Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer, Aussetzungszinsen, Stundungszinsen, öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. § 817 Satz 2 BGB findet in öffentlich-rechtlichen Rückabwicklungsverhältnissen keine entsprechende Anwendung.
2. Ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig, weil die darin vereinbarte Leistung des Bürgers gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, handelt der Bürger, wenn er sich gegenüber dem Zahlungsanspruch der Behörde hierauf beruft, nicht allein deshalb rechtsmissbräuchlich, weil der Vertrag auf seinen Wunsch abgeschlossen wurde und die Behörde ihre Leistung bereits erbracht hat (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2000 – BVerwG 4 C 4.99 – BVerwGE 111, 162).
Normenkette
AO § 233 S. 2; BGB §§ 134, 817 S. 2; VwGO § 137 Abs. 1 Nr. 2; VwVfG Bad.-Württ. § 59 Abs. 1; VwVfG Bad.-Württ. § 62 S. 2
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 11.10.2001; Aktenzeichen 2 S 1940/00) |
VG Sigmaringen (Urteil vom 23.09.1999; Aktenzeichen 6 K 1151/98) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11. Oktober 2001 wird aufgehoben.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger betrieb ein medizinisches Labor auf dem Gemeindegebiet der Beklagten. Mit Urteil vom 21. März 1995 entschied der Bundesfinanzhof, dass diese Tätigkeit des Klägers gewerbesteuerpflichtig sei.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 26. Oktober 1995 Aussetzungszinsen in Höhe von 4 313 575 DM fest. Diese Zinsen waren während des finanzgerichtlichen Rechtsstreits gegen die Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 1980 bis 1987 in dem Zeitraum von 1982 bis 1995 angefallen. Dieser Festsetzungsbescheid wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 12. Februar 1996 beantragte der Kläger bei der Beklagten Stundung der mit dem Bescheid vom 26. Oktober 1995 festgesetzten Aussetzungszinsen und Veranlagungszinsen für die Jahre 1990 bis 1994 in Höhe von 577 725 DM, weil er „das Verfahren ab 1990 nochmals aufzurollen” beabsichtige. Diesen Antrag lehnte die Beklagte unter dem 20. Februar 1996 mit formlosem Schreiben und mit einem mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 25. März 1996 ab.
Mit Schreiben vom 10. April 1996 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut Stundung und Ratenzahlung für den Gesamtbetrag der Aussetzungszinsen. Er habe kein laufendes Arbeitseinkommen mehr, so dass er Grundbesitz verkaufen müsste, um die Zinsen bezahlen zu können. Außerdem sei er bereit, den jeweils gestundeten Restbetrag für 3 bis 4 % zu verzinsen. Entsprechend diesem Vorschlag schlossen der Kläger und die Beklagte am 16. April 1996 eine „Stundungsvereinbarung”, in welcher dem Kläger die mit Bescheid vom 26. Oktober 1995 festgesetzten Aussetzungszinsen gestundet wurden. Die Zahlung des Stundungsbetrages sollte in monatlichen Raten von jeweils 500 000 DM erfolgen. Unter Punkt 3 der Vereinbarung verpflichtete sich der Kläger, für die Zeit ab Fälligkeit bis zur tatsächlichen Bezahlung Stundungszinsen in Höhe von 4 % im Jahr zu zahlen. Zugleich wurde vereinbart, dass die Beklagte berechtigt sei, die Stundungszinsen durch einen gesonderten Bescheid festzusetzen.
Nachdem der Kläger die gestundeten Aussetzungszinsen gezahlt hatte, setzte die Beklagte mit Bescheid vom 17. November 1997 die vereinbarten Stundungszinsen in einer Höhe von 109 616,67 DM fest. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 23. April 1998 zurück.
