Rz. 70
Der erste Teil der Entlastungsvoraussetzung, nämlich der Entzug der rechtlichen und tatsächlichen Verfügungsmacht ist der BFH-Rechtsprechung zum Schenkungsteuerrecht entnommen. Der Grundgedanke besteht in dem Wesen der freien Zuwendung, nämlich über das Wirtschaftsgut "tatsächlich und frei verfügen" zu können. Der Entscheidung des BFH lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem ein inländischer Stpfl. eine liechtensteinische Familienstiftung gründete, sich durch einen Mandatsvertrag aber weitreichende Einflussnahmemöglichkeiten sicherte. Das mandatierte Verwaltungsratsmitglied unterlag der Verpflichtung, den Anweisungen zu folgen und keine eigenständigen Handlungen vorzunehmen. Das FA unterwarf den Vorgang der Schenkungsteuer. Der BFH lehnte dies aufgrund der umfassenden Herrschaftsbefugnis des Klägers über das Stiftungsvermögen ab. Eine Schenkung (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 8 ErbStG) setze beim Empfänger im Verhältnis zum Leistenden ein tatsächliches und rechtlich freies Verfügen voraus, um die Bereicherung annehmen zu können. Entscheidend sei ausschließlich die Zivilrechtslage und nicht die wirtschaftliche Betrachtungsweise.
Rz. 71
Aus dem Vorstehenden lässt sich zunächst die Notwendigkeit ableiten, die Frage nach dem wirtschaftlichen Eigentum des Wirtschaftsgutes zu beantworten: Liegt überhaupt keine Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an den Wirtschaftsgütern auf die Stiftung vor, kann § 15 AStG gar nicht zur Anwendung gelangen, weil dann die Einkünfteerfassung weiterhin bei dem wirtschaftlichen Eigentümer erfolgt. Weiterhin – und dies ist im Schrifttum umstritten – stellt sich die Frage der Übertragbarkeit der schenkungsteuerlichen Rechtsprechung auf die hier interessierende ertragsteuerliche Würdigung des Sachverhalts: Diese ist zu verneinen, denn vielmehr spricht – ungeachtet der Verweisung in der Gesetzesbegründung auf das BFH-Urteil – der Wortlaut für eine sich nicht auf zivilrechtliche Aspekte verengende Prüfung der Verfügungsmacht, d. h. neben der rein rechtlichen Prüfung sind auch die weiteren Umstände, d. h. die tatsächliche Verfügungsmacht zu prüfen. Dies rechtfertigt sich in dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die in ihrem Anwendungsbereich erheblich eingeschränkt würde, erfolgte eine Beschränkung auf die zivilrechtliche Situation unter Ausblendung der weiteren, den Missbrauch rechtfertigende Umstände. Schließlich bestimmt im Ertragsteuerrecht eine wirtschaftliche Betrachtungsweise die Beurteilung des Sachverhalts.
Rz. 72
In rechtlicher Hinsicht sind die entsprechenden Vertragsbeziehungen zu prüfen, ob die Erträge oder das Stiftungskapital zwingend in einem bestimmten Umfang bestimmten Personen zuzuwenden sind. Dies ist zu verneinen, solange es im Ermessen des Stiftungsvorstandes liegt, die Entscheidung über den Zeitpunkt, die konkrete Person und in welchem Umfang dies zu tun ist.
Rz. 73
In tatsächlicher Hinsicht sind die weiteren Umstände zu prüfen, insbesondere inwieweit es durch personelle Verflechtung zur Einflussnahme kommen kann: Hierbei ist die Mitwirkung von Personen, die zu dem Personenkreis des § 15 Abs. 1 bzw. Abs. 3 AStG gehören nicht problematisch, solange sie weder rechtlich noch tatsächlich ihren Willen durchsetzen können. Mögliche Weisungsbefugnisse der jeweiligen Organe bzw. Organmitglieder sind sorgfältig zu prüfen. Eine Unterscheidung der Tätigkeit von Organmitglieder danach, ob sie fremdnützig oder eigennützig handeln, erfolgt nicht, da durch die Mitwirkung von Stiftern, Bezugs- und Anfallsberechtigten in einer Familienstiftung stets von einer eigennützigen Tätigkeit auszugehen ist. Darüber hinaus gibt der Wortlaut, jedoch vor allem auch der Sinn und Zweck der Vorschrift für ein derart einengendes Verständnis nichts her.
Rz. 74
Die Beweislast des rechtlichen und tatsächlichen Entzugs der Verfügungsmacht liegt bei den von § 15 Abs. 1 bzw. Abs. 3 AStG betroffenen Personen. Der Entlastungsnachweis kann von den benannten Personen auch gemeinsam erbracht werden. Gelingt dies nicht, besteht keine Verpflichtung der Finanzverwaltung, den Entlastungsnachweis zu führen, selbst wenn dies für den Betroffenen unmöglich ist.