4.1 Allgemeines
Rz. 124
Abs. 3 sieht keine eigenständigen Rechtsfolgen vor, sondern definiert und konkretisiert vielmehr den in Abs. 1 des § 1 AStG statuierten "Fremdvergleichsgrundsatz" weiter aus. Die Rechtsfolge einer gewinnerhöhenden (außerbilanziellen) Korrektur aufgrund fremdunüblicher Einkünfte ergibt sich bereits aus Absatz 1 des § 1 AStG (s. dazu Rz. 74 ff.). Erklärtes Ziel von Abs. 3 ist es, "die international anerkannte Vorgehensweise zur Bestimmung und Prüfung von Fremdvergleichspreisen im AStG deklaratorisch, konkretisierend und nachvollziehbar" aufzunehmen sowie "das internationale Verständnis über die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes offenzulegen, um auf diese Weise auch zur Rechtssicherheit beizutragen, da eine einheitliche Anwendung sichergestellt werden kann".
Die Regelung soll damit v.a. Konformität mit internationalen Standards sicherstellen und so die Nachvollziehbarkeit in grenzüberschreitenden Steuerangelegenheiten verbessern.
4.2 Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse (§ 1 Abs. 3 S. 1 AStG)
Rz. 125
Die grundlegende Idee hinter der Bestimmung von Verrechnungspreisen anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes und der damit verbundenen Besteuerung am Ort der Wertschöpfung zielt darauf ab, dass sich diese an der ökonomischen Realität orientieren sollen. Konkret bedeutet dies, dass die Besteuerung die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der einzelnen Unternehmen innerhalb einer Unternehmensgruppe widerspiegeln soll, wie sie in der Wertschöpfungskette zum Ausdruck kommt. Dieser Ansatz stellt sicher, dass die erzielten Gewinne dort versteuert werden, wo der eigentliche wirtschaftliche Wert generiert wird. Dieser Ansatz trägt damit auch zu einer gerechten und effektiven Steuerpolitik bei, denn er unterbindet zugleich missbräuchliche Gewinnverschiebungen in Niedrigsteuerländer.
Tatsächliche Verhältnisse:
Ausgangspunkt jeder Verrechnungspreisprüfung ist gemäß Satz 1 die Feststellung der realen, dem jeweiligen Geschäftsvorfall zu Grunde liegenden "tatsächlichen Verhältnisse", welche als ausschlaggebend definiert werden. Insbes. die vertraglichen Grundlagen sind daher zwar zu berücksichtigen, gleichwohl müssen sich die vertraglichen Regelungen mit dem tatsächlich verwirklichten Sachverhalt (Verhalten der Beteiligten) decken (= Substance over Form). Diese Methodik spiegelt sich auch in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2022 wider, welche die Untersuchung der "kaufmännischen und finanziellen Beziehungen" zwischen verbundenen Unternehmen empfehlen. Es ist darauf abzuzielen, die tatsächlichen Umstände gemäß ihrem wirtschaftlichen Inhalt zu beurteilen, also die tats. durchgeführten Geschäftsbeziehungen zu berücksichtigen.
Rz. 126
Um ein grundlegendes Verständnis der spezifischen Branche zu erlangen, ist laut OECD-VPLL Rz. 1.34 eine Gesamtbetrachtung erforderlich. Diese umfasst Aspekte wie Geschäftsstrategie, Absatzmärkte, Produkte und Lieferketten. Die Steuerpflichtigen dokumentieren in der Stammdokumentation, dem sog. Master File gemäß § 90 Abs. 3 AO i. V. m. § 5 GAufzV, diverse relevante Faktoren, um den Finanzbehörden ein detailliertes Verständnis dieser Einflussgrößen und deren Auswirkungen auf die Geschäftsergebnisse des Konzerns zu ermöglichen. Diese Dokumentation hilft der Finanzverwaltung, eine fundierte Einschätzung der Situation zu treffen (siehe insbes. die Anlage zu § 5 GAufzV, s. dazu Punkt 13.4.3.1.).
Rz. 127
Für eine umfassende Bewertung und ein tiefgreifendes Verständnis einer multinationalen Unternehmensgruppe ist zudem eine Wertschöpfungsanalyse empfehlenswert. Dieser Ansatz wird auch in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2022 unterstützt, wobei die Leitlinien darauf hinweisen, dass es wichtig ist, das Geschäftsmodell der Unternehmensgruppe detailliert zu verstehen. Hierfür bietet sich insbes. das Modell des Business Model Canvas an, das in der Literatur, wie bspw. von Greil in "Steuerliche Verrechnungspreise" (S. 40 ff.), diskutiert wird. Dieses Werkzeug hilft dabei, wichtige Aspekte des Geschäftsmodells wie Schlüsselaktivitäten, Schlüsselressourcen, Kundenbeziehungen und Wertangebote systematisch zu erfassen und zu analysieren. Zusätzlich sollten die ökonomischen und regulatorischen Einflussfaktoren, die das Geschäftsumfeld prägen, in die Analyse einbezogen werden. Dies erfordert ein genaues Verständnis der Branchenspezifika, der Marktbedingungen sowie der rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen das Unternehmen agiert. Nur durch eine solche ganzheitliche Betrachtung kann eine effiziente und angemessene Bestimmung der Verrechnungspreise erreicht werden, die nicht nur der internen Logik des Konzerns, sondern auch den Anforderungen der Steuerbehörden gerecht wird.
Rz. 128
Bei der Bewertung und Analyse von Verrechnungspreisen sind im Detail die einzelnen verbundenen Unternehmen und die damit verbundenen Geschäftsvorfälle einer genauen Untersuchung zu unterziehen.
Wesentlich dabei sind wirtschaftlich relevante Merkmale, welche umfassen:
- Vertragliche Bedingungen und tatsächliche Durchführu...