Auf die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht den Festsetzungsbescheid der Beklagten vom 17. November 1997 und deren Widerspruchsbescheid aufgehoben. Die zwischen den Beteiligten geschlossene Stundungsvereinbarung sei nichtig, weil die darin begründete Pflicht, Stundungszinsen für die festgesetzten Aussetzungszinsen zu zahlen, gegen das gesetzliche Verbot in § 233 Satz 2 AO verstoße. Es sei auch nicht rechtsmissbräuchlich, dass sich der Kläger auf die Nichtigkeit der Vereinbarung berufe, obgleich er sie selbst angeregt habe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Im Ausgangspunkt hat es dabei die Auffassung des Verwaltungsgerichts geteilt, dass die Stundungsvereinbarung nichtig sei, in der Berufung des Klägers hierauf jedoch eine unzulässige Rechtsausübung gesehen. Denn die Stundungsvereinbarung sei ausschließlich im Interesse des Klägers getroffen und die Leistung der Beklagten hieraus in Form der Stundung bereits erbracht worden.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger vor allem geltend, aus dem hier entsprechend anwendbaren § 817 Satz 2 Halbs. 2 BGB ergebe sich, dass er sein Leistungsversprechen aus der nichtigen Stundungsvereinbarung, an die Beklagte Stundungszinsen zu zahlen, kondizieren könne, obwohl die Beklagte ihre Stundungsverpflichtung bereits erfüllt habe. Der Grundsatz von Treu und Glauben stehe dem nicht entgegen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11. Oktober 2001 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 23. September 1999 zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig und begründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO), da es aufgrund eines zu großzügigen Maßstabs die Berufung des Klägers auf die Nichtigkeit der mit der Beklagten geschlossenen Stundungsvereinbarung als eine unzulässige Rechtsausübung bewertet. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts und der Aktenlage kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und die Berufung zurückweisen.
1. Der angefochtene Leistungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Dabei kann der Senat es ebenso wie das Berufungsgericht offenlassen, ob dies bereits daraus folgt, dass es an einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung der Stundungszinsen durch Verwaltungsakt fehlt (zu den Anforderungen an die so genannte „Verwaltungsaktbefugnis” vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 13. Februar 1976 – BVerwG 4 C 44.74 – BVerwGE 50, 171 ≪172 f.≫; Urteil vom 26. Oktober 1979 – BVerwG 7 C 106.77 – BVerwGE 59, 60 ≪61 ff.≫; Urteil vom 24. Januar 1992 – BVerwG 3 C 33.86 – BVerwGE 89, 345 ≪349≫). Denn die Rechtswidrigkeit des Leistungsbescheids folgt jedenfalls daraus, dass es wegen der Nichtigkeit der Stundungsvereinbarung an der mit ihm geltend gemachten Leistungspflicht des Klägers fehlt.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts, wonach die Stundungsvereinbarung vom 16. April 1996 nichtig ist, weil sie mit der Verpflichtung des Klägers, Stundungszinsen auf die angefallenen Aussetzungszinsen zu zahlen, gegen das Verbot des § 233 Satz 2 AO verstößt, bindet den Senat (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Das Berufungsgericht hat über die Auslegung und Anwendung des § 233 Satz 2 AO, demzufolge Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen nicht verzinst werden, insoweit als nicht revisibles Landesrecht entschieden. Denn der Vertrag regelt die Stundung und Verzinsung der auf die Gewerbesteuer des Klägers angefallenen Aussetzungszinsen, deren Erhebung und Beitreibung nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b, Abs. 2 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) Baden-Württemberg i.V.m. § 1 Gewerbesteuergesetz (GewStG) als Landesrecht erfolgt (zu diesen Grundsätzen vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1969 – BVerwG 7 C 20.67 – BVerwGE 32, 252 ≪254≫; Urteil vom 14. Dezember 1978 – BVerwG 5 C 1.78 – BVerwGE 57, 204 ≪206 f.