Wegzugsbesteuerung und lediglich "vorübergehende Abwesenheit"
Hintergrund: 2014 Wegzug nach Dubai – 2016 Rückkehr nach Deutschland
Streitig war, ob im Zusammenhang mit einem Wohnsitzwechsel in das Ausland ein Vermögenszuwachs (Beteiligungsbesitz) der Besteuerung unterliegt.
X zog unter Aufgabe seines inländischen Wohnsitzes zum 1.3.2014 nach Dubai (Vereinigte Arabische Emirate, VAE). Dort bezog er eine Eigentumswohnung. Bis zum 31.12.2015 hatte er im Inland keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt. Zum Zeitpunkt seines Wegzugs war er u.a. an verschiedenen Kapitalgesellschaften mit inländischem Sitz beteiligt.
Ab 1.1.2016 war X wieder unter einer inländischen Anschrift gemeldet. Zum 10.12.2016 meldete er sich erneut aus Deutschland in die VAE ab. Zum 1.8.2017 meldete er den Rückzug aus den VAE nach Deutschland an.
Im Oktober 2016 hatte der Prozessbevollmächtigte des X dem FA mitgeteilt, X halte sich in 2016 in der Weise in Deutschland auf, dass er als unbeschränkt steuerpflichtig anzusehen sei (Wohnsitzverlegung). In 2016 werde die Abwicklung seines Vermögens betrieben, damit der Wohnsitz zum 1.1.2017 wieder (und dann dauerhaft) in das Inland verlegt werden könne.
Das FA erfasste für das Wegzugsjahr (Streitjahr 2014) Veräußerungsgewinne i.S.v. § 6 Abs. 1 AStG i.V.m. § 17 EStG. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 AStG für ein Entfallen der Wegzugsbesteuerung wegen nur vorübergehender Abwesenheit seien nicht erfüllt.
Die dagegen gerichtete Klage blieb im Streitpunkt ohne Erfolg. X habe nicht glaubhaft gemacht, dass er bei seinem Wegzug in die VAE die Absicht hatte, nach Deutschland zurückzukehren.
Entscheidung: Die Rückausnahme zur Wegzugsbesteuerung (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AStG) ist erfüllt
Der BFH widerspricht dem FG. Es liegt nur eine "vorübergehende Abwesenheit" vor, die "nachträglich" – aber im Streitfall schon im Rahmen der Steuerfestsetzung des Streitjahres 2014 – den Besteuerungstatbestand ausschließt (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AStG).
Wegzugsbesteuerung
Die Voraussetzungen der Wegzugsbesteuerung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG) liegen im Streitfall vor. X war innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Wegzug in die VAE am Kapital der Gesellschaften unmittelbar zu mindestens 1 % beteiligt. Vor dem Wegzug war er auch für mindestens zehn Jahre im Inland unbeschränkt steuerpflichtig und die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes (und des gewöhnlichen Aufenthalts) im März 2014 hat zur Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht geführt.
Rückkehrerregelung
Beruht die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht auf "vorübergehender Abwesenheit" und wird der Steuerpflichtige innerhalb von fünf Jahren seit Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht wieder unbeschränkt steuerpflichtig, entfällt – von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - der auf der Grundlage der Wegzugsbesteuerung entstandene Steueranspruch nach § 6 Abs. 3 AStG. Die Voraussetzungen für die Annahme einer vorübergehenden Abwesenheit für das Vorliegen dieser "Rückausnahme" waren bisher umstritten.
Subjektive Theorie
Nach der Auffassung der Finanzverwaltung und Teilen der Literatur wird im Sinne einer "subjektiven Theorie" für das Merkmal der vorübergehenden Abwesenheit verlangt, dass bei Wegzug der Wille zur Rückkehr und damit der Wille, wieder unbeschränkt steuerpflichtig zu werden, besteht und dass dies glaubhaft zu machen ist (BMF-Anwendungserlass zum AStG, BStBl I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 6.4.1; Peters, DB 2020, 256). Dafür spreche auch, dass bei mehr als fünfjähriger Abwesenheit eine "fortbestehende" Rückkehrabsicht verlangt wird (§ 6 Abs. 3 Satz 2 AStG).
Objektive Theorie
Demgegenüber wird ausgehend von einer "objektiven Theorie" das Erfordernis eines Rückkehrwillens abgelehnt, da das Merkmal der "vorübergehenden Abwesenheit" allein das gesetzgeberische Motiv für das Entfallen der Wegzugsbesteuerung benenne, ohne dass dies als absichtsbegründete eigentliche Tatbestandsvoraussetzung verstanden werden könne (Kraft, AStG § 6 Rz. 435).
Im Sinne einer "eingeschränkten objektiven Theorie" wird die Auffassung vertreten, dass auch unter Berücksichtigung einer Rückkehrabsicht die "fristgemäße Rückkehr" für das Entfallen der Wegzugsbesteuerung zumindest in den Fällen ausreicht, in denen die Rückkehr innerhalb von fünf Jahren (Situation in § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG) erfolgt (Weber-Grellet, DStR, Beihefter zu Heft 39, 43). Begründet wird diese Sichtweise auch mit Praktikabilitätserwägungen und den Schwierigkeiten bei der Feststellung der Absichten des Steuerpflichtigen.
Rechtsaufassung des BFH
Der BFH befürwortet die "eingeschränkte objektive Theorie". Der Wortlaut (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AStG) gibt zum Zeitpunkt der entsprechenden Willensbildung keine Auskunft. Denn erst in der Sondersituation des § 6 Abs. 3 Satz 2 AStG (einzelfallbezogene Verlängerung der Rückausnahmemöglichkeit) ordnet das Gesetz eine solche Rückkehrabsicht (verbunden mit der Glaubhaftmachung) ausdrücklich an. Damit löst der Umstand der tatsächlichen (zeitgerechten) Rückkehr in der Grundsituation des Satzes 1 das Entfallen der Belastung (die "Begünstigung") aus und indiziert das Beruhen der Rückkehr auf einer ursprünglich bestehenden Rückkehrabsicht.
Revision begründet
Hiervon ausgehend war die Revision des X im Streitpunkt begründet. Der auf der Wegzugsbesteuerung gegründete Steueranspruch ist wegen des (schon im Rahmen der Veranlagung des Streitjahres 2014 bekannt gewordenen) Wiedereintritts der unbeschränkten Steuerpflicht im Jahr 2016 "nachträglich" (und mit Wirkung auf das Streitjahr 2014) entfallen. Die zeitgerechte Rückkehr indiziert den Rückkehrwillen, so dass eine vorübergehende Abwesenheit des X im Sinne der Rückkehrerregelung (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AStG) vorliegt.
Hinweis: Dokumentation der Rückkehrabsicht
Zur Vermeidung der Steuerpflicht dürfte es sich in jedem Fall empfehlen, bereits beim Wegzug die Rückkehrabsicht zu dokumentieren und diese dem FA gegenüber glaubhaft zu machen (bei gleichzeitiger Stellung eines Stundungsantrages).
Durch das ATAD-Umsetzungsgesetz v. 25.06.2021 wurde die Rückkehroption in § 6 Abs. 3 AStG n.F. geändert. Der Rückkehrzeitraum beträgt nunmehr grundsätzlich 7 Jahre. Eine Verlängerung um 5 Jahre ist auf Antrag weiterhin möglich.
BFH Urteil vom 21.12.2022 - I R 55/19 (veröffentlicht am 13.04.2023)
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