183-Tage-Schreiben der Finanzverwaltung


183-Tage-Schreiben der Finanzverwaltung

Werden Arbeitnehmer im Ausland tätig oder arbeiten ausländische Arbeitnehmer vorübergehend in Deutschland, muss geprüft werden, ob der Arbeitslohn im Inland steuerpflichtig ist bzw. ob ganz oder teilweise eine Steuerfreistellung nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) infrage kommt. Einzelheiten dazu ergeben sich aus dem sog. 183-Tage-Schreiben. Ergänzend hat die Verwaltung Regelungen zum Lohnsteuerverfahren getroffen.

Das BMF hat das 183-Tage-Schreiben Ende 2023 (BMF, Schreiben v. 12.12.2023, IV B 2 - S 1300/21/10024 :005) erneut umfangreich überarbeitet und ergänzt. Mehrere kleinere Erlasse sind in das umfassende Schreiben integriert und aktuelle Rechtsprechung eingearbeitet worden. Neu in der 2023er-Auflage sind u.a. erstmalige Ausführungen zum Homeoffice. Gerade dadurch kann es auch innerhalb eines Monats zu einer Aufteilung von Besteuerungsrechten zwischen zwei Staaten kommen. Im Herbst 2024 hat die Verwaltung ergänzend geregelt bzw. aktualisiert, wie die Aufteilung im Lohnsteuerverfahren erfolgen soll.

Neue BMF-Schreiben

Die Regelungen des aktuellen 183-Tage-Schreibens v. 12.12.2023, sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Die neuen Regeln zum LSt-Abzugsverfahren (BMF, Schreiben v. 8.10.2024, IV C 5 - S 2367/23/10001 :001, vgl. Kommentierung) sind zwingend erst ab 2025 anzuwenden, dazu später mehr.

Auslandstätigkeit von Arbeitnehmern

Wenn inländische Arbeitnehmer im Ausland tätig werden oder umgekehrt ausländische Arbeitnehmer vorübergehend in Deutschland tätig werden, ist regelmäßig zu prüfen, ob und in welchem Umfang der Arbeitslohn im Inland steuerpflichtig ist, ob eine Freistellung von der Lohnsteuer nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) oder einer anderen Regelung erfolgt.

Besteuerung des Arbeitslohns

Hat ein Arbeitnehmer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, unterliegt er als unbeschränkt Steuerpflichtiger grundsätzlich mit seinem gesamten Welteinkommen der inländischen Besteuerung (§ 1 Abs. 1 EStG i. V. m. § 2 Abs. 1 EStG). Fehlt es sowohl an einem solchen Wohnsitz als auch an einem gewöhnlichen Aufenthalt, ist ein Arbeitnehmer, der inländische Einkünfte i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG erzielt, grundsätzlich nach § 1 Abs. 4 EStG beschränkt einkommensteuerpflichtig. Die Erzielung inländischer Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist allein vom dort definierten inländischen Anknüpfungspunkt und nicht von einem Mindestaufenthalt im Inland abhängig.

Im 183-Tage-Schreiben wird die abkommensrechtliche Behandlung der Vergütungen aus unselbstständiger Arbeit anhand des aktuellen Musterabkommens der OECD (OECD-MA) dargestellt. Die von Deutschland abgeschlossenen und rechtlich wirksamen DBA orientieren sich nach Inhalt und Aufbau am OECD-MA. Im konkreten Einzelfall sind die jeweiligen Vorschriften des anzuwendenden DBA maßgeblich, nicht das OECD-MA.

Ansässigkeit

Nach der Systematik der DBA wird für Einkünfte aus unselbstständiger Tätigkeit die Doppelbesteuerung vermieden, indem bestimmt wird, in welchem Umfang das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat der steuerpflichtigen Person oder dem Tätigkeitsstaat zugewiesen wird. Das bedeutet, dass in Fällen der Doppelansässigkeit stets zu entscheiden ist, welcher der beiden Vertragsstaaten als der abkommensrechtliche Ansässigkeitsstaat gilt.