≫; Urteil vom 24. September 1992 – BVerwG 3 C 64.89 – BVerwGE 91, 77 ≪81 f.≫). Es ist nichts dafür ersichtlich und wird auch von den Beteiligten nicht geltend gemacht, dass die Feststellungen des Berufungsgerichts zur Auslegung des Landesrechts, wonach es sich bei dem Verbot des § 233 Satz 2 AO, für steuerliche Nebenleistungen Zinsen zu erheben, um ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB handelt, und dass mit der Stundungsvereinbarung gegen dieses Verbot mit der Folge ihrer Nichtigkeit (§ 59 Abs. 1 VwVfG Bad.-Württ.) verstoßen wird, ihrerseits auf einer Verletzung von Bundesrecht beruhen (zu diesem Maßstab vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1986 – BVerwG 7 C 79.85 – BVerwGE 75, 67 ≪69≫; Urteil vom 18. Dezember 1987 – BVerwG 4 C 9.86 – BVerwGE 78, 347 ≪351≫). Der Einwand der Beklagten, die Stundungsvereinbarung verstoße in Wahrheit nicht gegen § 233 Satz 2 AO, weil die vom Kläger eingegangene Verpflichtung zur Zahlung von Stundungszinsen nach § 234 Abs. 1 AO als lex specialis zulässig sei, kann daher in der Revision nicht berücksichtigt werden.
2. Der angefochtene Leistungsbescheid, der allein auf die Stundungsvereinbarung gestützt werden kann, ist rechtswidrig, weil die darin begründete Verpflichtung des Klägers, an die Beklagte Stundungszinsen zu zahlen, wegen der Nichtigkeit der Vereinbarung jedenfalls in diesem Punkt nicht besteht. Da der Leistungsbescheid schon deshalb aufzuheben ist, kommt es auf die vom Kläger in den Mittelpunkt seiner Revision gerückte Frage nicht an, ob er sich hierfür auf eine entsprechende Anwendung des § 817 Satz 2 BGB berufen kann. Denn es geht, worauf die Beklagte zu Recht hinweist, hier nicht um die Rückabwicklung einer rechtsgrundlos erfolgten Vermögensverschiebung, sondern allein um die durch den Leistungsbescheid eingeforderte Zahlungspflicht des Klägers. Die von ihm aufgeworfene Frage, ob er sein Leistungsversprechen aus der Stundungsvereinbarung nach § 817 Satz 2 Halbs. 2 BGB kondizieren könne, obwohl das Versprechen ein gesetzliches Verbot verletze, stellt sich daher nicht, da er es ohnehin nicht zu erfüllen braucht.
Der vom Kläger insoweit vertretene Standpunkt gibt dem Senat allerdings Veranlassung, darauf hinzuweisen, dass der Kläger, wenn es für ihn entscheidungstragend darauf ankäme, sein in der Stundungsvereinbarung gegebenes, aber noch nicht erfülltes Leistungsversprechen nicht nach § 817 Satz 2 Halbs. 2 BGB kondizieren könnte. Denn § 817 Satz 2 BGB kann im Rahmen öffentlich-rechtlicher Rückabwicklungsverhältnisse weder unmittelbar noch entsprechend herangezogen werden. War der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, so ist nach § 817 Satz 2 BGB die Rückforderung der Leistung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden ebenso wie dem Empfänger ein solcher Verstoß zur Last fällt, es sei denn, dass die Leistung in der Eingehung einer Verbindlichkeit besteht und diese Verbindlichkeit noch nicht erfüllt worden ist.
