2.2.1 Vorrang des § 20 Abs. 2 AStG
Rz. 44
"(1) Die Vorschriften der §§ 7 bis 18 und des Absatzes 2 werden durch die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht berührt."
Die Vorrangstellung gegenüber DBA kommt schließlich dem § 20 Abs. 2 AStG zu. Auch wenn der Gesetzgeber eine ausdrückliche Anwendungsvorschrift in zeitlicher Hinsicht erließ, was häufig als Beleg des konstitutiven Charakters angeführt wird, ist diese Vorschrift ebenfalls klarstellender Natur. Im Schrifttum geht die ganz überwiegende Meinung allerdings von einer "lupenreinen" Abkommensüberschreibung aus. Kritisch wird insbesondere der Umstand gewürdigt, die Umschaltklausel ersetze gar nicht die rechtliche Gestaltung, sondern setze lediglich an der Rechtsfolge an und daher gehe es gar nicht um die Missbrauchsbekämpfung. Dieses Argument verfängt schon allein deshalb nicht, weil die Regelung des § 20 Abs. 2 AStG vielmehr Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist und im Sinne eines minimalintensiven Eingriffs nur die erstrebte Freistellung versagt und somit den gleichen Zustand herstellt, als sei die wirtschaftliche Betätigung im Inland erfolgt. Im Sinne der Rechtsklarheit und der Erkennbarkeit des deutschen Anliegens wäre eine Regelung im entsprechenden DBA vorteilhaft, dies lässt sich aber insbesondere im Nachhinein nicht ohne weiteres bewerkstelligen. Im Ergebnis kann aber auch an dieser Stelle der Streit um die Natur der Vorschrift dahingestellt bleiben. Wegen des verfassungsrechtlich unproblematischen Überschreibens von DBA führte auch diese Sichtweise nicht zur Nichtanwendbarkeit der Norm.
2.2.2 Fehlender Verweis auf sonstige Vorschriften des AStG
Rz. 45
Aus dem fehlenden ausdrücklichen Verweis auf die übrigen Vorschriften des AStG zieht das Schrifttum überwiegend die Schlussfolgerung, die Vorschriften zur Einkünftekorrektur in § 1 AStG, zur erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht in § 2 AStG und zur Wegzugsbesteuerung in § 6 AStG seien dem DBA nachrangig. Aus dem inhärenten Missbrauchsvorbehalt folgt aber die Möglichkeit weiterer Vorrangigkeit auch an anderer Stelle, d. h. außerhalb des Anwendungsbefehls von § 20 Abs. 1 AStG, auch wenn der Vorrang nicht ausdrücklich angeordnet ist, was allerdings den Charakter einer Missbrauchsbekämpfungsvorschrift voraussetzt. Weiterhin ist in § 1 Abs. 1 S. 1 AStG der Einschub "unbeschadet anderer Vorschriften" zu beachten. Im Kollisionsfall setzt sich somit die Einkünftekorrektur über den Rahmen eines DBA hinweg. Schließlich darf im Bereich der Besteuerung des Vermögenszuwachses die bewusste Auslösung der Rechtsfolgen im abkommensrechtlich zulässigen Bereich nicht verkannt werden: Die Besteuerung erfolgt nämlich noch während der Ansässigkeit des Stpfl. im Inland. Zutreffend ist somit vielmehr die Sichtweise, wonach ein Widerspruch zwischen den Regelungsbereichen der Abkommen und §§ 1 bis 6 AStG nicht zwangsweise abgeleitet werden kann.
2.2.3 Anwendung sämtlicher DBA
Rz. 46
Die Vorrangregelung des § 20 Abs. 1 Halbs. 1 AStG gilt für sämtliche DBA, ungeachtet dessen, ob die entsprechenden DBA den durch sie gewährten Abkommensschutz gegenüber dem AStG – beispielweise durch Aktivitätsklauseln – eingrenzen. Sie gilt auch für DBA mit Drittstaaten.
2.2.4 Doppelter Hinzurechnungsbesteuerungsadressat
Rz. 47
Ob die Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung auf einen doppelansässigen Hinzurechnungsadressaten, der in Deutschland zwar unbeschränkt steuerpflichtig ist, jedoch nach der sog. Rangfolgenregelung nach Art. 4 Abs. 2 und Abs. 3 OECD-MA abkommensrechtlich im anderen Vertragsstaat als ansässig gilt, ist bislang nicht abschließend geklärt.
X ist sowohl in Deutschland als auch im DBA-Ausland unbeschränkt steuerpflichtig, die Ansässigkeit liegt jedoch im anderen DBA-Staat. Er verfügt im Ausland über eine Kapitalgesellschaft, die zur Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG führt. Der Substanznachweis kann für die Kapitalgesellschaft nicht geführt werden.
Rz. 48
Eine Einschränkung der Vorschrift auf DBA-Ansässigkeit im Inland ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. In der Rechtsfolge wird das DBA insoweit suspendiert und Deutschland unterwirft den Hinzurechnungsbetrag der Besteuerung. Die hieraus resultierende Doppelbesteuerung kann der andere Staat grundsätzlich nicht vermeiden, denn ihm steht im Verhältnis zu Deutschland das alleinige Besteuerungsrecht für die nachfolgende Dividende zu (Art. 20 DBA VHG) und die deutsche Kürzungsvorschrift (§ 11 AStG) ist für das ausländische Steuerrecht unerheblich. Eine etwaige Doppelbesteuerung ist in diesen Fällen hinzunehmen. In EU-Konstellationen kommt der Vermeidung der Doppelbesteuerung (Art. 8 Abs. 5 RL) entscheidende Bedeutung zu. In dem Fall der bloß einfachen unbeschränkten Steuerpflicht wird dieses Ziel auch erreicht. Im Fall der doppelten unbeschränkten Steuerpflicht ist dies aber frag...