Rz. 1
Vorwort:
Vom ökonomischen Standpunkt aus gesehen, bildet ein multinationaler Konzern, trotz der (steuerrechtlichen) Unabhängigkeit seiner einzelnen Einheiten (z. B. Tochterkapitalgesellschaften), eine Gesamtheit. In diesem Rahmen fehlt es in einer verbundenen Unternehmensgruppe an dem natürlichen Interessengegensatz, der typischerweise bei Geschäftsbeziehungen zwischen unabhängigen fremden Dritten auf dem freien Markt vorhanden ist. Im Gegensatz zu Marktpreisen, die durch den freien Markt bestimmt werden, können konzerninterne Verrechnungspreise daher zur gezielten Gewinnverschiebung (in Niedrigsteuerländer) genutzt werden. Um Missbrauch vorzubeugen und den Staaten – wertschöpfungsgerecht – ihren Anteil am Besteuerungssubstrat einer Unternehmensgruppe zuzuorden, existieren nationale und internationale Regelungen, wie das Besteuerungssubstrat international "verteilt" wird, die sich am sog. Fremdvergleichsgrundsatz (Arm's Length Principle) orientieren. Letzterer ist in Deutschland für grenzüberschreitende Transaktionen in § 1 Abs. 1 S. 1 AStG verankert. Seit seiner Implementierung durch das AStG fungiert § 1 AStG zugleich als Eingangsnorm im deutschen Außensteuergesetz (AStG) und stellt eine der wichtigsten steuerlichen Vorschriften für international tätige Steuerpflichtige (insbes. multinationale Unternehmensgruppen) dar.
Der Fremdvergleichsgrundsatz erfordert dabei einen (hypothetischen) Vergleich der Bedingungen zwischen verbundenen Unternehmen zu den Bedingungen, die zwischen unabhängigen Dritten in einer vergleichbaren Situation bestehen würden. Gemäß Art. 9 Abs. 1 OECD-Musterabkommen (OECD-MA) werden dabei die Bedingungen betrachtet, die zwischen verbundenen Unternehmen vereinbart oder auferlegt werden und von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen in ihren geschäftlichen oder finanziellen Beziehungen anwenden würden. Der Fokus liegt somit auf den "Bedingungen", die im Einflussbereich der verbundenen Unternehmen liegen und daher vereinbart oder von einer Seite auferlegt werden können. Äußere, nicht beeinflussbare Umstände sind grundsätzlich nicht Gegenstand des Fremdvergleichs. Sie werden als gegeben angenommen; gleichwohl sind ihre Auswirkungen bei der Durchführung des Fremdvergleichs zu berücksichtigen.
Beim "Fremdvergleichen" ist insbes. ökonomisches Denken angezeigt, die juristische Vertragslage der Geschäftsbeziehungen ist dabei nur Ausgangspunkt einer Verrechnungspreisanalyse. Vielmehr kommt der Analyse der jeweiligen Funktionen und Risiken, einer Analyse der Wertschöpfungskette im Unternehmen sowie dem Einsatz von in der Fachwelt anerkannten ökonomischen (Verrechnungspreis-)Methoden erhöhte Bedeutung zu. Wenn Unternehmen gemäß Art. 9 Abs. 1 OECD-MA miteinander "verbunden" sind, basiert der Fremdvergleich letzlich auf einem hypothetischen Modell, das bei der Preisfindung eine (nicht existierende) Unabhängigkeit der Parteien annimmt. Es darf dabei jedoch nicht gänzlich ignoriert werden, dass diese Unternehmen Teil einer Unternehmensgruppe sind, was besondere Umstände wie beispielsweise eine erhöhte Informationstransparenz oder spezifische gesetzliche Regularien für Unternehmensgruppen nach sich zieht. Der Fokus liegt somit darauf, einen "Interessengegensatz" zwischen den verbundenen Unternehmen herzustellen und damit die Beziehungen zu ermitteln, die voneinander unabhängige Unternehmen (bei der Preisfindung) eingehen würden. Das erforderliche Verhalten wird am wirtschaftlich und ökonomisch Vernünftigen ausgerichtet, was als Maßstab für wirtschaftlich angemessenes Verhalten herangezogen wird. Abweichungen hiervon können als widerlegbare Vermutung gelten, dass das Verhalten durch die Verbundenheit der Unternehmen beeinflusst wurde. Der BFH stellt dabei auf das Verhalten eines doppelt ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ab, sodass immer mindestens zwei Parteien einzubeziehen sind, um den "Interessengegensatz" abzubilden. Eine ausschließlich transaktionsbezogene Bewertung bzw. eine isolierte Betrachtung einzelner Transaktionen ist ökonomisch regelmäßig unzureichend. Der Art. 9 Abs. 1 OECD-MA zielt nicht auf einzelne Transaktionen, sondern auf den Gesamtgewinn eines verbundenen Unternehmens ab. Obwohl die OECD-Leitlinien häufig (nur) eine transaktionsorientierte Sichtweise betonen, sieht § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG ausdrücklich auch eine Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen vor. Daher sollte stets der Gesamtkontext innerhalb der Unternehmensgruppe berücksichtigt und eine umfassende Analyse der Wertschöpfungskette durchgeführt werden, um die tats. wirtschaftlichen Aktivitäten der Gruppe angemessen zu beurteilen – und letzlich den zutreffenden Inlandsgewinn (denn darum geht es schlussendlich) sicherzustellen.
Rz. 2
Aufbau der Vorschrift:
§ 1 AStG kodifiziert innerstaatlich den "Fremdvergleichsgrundsatz" und gliedert sich in 11 Absätze, die (vereinfacht) Folgendes regeln:
§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG normiert zunächst die notwendigen einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen einer Verrechnungspreis...