Tz. 24 zeigt unverkennbar, daß – dem Sinn des Lastenausgleichs folgend – den Abgabeschuldnern von großen ebenso wie von kleinen Vermögen ein gewisser Prozentsatz belassen werden sollte.
bb) Es kommt hiernach beim Erlaß wegen Vermögensverfalls nur auf den Prozentsatz des Vermögensverlustes und nicht auf die persönliche Leistungsfähigkeit des Antragstellers an. Allerdings ist den Finanzämtern neben der Prüfung des Vermögens Verfalls die Würdigung der „Gesamtverhältnisse des einzelnen Falls” aufgegeben (Tz. 3 Abs. 2) und der zulässige Prozentsatz des Erlasses als „Höchstbetrag” bezeichnet, der je nach der Lage des Falls unterschritten werden kann (Tz. 24).
Als Beispiele, die einen Erlaß unzulässig machen oder eine Unterschreitung der Höchstsätze rechtfertigen könnten, werden jedoch lediglich die Herbeiführung des Vermögensverfalls durch eigene Maßnahmen (Tz. 21) und eine voraussichtlich nur vorübergehend schlechte Vermögenslage (Tz. 3) angeführt. Weder in den eingestreuten Beispielen noch in dem übrigen Text der Verwaltungsanordnung ist erwähnt, daß das Einkommen oder die absolute Höhe des Restvermögens als Mittel zur Deckung des Lebensbedarfs bei der Würdigung der Gesamtverhältnisse zu berücksichtigen seien. Daraus ergibt sich, daß das Einkommen des Antragstellers nach dem Zweck des Erlasses wegen Vermögensverfalls allgemein keine Rolle spielt. Sonst wäre auch die wiederholte Erklärung des Bundesministers der Finanzen, der Erlaß solle beim Vorliegen des Vermögensverfalls „schematisch” oder „automatisch” eintreten, nicht verständlich. Ob ein außergewöhnlich hohes Einkommen nach allgemeiner Verwaltungsübung am Rande mit erwogen wird und werden darf, braucht nicht untersucht zu werden, denn der Beschwerdeführer verfügt nicht über mehr als den standesgemäßen Unterhalt.
Aus der Unterhaltsgemeinschaft der Ehegatten kann hiernach zur Rechtfertigung der Sonderbestimmungen und ihrer Anwendung auf den vorliegenden Fall nichts hergeleitet werden, denn die Unterhaltspflicht kann nur für die Gestaltung von Lebensverhältnissen Bedeutung haben, für die der notwendige oder standesgemäße Lebensbedarf und die zu seiner Befriedigung vorhandenen Mittel wesentlich sind.
cc) Durch die Zusammenrechnungsbestimmungen wird nicht eine durch Unterhaltsansprüche verbesserte wirtschaftliche Lage berücksichtigt, sondern zwangsweise eine Art steuerlicher Gütergemeinschaft hergestellt mit dem Ergebnis, daß Ehegatten die Möglichkeit des Erlasses – bei sonst gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen – im Vergleich zu Alleinstehenden erschwert wird. Es ist nicht erfindlich, wie das aus der wirtschaftlichen, das heißt hier vermögensrechtlichen Bedeutung der Ehe gerechtfertigt werden könnte. Sowohl das frühere, seit 1900 geltende, wie das heutige gesetzliche Güterrecht und das gesetzliche Erbrecht halten die Vermögen der Ehegatten getrennt.
5. Die Benachteiligung der Ehegatten durch die Zusammenrechnungsbestimmungen der VerwAO 19. Juli 1954 wird nicht dadurch aufgefangen oder ausgeglichen, daß neben der Erlaßmöglichkeit nach der Verwaltungsanordnung noch die unmittelbar aus § 131 AO hergeleitete Möglichkeit des Erlasses aus allgemeinen wirtschaftlichen Gründen besteht.
In Tz. 2 Satz 1 VerwAO 19. Juli 1954 – und ähnlich im Runderlaß LA-Kartei 11 zu § 203 Abs. 5 – ist zwar darauf hingewiesen, daß, wenn auch „zunächst nur an die Fälle eines außerordentlichen Vermögensverfalls gedacht war …, trotzdem ein Erlaß auch aus anderen wirtschaftlichen Gründen nicht schlechthin ausgeschlossen werden” könne. Als Beispiele werden Abwanderung oder Unterstützung des Abgabeschuldners durch öffentliche Fürsorge sowie die Lage des Vermögens im Zonengrenzgebiet genannt (Tz. 66 bis 68). Diese Beispiel zeigen – neben der Formulierung in Tz. 2 –, daß Vermögensverfall an sich als Erlaßgrund durch die Verwaltungsanordnung ausgeschöpft sein soll. Zudem ist in Tz. 2 dem Hinweis auf die Möglichkeit eines Erlasses aus anderen wirtschaftlichen Gründen eine entschiedene Einschränkung angefügt: „Ein solcher Erlaß muß aber – der in dem Ausschußbericht ausgesprochenen Tendenz folgend – auf Fälle besonderer Art beschränkt werden. Im Hinblick darauf ist die Möglichkeit eines Erlasses grundsätzlich nur für die Fälle zugelassen, die in dieser Verwaltungsanordnung ausdrücklich bezeichnet worden sind.” Danach kann der Abgabepflichtige, der die Voraussetzungen der VerwAO 19. Juli 1954 nicht erfüllt, praktisch auf einen Erlaß kaum hoffen.
