Rz. 100
Informationstransparenz:
Satz 3 bestimmt, dass für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes davon auszugehen ist, dass die voneinander unabhängigen Dritten a) alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung kennen und b) nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln. Diese Regelung zielt darauf ab, arbiträre Resultate bei der Festlegung des Fremdvergleichspreises für eine Geschäftsbeziehung zu unterbinden. D.h. bei der Ermittlung des Fremdvergleichspreises sollen keine Ergebnisse einbezogen werden, die unter willkürlichen Bedingungen erzielt wurden. Als Ursachen für solche irregulären Bedingungen können bspw. erhebliche "Informationsasymmetrien" zwischen dem Steuerpflichtigen und nahestehenden Personen bezüglich entscheidender Aspekte der Geschäftsbeziehung gelten.
Um willkürliche Fremdvergleichspreise in Geschäftsbeziehungen zwischen Nahestehenden zu vermeiden, wird angenommen, dass wesentliche Informationen transparent vorliegen (Satz 3 Alt. 1). Besteht zwischen den Parteien eine (untypische) Informationsasymmetrie, wird diese bei der Festlegung des Fremdvergleichspreises sonach nicht berücksichtigt. Die Parteien sollen so agieren, als hätten sie einen üblichen Informationsstand wie fremde Dritte. Nach dem Wortlaut, der Systematik und der Begründung des Gesetzes ("Dies ist insbesondere für den hypothetischen Fremdvergleich wichtig") sollte Satz 3 sowohl im hypothetischen als auch im tatsächlichen Fremdvergleich zur Anwendung kommen.
Rz. 101
Die vollständige Kenntnis aller wesentlichen Umstände impliziert, dass die involvierten Parteien alle verfügbaren Informationen nutzen und überzeugend darlegen, wie preisbestimmende Faktoren der anderen Partei in ihre Überlegungen einfließen, auch wenn sie diese Faktoren nicht im Detail kennen. Ein potenzieller Käufer verstößt gegen seine Sorgfaltspflichten, wenn er zum Beispiel eine Unternehmensbeteiligung erwirbt, ohne sich zuvor ein vollständiges Bild über die zu erwartenden Erträge sowie die finanziellen, steuerlichen und rechtlichen Risiken gemacht zu haben. Spezifische Prüfverfahren wie Due Diligence sind hierfür essenziell, um Informationslücken zu schließen. Der Verkäufer ist verpflichtet, alle notwendigen Informationen bereitzustellen, während der Käufer verpflichtet ist, sich selbst umfassend zu informieren und zu prüfen, was er erwirbt.
Rz. 102
Ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter:
Das Kriterium des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, ein Bestandteil des deutschen Handelsrechts, wurde im Wesentlichen durch die Rechtsprechung des BFH in das Steuerrecht überführt und findet seine gesetzliche Verankerung nunmehr in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG. Damit ist dieser Maßstab heute durch Satz 3 in § 1 AStG fest im deutschen Steuerrecht verankert, sodass eine Herleitung insbes. aus dem Handelsrecht (auch) anderer Länder nicht mehr notwendig ist. Gemäß dieser Vorschrift soll bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes angenommen werden, dass "die unabhängigen Dritten […] nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter agieren." Dieses Kriterium ist u. a. auch entscheidend für die Angemessenheitsbeurteilung in den VWG VP 2023, VWG-Arbeitnehmerentsendung, VWG-BsGa und VWG 2020.
Rz. 103
Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter wird stets mit der gebotenen Sorgfalt den Fremdvergleichspreis aus den für ihn verfügbaren oder ihm zugänglichen Daten ableiten. Ob eine Vergütung zu entrichten und ggf. in welcher Höhe ein Fremdvergleichspreis anzusetzen ist, richtet sich dabei nach der Denkfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Durch diesen Normenbefehl werden letzlich untypische, nicht marktkonforme Umstände, die das Verhalten des Steuerpflichtigen oder einer nahestehenden Person maßgeblich beeinflussen, bei der Bestimmung des Fremdvergleichspreises ausgeschlossen. Die Bestimmungen des Abs. 1 Satz 3 Var. 2 gelten gleichsam unabhängig von der Methode, die zur Festlegung des Fremdvergleichspreises herangezogen wird.
Rz. 104–105
einstweilen frei