Rz. 463
Neben den bestehenden Verständigungs- und Schiedsverfahren auf Basis von DBA und der EU-Schiedskonvention, bietet das EU-Streitbeilegungsgesetz eine zusätzliche Möglichkeit zur Vermeidung von Doppelbesteuerung bei Streitfällen zwischen EU-Mitgliedstaaten. Dieses Gesetz setzt die EU-Streitbeilegungsrichtlinie um und deckt alle grenzüberschreitenden Sachverhalte innerhalb der EU ab, die potenziell zu Doppelbesteuerungen führen können. Es zeichnet sich durch festgelegte Fristen aus, die das Verfahren beschleunigen und so schneller zu rechtlicher Klarheit für die Steuerpflichtigen führen.
Rz. 464
Das Verfahren nach dem EU-Streitbeilegungsgesetz ist dreistufig: Zuerst wird eine Streitbeilegungsbeschwerde bei den beteiligten Behörden eingereicht, die über die Zulassung entscheiden. Bei Uneinigkeit kann ein Beratender Ausschuss angerufen werden. Im zweiten Schritt suchen die Behörden eine einvernehmliche Lösung, möglicherweise durch Verzicht auf Besteuerungsrechte. Kann keine Einigung erzielt werden, folgt als dritter Schritt das Schiedsverfahren, in dem der Beratende Ausschuss eine bindende Empfehlung abgibt. Die endgültige Entscheidung wird von den zuständigen Behörden getroffen, die auch von der Empfehlung abweichen können, sind aber an die Empfehlung gebunden, wenn keine Einigung innerhalb von sechs Monaten erzielt wird.
Rz. 465
Die EU-Schiedskonvention, als internationaler Vertrag, steht auf derselben rechtlichen Ebene wie Doppelbesteuerungsabkommen (DBA). Dadurch sind die Schiedsverfahren, die in der EU-Schiedskonvention und in den DBA vorgesehen sind, parallel anwendbar, ohne dass eines der Verfahren Vorrang vor dem anderen hat. Artikel 15 der EU-Schiedskonvention legt fest, dass die Umsetzung von weitergehenden Verpflichtungen aus anderen Übereinkommen nicht beeinträchtigt wird. Gemäß § 4 Abs. 5 des EU-Streitbeilegungsgesetzes führt das Einreichen einer Streitbeilegungsbeschwerde automatisch zur Beendigung anderer laufender Verfahren, die im Zusammenhang mit der Streitfrage unter den Regelungen über Verständigungs- oder Streitbeilegungsverfahren nach einem Abkommen oder Übereinkommen der Bundesrepublik Deutschland mit einem oder mehreren Mitgliedstaaten stehen.
Im Rahmen des BEPS (Base Erosion and Profit Shifting)-Projekts der OECD wurden Schwächen in den bestehenden Verständigungs- und Streitbeilegungsmechanismen, wie lange Verfahrensdauern und das teilweise Fehlen einer Einigungspflicht, thematisiert. Als Teil dieses Projekts, speziell unter Aktionspunkt 14, wurden Vorschläge zur Optimierung und effizienteren Gestaltung dieser Verfahren erarbeitet. Das daraus resultierende Multilaterale Instrument (MLI), das am 7. Juni 2017 unterzeichnet wurde, zielt darauf ab, bestehende Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) rasch und umfassend in Bezug auf abkommensbezogene Anti-BEPS-Maßnahmen zu aktualisieren, ohne dass dafür langwierige bilaterale Neuverhandlungen jedes einzelnen DBA notwendig sind. Insbesondere in Teil VI des MLI wird die optionale Einführung eines obligatorischen Schiedsverfahrens vorgesehen.
Änderungen an einem DBA durch das MLI werden jedoch nur wirksam, wenn beide Vertragsstaaten das betreffende DBA als ein vom MLI erfasstes Steuerabkommen (Covered Tax Agreement – CTA) gemäß Art. 1 MLI benannt haben. Deutschland hat sich gemäß Art. 18 MLI für die Anwendung des Teils VI, also des Schiedsverfahrens, entschieden. Ob und inwiefern das MLI für ein bestimmtes DBA und den jeweiligen Sachverhalt anwendbar ist, muss in jedem Einzelfall gesondert geprüft werden.
Rz. 466–467
einstweilen frei