Aber selbst wenn man annehmen dürfte, daß materiell-rechtlich mit Hilfe der allgemeinen Billigkeitsbestimmung ein Ausgleich der Nachteile aus den Zusammenrechnungsvorschriften der Verwaltungsanordnung denkbar wäre, bliebe eine wesentliche Benachteiligung durch die Verschiedenheit der Ermessensbindung und durch die Gestaltung des Verfahrens. Beim Vorliegen der Voraussetzungen der Verwaltungsanordnung erfolgt der Erlaß „automatisch” und im allgemeinen durch die Finanzämter; nur wenn der zu erlassende Betrag 100 000 DM übersteigt, ist die Zustimmung des Bundesministers der Finanzen erforderlich (VerwAO 19. Juli 1954 TZ. 69, 70). Der Erlaß aus anderen Gründen kann niemals „automatisch”, sondern nur auf Grund einer „Würdigung der Gesamtverhältnisse” und – von einer engbegrenzten Delegation abgesehen – nur durch den Bundesminister der Finanzen bewilligt werden (VerwAO 19. Juli 1954 Tz, 70; Runderlaß LA-Kartei 11 zu § 203 Abs. 5).
Der Fall des Beschwerdeführers zeigt zudem augenfällig, daß die Möglichkeit des Erlasses „aus anderen Gründen” des Einzelfalls unmittelbar nach § 131 AO gegenüber der Gruppenregelung der VerwAO 19. Juli 1954 vollkommen in den Hintergrund tritt. Weder die Finanzbehörden noch das Finanzgericht oder der Bundesfinanzhof haben einen Erlaß „aus anderen Gründen” auch nur in den Kreis ihrer Erwägungen einbezogen, sind vielmehr davon ausgegangen, daß jedenfalls im Hinblick auf Vermögensverfall die Erlaßmöglichkeit in der VerwAO 19. Juli 1954 erschöpfend geregelt ist.
6. Sind die angegriffene Entscheidung über den Erlaßantrag des Beschwerdeführers und die Verwaltungsbestimmungen, auf denen sie beruht, nach alledem mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar, so bedarf es keiner Prüfung mehr, ob auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 und 2 oder gegen Art. 14 GG gegeben ist.
c) Tz. 53 der Verwaltungsanordnung eröffnet im Zusammenhang mit dem Erlaß wegen Vermögensverfalls – unabhängig von der Altersstundung nach § 54 LAG – eine weitere Stundungsmöglichkeit bis zur Entscheidung über den Erlaß.
Der Stundungsantrag des Beschwerdeführers war sowohl auf Alter und Erwerbsunfähigkeit wie auf Vermögensverfall gestützt. Da in dem angegriffenen Urteil die Erlaßmöglichkeit wegen Vermögensverfalls verneint worden ist, bestand keine Veranlassung zu der – akzessorischen – Stundung wegen Vermögensverfalls Stellung zu nehmen. Das muß nachgeholt werden, wenn sich die Entscheidung über den Erlaßantrag als unvereinbar mit der Verfassung erweist. Deshalb kann auch die Entscheidung über die Stundung – obwohl die Altersstundung aus § 54 LAG zu Recht abgelehnt worden ist – keinen Bestand haben.
IV. Die Verwaltungsanordnung vom 19. Juli 1954, nach der die Entscheidungen von Finanzamt und Oberfinanzdirektion über den Erlaß- und den damit zusammenhängenden Stundungsantrag des Beschwerdeführers ergangen sind und auf der auch das Urteil des Bundesfinanzhofs beruht, ist eine vom Bundesminister der Finanzen für die nachgeordneten Finanzbehörden aufgestellte Richtlinie zur Gesetzesanwendung. Finanzgerichte und Bundesfinanzhof sind an solche verwaltungsinternen Weisungen nicht gebunden, sondern haben selbständig über ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und mit dem einfachen Gesetz zu urteilen. Verwaltungsanordnungen sind nicht objektives Recht, nicht „Gesetz” im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG. Sie können also nicht vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt werden. Ein Urteilsausspruch zu der Verwaltungsanordnung ist deshalb unterblieben, obwohl die Zusammenrechnungsbestimmungen für Ehegatten (Tz. 10, 17 Abs. 1, 20 Abs. 1 und 26 der Verwaltungsanordnung) mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar sind; aus der Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmungen folgt jedoch, daß bei der Entscheidung über Erlaß wegen Vermögensverfalls bei Ehegatten – entsprechend ihrer Behandlung im Vollstreckungsverfahren, vgl. § 7 StAnpG und dazu das oben erwähnte Urteil vom heutigen Tage – vom Ausgangs- und Restvermögen und vom Vermögensverlust des einzelnen Ehegatten auszugehen ist, gleichviel ob sie zusammen veranlagt sind oder nicht. Eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung, die auf den Zusammenrechnungsbestimmungen in ihrer jetzigen
Fassung beruht, würde das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzen und deshalb aufgehoben werden müssen.
Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG ist somit lediglich das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. April 1960, soweit es die Entscheidungen der Finanzbehörden über den Erlaß- und Stundungsantrag des Beschwerdeführers wiederherstellt, aufzuheben und die Sache an den Bundesfinanzhof zurückzuverweisen. Im übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zurückzuweisen. Die vom Beschwerdeführer beanstandeten Entscheidungen des Finanzamts und der Oberfinanzdirektion sind bereits durch das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben worden, so daß es insoweit eines Urteilsausspruchs nicht bedarf.
Fundstellen
BStBl I 1961, 63 |
BVerfGE, 180 |
NJW 1961, 598 |
MDR 1961, 383 |