Rz. 430
Art. 25 Abs. 1 OECD-MA legt die Kriterien fest, unter denen ein Verständigungsverfahren beantragt werden kann. Ein solches Verfahren ist möglich, wenn:
a) Maßnahmen eines Vertragsstaats oder beider Vertragsstaaten
b) zu einer Besteuerung führen oder führen werden, die den Bestimmungen des Abkommens nicht entspricht, und
c) ein entsprechender Antrag innerhalb von drei Jahren nach der ersten Mitteilung der abkommenswidrigen Maßnahme gestellt wird.
Rz. 431
Um ein Verständigungsverfahren gemäß Art. 25 Abs. 1 OECD-MA zu initiieren, ist erforderlich, dass entweder die Maßnahmen eines Vertragsstaates oder beider Staaten zu einer Besteuerung führen, die den Bestimmungen des Abkommens zuwiderläuft. Ein solcher Fall tritt häufig ein, wenn im Zuge von Betriebsprüfungen Änderungsbescheide aufgrund einer Verrechnungspreiskorrektur (§ 1 AStG) ergehen, die folglich (zunächst) eine Doppelbesteuerung hervorrufen. Schon die Gefahr einer abkommenswidrigen Besteuerung reicht für die Einleitung regelmäßig aus. Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung ist mindestens eine (finale) Prüfungsfeststellung (oder z. B. ein Teilbericht der Bundesbetriebsprüfung) notwendig. Die Voraussetzungen können sich jedoch von Land zu Land unterscheiden. Wichtig ist, dass die Einleitung eines Verständigungsverfahrens aber nicht unbedingt das Vorhandensein einer tatsächlichen oder drohenden Doppelbesteuerung voraussetzt. Vielmehr reicht eine Besteuerung, die den Vereinbarungen des Abkommens widerspricht, als Grundlage für die Einleitung aus. Dies bedeutet, dass auch Situationen, in denen eine "virtuelle" Doppelbesteuerung oder eine doppelte Nichtbesteuerung vorliegt, grundsätzlich Gegenstand eines Verständigungsverfahrens sein können.
Rz. 432
Die Feststellung einer abkommenswidrigen Besteuerung erfolgt durch eine Überprüfung der materiellen Vorschriften des jeweiligen Abkommens. Insbesondere Verrechnungspreisproblematiken, also die Gewinnverteilung zwischen verbundenen Unternehmen gemäß Art. 9 OECD-MA oder zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nach Art. 7 OECD-MA, sind in der Praxis von großer Bedeutung. Wichtig ist, dass in Verständigungsverfahren ausschließlich der doppelt besteuerte Gewinn angepasst wird, was bedeutet, dass eine Steuernachzahlung in einem Staat nicht zwangsläufig einer Steuererstattung im anderen Staat entspricht, vor allem aufgrund unterschiedlicher Steuersätze. Zudem sind Nachzahlungszinsen und Strafen bzw. Zuschläge (z. B. § 162 Abs. 4 AO) regelmäßig nicht Teil des Verständigungsverfahrens. Obwohl Verrechnungspreisthemen dominieren, können auch andere Fragen, wie die Begründung bzw. Anerkennung einer Betriebsstätte nach Art. 5 OECD-MA oder Quellensteuerpflichten auf Dividenden, Zinsen und Lizenzen nach Art. 10 bis 12 OECD-MA, in einem Verständigungsverfahren behandelt werden.
Rz. 433
Für die Einleitung eines Verständigungsverfahrens ist es notwendig, innerhalb von drei Jahren ab dem Zeitpunkt der ersten Benachrichtigung über eine abkommenswidrige Maßnahme einen Antrag zu stellen (Art. 25 Nr. 1 S. 2 OECD-MA). Es ist jedoch zu beachten, dass die spezifische Frist für die Antragstellung je nach dem im Einzelfall anzuwendenden Doppelbesteuerungsabkommen variieren kann und daher eine einzelfallbezogene Überprüfung erforderlich ist. Dieser Antrag muss in der Regel von den direkt betroffenen Unternehmen eingereicht werden. Bei Personengesellschaften können sich jedoch je nach dem relevanten DBA Unterschiede ergeben, wobei möglicherweise die Gesellschafter selbst antragsberechtigt und -pflichtig sind. Die Antragstellung erfolgt üblicherweise in dem Staat, dessen Maßnahmen zu der abkommenswidrigen Besteuerung geführt haben. Es hat sich jedoch als praktisch erwiesen, parallel dazu auch im anderen Vertragsstaat einen gleichlautenden Antrag zu stellen, um sicherzustellen, dass die Finanzbehörden beider Staaten über denselben Sachverhalt informiert sind. Detaillierte Informationen zum Verfahren für die Antragstellung eines Verständigungsverfahrens in Deutschland, einschließlich der Antragsfrist und der erforderlichen Inhalte des Antrags, sind im BMF-Schreiben vom 27.08.2021 festgehalten. Dieses BMF-Schreiben bietet eine umfassende Orientierungshilfe für Unternehmen, die ein Verständigungsverfahren in Deutschland initiieren möchten, und erläutert die spezifischen Anforderungen und Richtlinien, die im deutschen Kontext zu beachten sind.
Wenn kein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) greift oder nicht vorhanden ist, bleibt die Doppelbesteuerung in der Regel bestehen. § 34c EStG kommt nicht zur Anwendung, da eine Identität des Steuerpflichtigen erforderlich ist. Folglich muss eine rechtliche Doppelbesteuerung existieren. Unter bestimmten Umständen könnte ein Erlass gemäß § 277 AO möglich sein.
Rz. 434–435
einstweilen frei