Über den Zweck dieser Regelung, die in den genannten Fällen trotz Sittenwidrigkeit oder des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot die rechtsgrundlos erfolgte Vermögensverschiebung bestehen lässt, besteht Uneinigkeit. Während ihr früher zumeist Strafcharakter zugemessen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 1963 – VII ZR 284/61 – BGHZ 39, 87 ≪91≫; RG, Urteil vom 8. November 1922 – IV 69/22 – RGZ 105, 270 ≪271 f.≫), wird sie heute überwiegend als Ausdruck einer Rechtsschutzverweigerung verstanden (BGH, Urteil vom 31. Mai 1990 – VII ZR 336/89 – BGHZ 111, 308 ≪312 f.≫; BGH, Urteil vom 6. Mai 1965 – II ZR 217/62 – BGHZ 44, 1 ≪6≫; Lieb, in: Münchner Kommentar zum BGB, Band 5, 3. Aufl. 1997, § 817 Rn. 9; Lorenz, in: Staudingers Kommentar zum BGB, 1999, § 817 Rn. 4).
In jedem Fall ist § 817 Satz 2 BGB in öffentlich-rechtlichen Rückabwicklungsverhältnissen, insbesondere auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, nicht, auch nicht über § 62 Satz 2 VwVfG anwendbar. Denn die Bestimmung widerspricht dem das öffentliche Recht prägenden Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, da sie den durch gesetzeswidrige Vermögensverschiebung erreichten Zustand festschreibt. Aus diesem Grund hat die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung auch § 818 Abs. 3, 4 und § 819 Abs. 1 BGB für nicht anwendbar auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch erklärt (BVerwG, Urteil vom 12. März 1985 – BVerwG 7 C 48.82 – BVerwGE 71, 85 ≪89≫; ebenso zu § 814 BGB auch in Bezug auf die Leistung des Bürgers an die Verwaltung VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 1990 – 2 S 2098/89 – VBlBW 1991, 263 ≪268≫; Hessischer VGH, Urteil vom 17. Juli 1990 – 11 UE 1487/89 – NJW 1991, 510; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. November 1991 – 1 A 10312/89 – NVwZ 1992, 796).
Zudem ist § 817 Satz 2 BGB integraler Bestandteil der aufeinander abgestimmten Regelungen des zivilrechtlichen Kondiktionsrechts und kann auch deshalb nicht, wie der Kläger fordert, isoliert auf einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch angewandt werden.
3. Der allgemeine Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben hindert den Kläger nicht, dem angefochtenen Leistungsbescheid die Nichtigkeit der zugrunde liegenden Stundungsvereinbarung entgegenzuhalten. Die Vorinstanz, die die Berufung des Klägers hierauf für rechtsmissbräuchlich hält, verkennt die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hierzu entwickelten strengen Voraussetzungen, nach denen dem Bürger in gestörten öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnissen nur ausnahmsweise die Berufung auf deren Nichtigkeit mit Rücksicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt werden kann.
a) Obwohl, wie bereits ausgeführt, der zwischen den Beteiligten geschlossene Vertrag landesrechtlicher Natur ist, die folglich auch der den Vertrag umsetzende Leistungsbescheid teilt, ist die hier maßgebliche Frage, ob die Berufung auf die Nichtigkeit des Vertrags rechtsmissbräuchlich ist, revisibel, weil sie von unmittelbarem Einfluss auf Umfang und Reichweite der nach § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO revisiblen Nichtigkeitsbestimmung des § 59 Abs. 1 VwVfG Bad.-Württ. im vorliegenden Fall ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2000 – BVerwG 4 C 4.99 – BVerwGE 111, 162 ≪172 f.≫).
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht dem auf einem nichtigen verwaltungsrechtlichen Vertrag beruhenden Erstattungsanspruch eines Beteiligten der Grundsatz von Treu und Glauben nicht schon deshalb entgegen, weil eine Rückabwicklung der vom anderen Teil erbrachten Leistung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist. Anderenfalls würde die gesetzlich angeordnete Sanktion der Nichtigkeit des Vertrags in einer Vielzahl von Fällen rechtlich wirkungslos bleiben. Der Grundsatz von Treu und Glauben erhielte damit eine rechtliche Tragweite, die mit dem Regelungsanspruch des § 59 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG in jenem Fall – und dem des § 59 Abs. 1 VwVfG Bad.-Württ. im vorliegenden Fall – nicht vereinbar wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2000, a.a.O., S. 173).