Bei mehreren Wohnsitzen gilt eine Person in dem Vertragsstaat als ansässig, indem sie über eine "ständige" Wohnstätte verfügt. Ist dies in beiden Vertragsstaaten der Fall, gilt sie in dem Vertragsstaat als ansässig, in dem der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen liegt. Für die Prüfung, in welchem Vertragsstaat sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet, sind die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen nach objektiven Anhaltspunkten gegeneinander abzuwägen, um den bedeutungsvolleren Ort festzustellen (BFH, Urteil v. 23.7.1971, III R 60/70, BStBl II S. 758). Entscheidend ist, zu welchem Staat die engeren Beziehungen bestehen. Die hierzu notwendige Gesamtschau schließt notwendigerweise auch die private Lebensführung eines Steuerpflichtigen mit ein.

Nach Rn. 15 des 183-Tage-Schreibens sind bei den persönlichen Beziehungen sämtliche persönlichen Verhältnisse aus der privaten Lebensführung einer Person, insbesondere die familiären und gesellschaftlichen Beziehungen, die politische, kulturelle und sonstige Verwurzelung, die Ausstattung und Größe der Wohnung, private Aktivitäten, Mitgliedschaften in Parteien und Vereinen zu berücksichtigen. Das wurde in Presseberichten fälschlicherweise als Verschärfung kritisiert. Im Rahmen der Aktualisierung wurden zwar ergänzende Ausführungen zu praxisrelevanten Beispielen und Kriterien aus Gerichtsverfahren und zwischenstaatlichen Verständigungsverfahren in das BMF-Schreiben aufgenommen. Diese Ergänzungen entsprechen jedoch der gefestigten Praxis und stellen daher keine Änderung der Rechtslage dar. Zu verweisen ist insoweit u.a. auf das BFH, Urteil v. 31.10.1990, I R 24/89, BStBl II 1991, S. 562: "Die persönlichen Beziehungen umfassen die gesamte private Lebensführung einer natürlichen Person. Dazu gehören familiäre, gesellschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen". Es bleibt abzuwarten, ob die Verwaltung dennoch auf die Kritik reagiert und hier ggf. Vereinfachungen insbesondere für Arbeitgeber vornimmt.

Ort der Besteuerung im Ansässigkeits- oder Tätigkeitsstaat

Nach Art. 15 Abs. 1 OECD-MA können die Vergütungen aus unselbstständiger Arbeit nur im Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers besteuert werden, es sei denn, die Tätigkeit wird im anderen Staat ausgeübt. Wird die unselbstständige Arbeit im anderen Staat (Tätigkeitsstaat) ausgeübt, steht grundsätzlich diesem Staat das Besteuerungsrecht für die bezogenen Vergütungen (sog. Arbeitsortprinzip) zu.

Abweichend von Art. 15 Abs. 1 OECD-MA steht dem Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers das ausschließliche Besteuerungsrecht für eine nicht in diesem Staat ausgeübte unselbständige Arbeit zu, wenn

  • der Arbeitnehmer sich insgesamt nicht länger als 183 Tage innerhalb eines im jeweiligen Abkommen näher beschriebenen Zeitraums im Tätigkeitsstaat aufgehalten oder die Tätigkeit dort ausgeübt hat und
  • der Arbeitgeber, der die Vergütungen zahlt, nicht im Tätigkeitsstaat ansässig ist und 
  • der Arbeitslohn nicht von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung, die der Arbeitgeber im Tätigkeitsstaat hat, getragen wurde.

Nur wenn alle drei Voraussetzungen zusammen vorliegen, steht dem Ansässigkeitsstaat des Arbeit­nehmers das Besteuerungsrecht für Vergütungen, die für eine im Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt werden, zu.

Berechnung der 183-Tage-Grenze im Tätigkeitsstaat

Die in den DBA genannte 183-Tage-Frist, bei deren Überschreitung zwingend eine Besteuerung im Tätigkeitsstaat erfolgt, bezieht sich häufig auf den Aufenthalt im Tätigkeitsstaat. Nach einigen DBA ist jedoch die Dauer der Ausübung der unselbständigen Arbeit im Tätigkeitsstaat maßgebend. Abhängig vom anzuwendenden DBA kann sich die 183-Tage-Frist entweder auf das Steuerjahr, auf das Kalenderjahr oder auch auf einen Zeitraum von zwölf Monaten beziehen. Nähere Einzelheiten und zahlreiche Beispiele finden sich in Rn 106 ff. des Erlasses.

Schlagworte zum Thema:  Doppelbesteuerungsabkommen, Lohn, Ausland