Rz. 162
Der BFH hat wiederholt zu § 6 AStG a. F. entschieden, die Norm erfasse nur den Vermögenszuwachs, nicht aber Vermögensminderungen.
Die Norm führt folglich nur dann zu einer Wegzugsbesteuerung, wenn ein Veräußerungsgewinn entsteht, verhilft folglich nicht dazu, fiktive Veräußerungsverluste bei Wegzug geltend machen zu können. An dieser Ausrichtung der Norm hat sich auch durch die Reform der Wegzugsbesteuerung nichts geändert.
Dies entspricht auch der in der Gesetzesbegründung vertretenen Auffassung.
Die natürliche Person X ist unbeschränkt Stpfl. i. S. v. § 6 Abs. 2 AStG. X hält 2 Beteiligungen i. S. v. § 17 EStG. Während bei einer Beteiligung der gemeine Wert die Anschaffungskosten überschreitet, liegt bei der anderen Beteiligungen der gemeine Wert unter den Anschaffungskosten. X verwirklicht einen Wegzug i. S. v. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AStG.
§ 6 AStG ist mit der Maßgabe einer anteilsbezogenen Betrachtung anzuwenden. Für jeden Anteil i. S. v. § 17 EStG ist folglich isoliert zu prüfen, ob die Rechtsfolgen des § 6 AStG eintreten. Dies ist vorliegend aufgrund der Beschränkung auf die Vermögenszuwachsbesteuerung nur für die erstgenannte Beteiligung der Fall. Nur der Vermögenszuwachs wird besteuert. Die Vermögensminderung in der zweiten Beteiligung wird nicht realisiert und kann daher auch nicht in Höhe der Vermögenszuwachsbesteuerung aus der anderen Beteiligung verrechnet werden.
Rz. 163
Zwar erfuhr die vom BFH vertretene Sichtweise nicht unerhebliche Kritik im Schrifttum.
Im Ergebnis kann sich diese Rechtsauffassung jedoch nicht nur auf den – ggf. nicht vollends überzeugenden, weil nur punktuell auf den "Vermögenszuwachs" abstellenden – Gesetzeswortlaut stützen, sondern überzeugt insbesondere unter systematischen und teleologischen Gesichtspunkten. Wie im Schrifttum zutreffend festgestellt wird, hätte der Gesetzgeber die Wegzugsbesteuerung – ebenso wie die Entstrickung in § 17 Abs. 5 EStG – in § 17 EStG regeln können. Da er dies jedoch nicht tat, ist der Entstrickungstatbestand vor dem Hintergrund der Systematik und der Ziele des AStG auszulegen.
Diesen wohnt indes der Gedanke inne, Steuervorteile zu versagen, ohne dabei Steuervorteile zu eröffnen (s. Rz. 27).
Rz. 164
Wenngleich die Frage, ob Vermögensminderungen zu erfassen sind, aufgrund der Rechtsprechung des BFH als geklärt angesehen werden kann
, stellt der Ausschluss der Verlustberücksichtigung nach hier vertretener Auffassung einen Verstoß gegen Unionsrecht dar (s. Rz. 104). Je nachdem, welche Grundverkehrfreiheit als im Rahmen von § 6 AStG einschlägig betrachtet wird (siehe Rz. 96 ff.), kann das Unionsrecht insoweit Anwendungsvorrang beanspruchen und zur Berücksichtigung von Vermögensminderungen zwingen.
Rz. 165
Im Übrigen sind etwaige Vermögensminderungen, soweit sie vor einem Wegzug bekannt sind, zu realisieren, um Streitigkeiten über deren Berücksichtigung zu vermeiden.
Rz. 166
einstweilen frei