Der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in jenem Fall den Erstattungsanspruch des Bürgers bereits in der Nichtigkeitsfolge des § 59 Abs. 2 Nr. 4 (Bay)VwVfG angelegt gesehen, weil die Behörde ansonsten durch die Zurückbehaltung der Leistung einen Vermögensvorteil erlangen würde, für den sie das Instrument des öffentlich-rechtlichen Vertrages nicht hätte einsetzen dürfen (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2000, a.a.O.). Umso mehr muss dies im vorliegenden Fall gelten, in dem nicht lediglich das von der Behörde eingesetzte Mittel zur Erreichung eines an sich gesetzesgemäßen Ergebnisses wegen der Verletzung des Koppelungsverbotes zu beanstanden ist, sondern das Ergebnis der angestrebten Vermögensverschiebung selbst gegen ein gesetzliches Verbot verstößt und so erst recht keinen Bestand haben kann. Auch in diesen Fällen kann nicht allein der Umstand, dass die Beklagte ihre Leistung aus der nichtigen Vereinbarung in Form der Stundung bereits erbracht hat, dem Kläger die Berufung auf die Nichtigkeit verwehren. Es müssen vielmehr besondere, in der Person oder im Verhalten des die Erstattung begehrenden oder – wie hier – die Leistung verweigernden Bürgers liegende Umstände hinzutreten, die dieses Verhalten als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2000, a.a.O., S. 174).
c) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zwar zutreffend wiedergegeben, es hat sich aber bei deren Anwendung auf den konkreten Fall nicht daran gehalten und ohne hinreichend gewichtige Gründe in der Person oder auch dem Verhalten des Klägers zu großzügig eine unzulässige Rechtsausübung bejaht.
So sind hier zunächst, was das Berufungsgericht nicht hinreichend gewürdigt hat, umso höhere Anforderungen an die einen Rechtsmissbrauch begründenden besonderen Umstände in der Person des Klägers zu stellen, weil es für ihn nicht um die Rückabwicklung einer rechtsgrundlos erbrachten Leistung geht, er vielmehr mit dem Leistungsbescheid ein Begehren bekämpft, durch das die von der Rechtsordnung ausweislich des Verbotsgesetzes missbilligte Lage erst hergestellt werden soll. Dies abzulehnen wird in aller Regel nicht rechtsmissbräuchlich sein.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegen auch keine besonderen Umstände in der Person oder dem Verhalten des Klägers vor, die unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen die Leistungsverweigerung des Klägers als treuwidrig erscheinen lassen.
Die für das Berufungsgericht bei seiner Würdigung offenbar entscheidende Annahme, dass die Beklagte mit Eingehung der Vereinbarung eine allein an den Interessen des Klägers ausgerichtete Billigkeitsentscheidung getroffen habe, ist weder durch die Feststellungen des Gerichts noch durch die Aktenlage gedeckt.
Es trifft zwar zu, dass die Vereinbarung auf Anregung des Klägers zustande kam und dass er in seinem Schreiben vom 10. April 1996 auch selbst die Ratenzahlung zu einer Verzinsung von 3 bis 4 % angeboten hatte. Die Beklagte selbst nimmt indes nicht an, dass die Vereinbarung einseitig nur zugunsten des Klägers abgeschlossen worden sei. In ihrem Widerspruchsbescheid vom 23. April 1998 wertet sie die Vereinbarung als Vergleichsvertrag, wobei auf die im Ausgang unsichere Prüfung verzichtet worden sei, ob in der Person des Klägers die engen Billigkeitsvoraussetzungen für eine Stundung der Aussetzungszinsen nach § 222 AO damals vorgelegen hätten. Auf der anderen Seite sei dem Kläger durch die Vereinbarung die Ratenzahlung zu einem moderaten Zinssatz sicher gewesen, der deutlich unter den sonst damals erforderlichen Kreditzinsen gelegen habe. In ihrer Revisionserwiderung hat die Beklagte diese Sichtweise bestätigt und betont, es sei ungewiss, ob es unbillig gewesen wäre, bei der in Rede stehenden Schuld des Klägers in Höhe von über 4 300 000 DM an der Versagung der Stundung festzuhalten und dem Kläger den Verkauf von Grundstücken zuzumuten.
