Sicherheitsleistungen als Regel mit Ausnahmen
Rz. 337
Gem. § 6 Abs. 4 S. 2 AStG ist dem Antrag "in der Regel nur gegen Sicherheitsleistungen stattzugeben". Der Wortlaut wird als "auslegungsbedürftig" bezeichnet. Überwiegend wird der Wortlaut dahingehend interpretiert, die Sicherheitsleistung werde als "Regelfall" angeordnet. Nach einer anderen Auffassung soll sich das "in der Regel" dagegen auf das Stattgeben des Antrags beziehen, weshalb Ausnahmen von Sicherheitsleistungen nicht zugelassen werden.
Gesetzesbegründung und Verwaltungsauffassung sprechen sich für die erstgenannte Auslegung aus, wonach Sicherheitsleistungen den Regelfall darstellen. Für diese Sichtweise spricht auch die unionsrechtskonforme Auslegung, weil Sicherheiten beschränkenden Charakter haben und daher jedenfalls nicht ausnahmslos gefordert werden dürfen.
Rz. 337a
Sind Sicherheitsleistungen die "Regel", so müssen auch Ausnahmen von dieser Regel denkbar sein.
Nach der Rechtsprechung des EuGH haben Sicherheitsleistungen beschränkenden Charakter, weil sie den Steuerpflichtigen an der Nutzung der geleisteten Sicherheiten hindern. Dem entsprechend knüpft Art. 5 Abs. 3 ATAD die Möglichkeit, Sicherheiten zu verlangen, an die Hürde eines nachweislichen und tatsächlichen Nichteinziehungsrisikos.
Im Rahmen des § 6 Abs. 4 S. 2 AStG ist daher stets eine individuelle Beurteilung des Risikos unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (Vermögensverhältnisse, rechtliche Zugriffsmöglichkeiten) geboten.
Mit anderen Worten ist nach unionsrechtlichen Grundsätzen das Fordern einer Sicherheitsleistung eher die Ausnahme, denn die Regel. Das Erfordernis von Sicherheitsleistungen sollte jedenfalls nicht zu streng ausgelegt werden, weil anderenfalls unionsrechtliche Bedenken gegen die Norm bestehen.
Rz. 337b
Der EuGH hat trotz einer erhöhten Komplexität bei der grenzüberschreitenden Steuereinziehung und ungeachtet etwaiger Defizite bei der Zusammenarbeit zwischen den Staaten in der EU-Beitreibungsrichtlinie ein hinreichendes Mittel gesehen, um eine Steuerschuld nach einem Wegzug einzuziehen.
In einer späteren Entscheidung in einem Drittstaatenfall sah der Gerichtshof die Möglichkeit des Bestehens eines Nichteinziehungsrisikos "insbesondere wegen des Fehlens von Mechanismen der gegenseitigen Unterstützung bei der Beitreibung von Steuerforderungen".
Daraus lässt sich zweierlei folgern: einerseits sollte die Existenz von Mechanismen zur Beitreibung von Steuerforderungen ein Nichteinziehungsrisiko erheblich reduzieren, andererseits scheint der EuGH bei Fehlen solcher Mechanismen ein Nichteinziehungsrisiko zu erkennen. Wenngleich die Existenz von Mechanismen zur Beitreibungshilfe (in Form von EU-Sekundärrecht oder DBA) ein Nichteinziehungsrisiko nicht ausschließt, sind solche Mechanismen im Rahmen der Einzelfallprüfung zu würdigen.
Rz. 338
Im Rahmen einer unionsrechtkonformen Auslegung des § 6 Abs. 4 S. 2 AStG wird man die "Ausnahme" einer Ratenstundung ohne Sicherheitsleistung zu öffnen haben und das Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehren.
Dies muss jedenfalls für EU-Sachverhalte gelten, für Drittstaatensachverhalte aber bei Existenz entsprechender rechtlicher Rahmenbedingungen in DBA ebenfalls. Besteht demnach zwischen den Staaten Amts- und Beitreibungshilfe, so braucht es eine besondere Rechtfertigung, dennoch Sicherheiten zu fordern. Fehlen solche Mechanismen im Drittstaatensachverhalt, dürfte die Sicherheitsleistung dagegen tatsächlich die Regel darstellen.
Rz. 339
In Sachverhaltskonstellationen, in denen Mechanismen zur Beitreibungshilfe bestehen, spricht dies zunächst für die Gewährung der Ratenstundung ohne Sicherheiten als Regel. Davon ausgehend sind dann im Einzelfall die Vermögensverhältnisse, sonstige Schulden und die Höhe der Steuerschuld zu berücksichtigen, um ein konkretes Nichteinziehungsrisiko festzustellen. Die bloße Möglichkeit einer Zahlungsunfähigkeit des Steuerpflichtigen genügt nicht, sondern es sind konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Steueranspruchs erforderlich. Das Ergebnis dieser Prüfung ist die Entscheidung, ob keine, eine teilweise oder eine Vollbesicherung des Steueranspruchs erforderlich ist.
Rz. 340
Fehlt im Verhältnis zu Drittstaaten dagegen ein Rechtsrahmen für die Unterstützung bei der Beitreibung von Steuerforderungen, dürfte das Erfordernis von Sicherheitsleistungen zur Regel werden. Für dieses Erfordernis dürfte bereits der in Wegzugsfällen oftmals erschwerte Steuerzugriff ausreichen.
Rz. 341
Im Regelfall nimmt die offene Wegzugssteuerschuld jährlich ab. Dies setzt vom Stpfl. geleistete Sicherheitsleistungen wieder frei, sofern anderenfalls nicht – z. B. aufgrund von Wertverfall – eine Nachschusspflicht (§ 248 AO) entstünde.
Rz. 342
einstweilen frei
Rz. 343
§ 6 Abs. 4 S. 2 AStG trifft keine Aussage zur Art der Sicherheitsleistungen. Deren Erbringung richtet sich folglich nach § 241 ff. AO.
Die Finanzbehörde i...