Cloer/Hagemann, AStG § 2 AStG Einkommensteuer / 2.1.1 Tatbestandsvoraussetzungen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 1. Satzteil)

2.1.1.1 Allgemeines

Rz. 110

§ 2 Abs. 1 S. 1 AStG nennt verschiedene Tatbestandsmerkmale, die teilweise retrospektiv und teilweise prospektiv sind.^[1]

Dies ist insoweit relevant, als die Tatbestandsmerkmale kumulativ zu erfüllen sind. Die prospektiven Tatbestandsmerkmale – die persönliche Steuerpflicht nach dem Wegzug und das Vorliegen wesentlicher wirtschaftlicher Interessen im Inland – können von Jahr zu Jahr anders zu beurteilen sein.^[2] Mithin kann die erweiterte beschränkte Steuerpflicht auch erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten, d. h. nicht unmittelbar nach dem Wegzug.^[3] Maßgeblich ist insoweit der Zeitraum von bis zu 11 Jahren ab dem Wegzug, in dem § 2 AStG Rechtsfolgen entfalten kann (s. Rz. 170ff.).

Rz. 111-114

einstweilen frei

[1] Baßler, in F/W/B u. a., Außensteuerrecht, § 2 AStG Rz. 41.

[2] Kraft, in Kraft, AStG, 2. Aufl. 2019, § 2 AStG Rz. 37.

[3] Zimmermann/Könemann, in S/K/K, AStG/DBA, § 2 AStG Rz. 48.

2.1.1.2 Natürliche Person

Rz. 115

§ 2 AStG betrifft nur natürliche Personen und somit weder Kapitalgesellschaften noch Personengesellschaften.^[1]

Eine Ausdehnung der Norm auf Kapitalgesellschaften soll sich aufgrund der Unmöglichkeit der persönlichen Bindung durch die Staatsangehörigkeit erübrigen.^[2]

Rz. 116

Natürliche Person i. S. d. Norm ist jeder Mensch, ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht, Rasse oder Handlungsfähigkeit und auch ohne Relevanz von Geschäftsfähigkeit.^[3]

Wenngleich die Steuersubjektivität i. S. d. § 2 AStG grds. ab Geburt besteht, kann die Norm aufgrund der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen erst ab Vollendung des fünften Lebensjahrs greifen. Eine Anrechnung der unbeschränkten Steuerpflicht eines Rechtsvorgängers ist in § 2 AStG – anders als in § 6 Abs. 2 AStG – nicht vorgesehen.

Rz. 117

Bei Ehegatten ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 AStG gesondert zu prüfen.^[4]

Es kommt grds. auch zur Einzelveranlagung, es sei denn die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nach § 26 EStG liegen vor.^[5]

Rz. 118-119

einstweilen frei

[1] Steierberg, in F/G u. a., AStG, 4. Aufl. 2023, § 2 Rz. 86; Boller, in H/K/G/R, Außensteuerrecht, § 2 AStG Rz. 25.

[2] Zimmermann/Könemann, in S/K/K, AStG/DBA, § 2 AStG Rz. 38; Kaiser, in Haase, AStG/DBA, 3. Aufl. 2016, § 2 AStG Rz. 55; Wöhrle, in BeckOK-AStG, § 2 Rz. 232.

[3] Lochte, in Frotscher/Geurts, EStG, § 1 Rz. 6.

[4] Baßler, in F/W/B u. a., Außensteuerrecht, § 2 AStG Rz. 42; Boller, in H/K/G/R, Außensteuerrecht, § 2 AStG Rz. 33.

[5] AEAStG Rz. 18, 45.

2.1.1.3 Aufgabe der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG

Rz. 120

Tatbestandlich setzt § 2 Abs. 1 S. 1 AStG ein "Ende der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 EStG" voraus. Die unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG endet, wenn eine natürliche Person einen inländischen Wohnsitz und/oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt aufgibt.^[1]

Der Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht ist maßgeblich für die Bestimmung des retrograden Zehnjahreszeitraums (s. Rz. 127) sowie für den rechtsfolgenseitigen Anwendungszeitraum über elf Vz (s. Rz. 170ff,).^[2]

Wird die unbeschränkte Steuerpflicht – durch zwischenzeitlichen Rückzug – wiederholt beendet, so geht mit jeder Beendigung eine eigenständige Prüfung der persönlichen Voraussetzungen des § 2 AStG einher.^[3]

Rz. 121

Auf die Motivlage im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht kommt es nicht an.^[4]

§ 2 AStG enthält somit – anders als Art. 4 Abs. 4 S. 4 DBA-Schweiz – auch keine Ausnahme für den Fall eines nicht steuerlich motivierten Wegzugs, z. B. infolge eines Jobwechsels.

Rz. 122

Die Beendigung einer unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 oder § 1 Abs. 3 EStG ist nicht tatbestandsmäßig.^[5] Dies ist konsequent, weil beide Formen der unbeschränkten Steuerpflicht auch nicht die notwendige Verwurzelung im Inland begründen können.

Rz. 123

Ein bloßer Ansässigkeitswechsel i. S. d. DBA unter Aufrechterhaltung der unbeschränkten Steuerpflicht erfüllt den Tatbestand des § 2 AStG nicht. Die unbeschränkte Steuerpflicht und § 2 AStG schließen sich gegenseitig aus. Eine Erweiterung des nationalen Besteuerungsanspruchs erübrigt sich in diesen Fällen aufgrund der Fortgeltung des Welteinkommensprinzips.

Rz. 124

Die Anwendung des § 2 AStG setzt keine reguläre beschränkte Steuerpflicht voraus. Die Norm kann dagegen auch dann anwendbar sein, wenn keine inländischen Einkünfte vorliegen und folglich keine Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG besteht.^[6]

Rz. 124-125

einstweilen frei

[1] Steierberg, in F/G u. a., AStG, 4. Aufl. 2023, § 2 Rz. 95.

[2] Baßler, in F/W/B u. a., Außensteuerrecht, § 2 AStG Rz. 44.

[3] AEAStG Rz. 15.

[4] Baßler, in F/W/B u. a., Außensteuerrecht, § 2 AStG Rz. 44; Zimmermann/Könemann, in S/K/K, AStG/DBA, § 2 AStG Rz. 47.

[5] Baßler, in F/W/B u. a., Außensteuerrecht, § 2 AStG Rz. 45; Kaiser, in Haase, AStG/DBA, 3. Aufl. 2016, § 2 AStG Rz. 59.

[6] BFH v. 30.8.1995, I R 10/95, BStBl. II 1995, 868.

2.1.1.4 Fünfjährige unbeschränkte Steuerpflicht im Zehnjahreszeitraum vor dem Wegzug

Rz. 126

§ 2 AStG setzt eine intensive Verwurzelung des Wegzüglers mit dem Inland voraus. Diese drückt sich einerseits in der persönlichen Steuerpflicht vor dem Wegzug und andererseits in der Staatsangehörigkeit (s. Rz. 131ff.) a...