Auch das Berufungsgericht hat es letztlich offen gelassen, ob der Kläger „angesichts seiner damaligen finanziellen Situation ohnehin einen Anspruch auf eine (zinslose) Stundung gehabt” hätte (UA S. 9). Es hält ihm in diesem Zusammenhang indes zu Unrecht entgegen, dass sein Stundungsbegehren bei Abschluss der Vereinbarung jedenfalls bestandskräftig abgelehnt war. Dies entspricht nicht der Aktenlage; ein Umstand, der vom Senat auch im Revisionsverfahren berücksichtigt werden kann (zu dieser Möglichkeit vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1985 – BVerwG 7 C 26.83 – BVerwGE 71, 93 ≪96 ff.≫; Urteil vom 29. April 1988 – BVerwG 9 C 54.87 – BVerwGE 79, 291 ≪297 f.≫; Urteil vom 16. Mai 2001 – BVerwG 7 C 16.00 – DVBl 2001, 1451 ≪1452≫). Dabei kann dahinstehen, ob der ursprüngliche Stundungsantrag des Klägers vom 12. Februar 1996 auf den gesamten Betrag der Aussetzungszinsen bezogen war, oder – wofür die Antragsformulierung spricht – lediglich die „Aussetzungszinsen und Veranlagungszinsen für die Jahre 1990 bis 1994 in Höhe von 577 725 DM” erfasste. Jedenfalls war die Ablehnung dieses Stundungsantrags durch die Beklagte mit ihrem formlosen Schreiben vom 20. Februar 1996, ergänzt durch die erstmals mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Begründung vom 25. März 1996, zum Zeitpunkt des Abschlusses der Stundungsvereinbarung am 16. April 1996 noch nicht bestandskräftig.
War danach bei Abschluss der Vereinbarung zwischen den Beteiligten zumindest offen, ob dem Kläger nicht ohnehin die Stundung der Aussetzungszinsen hätte gewährt werden müssen, die dann nach der bindenden Feststellung des Berufungsgerichts gemäß § 233 Satz 2 AO nicht hätte verzinst werden dürfen, folgen allein aus dem Umstand, dass die Vereinbarung einschließlich der Zinszahlungspflicht auf eigenen Vorschlag des Klägers erfolgt ist und die Beklagte ihre Leistung in Form der Stundung auch bereits erbracht hat, nach dem vorstehend dargelegten Maßstab keine besonderen Gründe, die die Berufung auf die Nichtigkeit der Vereinbarung rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen. Weitere Umstände in der Person des Klägers, insbesondere ein qualifiziert widersprüchliches oder unredliches Verhalten im Zusammenhang mit dem Abschluss und der Durchführung der Vereinbarung, sind nicht ersichtlich und werden von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Hien, Dr. Storost, Vallendar, Prof. Dr. Rubel, Dr. Eichberger
Fundstellen
BFH/NV Beilage 2003, 242 |
JurBüro 2003, 664 |
DÖV 2004, 716 |
KKZ 2004, 43 |
BayVBl. 2003, 570 |
DVBl. 2003, 1215 |
DVBl. 2004, 586 |
GK/BW 2004, 25 |
BFH/NV-Beilage 2003, 242 |
FSt 2004, 600 |
GK/Bay 2004, 145 |
GK 2004, 173 |
LL 2003, 797 |