Rz. 73
§ 22 UmwStG regelt eine rückwirkende Aufdeckung von stillen Reserven im Falle einer Einbringung (§ 20 UmwStG) oder eines Anteilstauschs (§ 21 UmwStG), wenn die sperrfristbehafteten Anteile "veräußert" werden oder andere schädliche Tatbestände verwirklicht werden. Es stellt sich daher einerseits die Frage, inwieweit die von § 6 Abs. 1 AStG angeordnete Gleichstellung des Wegzugs mit einer Veräußerung auf § 22 UmwStG durchschlägt, andererseits ist zu prüfen, inwieweit ein Wegzug einen der übrigen schädlichen Tatbestände (§ 22 Abs. 1 S. 6 UmwStG) erfüllen kann.
Rz. 74
Eine Veräußerung i. S. d. § 22 UmwStG ist die entgeltliche Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an den sperrfristbehafteten Anteilen auf einen anderen Rechtsträger.
Ein solcher Vorgang ist von § 6 AStG grundsätzlich nicht erfasst. Zu § 6 AStG a. F. wurde vertreten, ein Wegzug sei nicht als Veräußerung i. S. d. § 22 UmwStG anzusehen.
Dies könnte sich allerdings für § 6 AStG n. F. geändert haben, weil die Norm anders als ihre Vorgängervorschrift ("§ 17 auch ohne Veräußerung anwenden") den Wegzug nunmehr der Veräußerung gleichstellt. Der AEAStG schweigt zu der Frage. Es erscheint allerdings angesichts der Veräußerungsdefinition des § 22 UmwStG überzeugend, den Wegzug nicht hierunter zu fassen. Dies wird durch die Systematik des § 6 AStG selbst bestätigt, weil Veräußerungsfiktionen dort ebenfalls nicht als schädliche Veräußerung i. S. d. § 6 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AStG oder § 6 Abs. 4 S. 5 Nr. 4 AStG angesehen werden.
Rz. 75
Wenngleich der Wegzug nicht als Veräußerung anzusehen ist, kann durch einen Wegzug ein anderer gegen die Sperrfrist verstoßender Tatbestand gem. § 22 Abs. 1 S. 6 UmwStG gegeben sein. So stellen unentgeltliche Übertragungen von Anteilen i. S. v. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AStG (s. zum Vorrang der verdeckten Einlage Rz. 140) auf Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften einen Sperrfristverstoß nach § 22 Abs. 1 S. 6 Nr. 1 UmwStG dar. Erfolgt eine unentgeltliche Übertragung auf eine natürliche Person, ist kein Sperrfristverstoß gegeben. Ebenfalls wird der Wegzug in einen Drittstaat regelmäßig einen Sperrfristverstoß gem. § 22 Abs. 1 S. 6 Nr. 6 UmwStG darstellen. Die anderen Tatbestände in § 22 Abs. 1 S. 6 Nr. 2 bis Nr. 5 UmwStG betreffen dagegen vom UmwStG erfasste Vorgänge, weshalb § 6 AStG insoweit nicht anwendbar ist.
Rz. 76
Der Wegzug stellt keinen Sperrfristverstoß i. S. d. § 22 Abs. 2 UmwStG dar. Dies ergibt sich schon deshalb, weil die sperrfristbehafteten Anteile im Kontext des § 22 Abs. 2 UmwStG stets von einer Körperschaft gehalten werden müssen. Darüber hinaus ergibt sich dieses Ergebnis aber auch aus dem Umkehrschluss § 22 Abs. 2 S. 5 UmwStG, in dessen Hs. 2 der Wegzug explizit neben dem Veräußerung erwähnt wird. Sieht der Gesetzgeber aber ein Erfordernis, den Wegzug neben dem Veräußerungsfall zu regeln, so kann der Wegzug kaum unter den Veräußerungsbegriff fallen.
Rz. 77
einstweilen frei