2.1.1.4.1 Verhältnis der Wegzugstatbestände
Rz. 124
§ 6 Abs. 1 S. 1 AStG enthält 3 Wegzugstatbestände. Im Gegensatz zu § 6 Abs. 1 AStG a. F. sind 2 Wegzugstatbestände aus dem Gesetzeswortlaut gestrichen worden, weil diese regelmäßig unter § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG n. F. fallen sollen. Der in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG enthaltene Wegzugstatbestand gilt nur "vorbehaltlich" der Nrn. 1 und 2. Es handelt sich bei der Vorschrift somit um einen subsidiären Auffangtatbestand, der nur bei Nichterfüllung der anderen beiden Tatbestände zu prüfen ist. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AStG sind dagegen zwei eigenständige Tatbestände ohne Überschneidungsbereich. Im Ergebnis bestehen damit zwei gleichrangige Haupttatbestände und ein nachrangiger Ergänzungstatbestand.
Rz. 125
Die Subsidiarität des in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG enthaltenen Wegzugstatbestands wirft die Frage auf, ob dieser Auffangtatbestand zu prüfen ist, wenn ein vorrangiger Wegzugstatbestand geprüft wurde, jedoch nicht erfüllt war. Konkret betrifft dies die Frage, ob § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. und Nr. 2 AStG als Spezialvorschriften gegenüber Nr. 3 anzusehen sind und diesen folglich sperren. Dies ist nach hier vertretener Auffassung zu verneinen. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG ist daher in jedem denkbaren Fall zu prüfen, für den nicht bereits die Nrn. 1 oder 2 eine Wegzugsbesteuerung anordnen.
Die natürliche Person X ist unbeschränkt Stpl. i. S. v. § 6 Abs. 2 AStG. X hält Anteile i. S. v. § 17 EStG, die er an seine Tochter verschenkt. Die Tochter des X ist ebenfalls unbeschränkt steuerpflichtig i. S. v. § 1 Abs. 1 EStG, gilt aber aufgrund eines DBA als im Ausland ansässig. Im Ergebnis wird durch die Schenkung daher das deutsche Besteuerungsrecht an einem Anteilsveräußerungsgewinn ausgeschlossen.
§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AStG ist mangels eines Wegzugs nicht einschlägig. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AStG ist nicht erfüllt, weil die Tochter des X unbeschränkt steuerpflichtig ist. Allerdings greift nachrangig die Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG.
Rz. 126
einstweilen frei
2.1.1.4.2 Bedeutung einer Beeinträchtigung des deutschen Besteuerungsrechts
Rz. 127
Nur der in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG enthaltene Wegzugstatbestand stellt auf den Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ab. Dieser Tatbestand ist subsidiär (s. Rz. 124). Den beiden Haupttatbeständen in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AStG ist dagegen keine Relevanz des deutschen Besteuerungsrechts zu entnehmen, sondern es kommt dort lediglich auf den Wegzug bzw. auf die unentgeltliche Übertragung auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person an. Folglich kann es – ausweislich der BFH-Rechtsprechung – zu einer Wegzugsbesteuerung auch dann kommen, wenn das deutsche Besteuerungsrecht fortbesteht.
Dies gilt auch für die Neufassung der Norm.
Die natürliche Person X ist unbeschränkt Stpfl. i. S. v. § 6 Abs. 2 AStG. X hält Anteile i. S. v. § 17 EStG, die er an seinen in den USA wohnhaften, im Inland nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Sohn verschenkt. Da es sich um eine deutsche Immobilienkapitalgesellschaft i. S. v. Art. 13 Abs. 2 DBA-USA handelt, steht Deutschland weiterhin das Besteuerungsrecht an einem Anteilsveräußerungsgewinn zu.
§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AStG ist allein aufgrund der unentgeltlichen Übertragung der Anteile auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person erfüllt. Der Fortbestand des deutschen Besteuerungsrechts ist für die Erfüllung des Tatbestands unbedeutend.
Rz. 128
Die fehlende Tatbestandsmäßigkeit des Ausschlusses bzw. der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts verdient Kritik. Es ist nicht schlüssig erklärbar, warum in § 6 AStG – über die anderen Entstrickungstatbestände im Betriebs- und Privatvermögen hinausgehend – eine Abschlussbesteuerung selbst in dem Fall angeordnet wird, in dem das deutsche Besteuerungsrecht unverändert fortbesteht.
Rz. 129
Gleichwohl ist für eine teleologische Reduktion kein Raum. Im Wege der Gesetzesauslegung ergibt sich der eindeutige gesetzgeberische Wille, auch in den besagten Fällen ohne Beeinträchtigung des deutschen Besteuerungsrecht § 6 AStG zur Anwendung zu bringen. Dies ergibt sich neben dem Wortlaut des Gesetzes, insbesondere aus der Gesetzessystematik. Hätte der Gesetzgeber in allen Wegzugstatbeständen auf einen Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrecht abstellen wollen, hätte er nicht mehrere Tatbestände schaffen müssen. Auch unter historischen Gesichtspunkten wird dieses Ergebnis gestützt, denn einerseits war im Gesetzgebungsverfahren zum SEStEG zwischenzeitlich vorgesehen, § 6 Abs. 1 S. 1 AStG als allgemeinen Entstrickungstatbestand auszuformulieren, andererseits findet sich in der Gesetzesbegründung zum ATADUmsG explizit ein Hinweis auf das entsprechende Normverständnis.
Aus teleologischer Sicht könnte man freilich eine andere A...