Rz. 405
§ 8 Abs. 4 AStG beschränkt die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Substanztests – über § 8 Abs. 3 AStG hinaus – in Fällen, in denen der Staat, in dem die Gesellschaft ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung hat, im Wege des zwischenstaatlichen Informationsaustausches keine Auskünfte erteilt, die zur Durchführung der Besteuerung erforderlich sind. Damit soll eine im konkreten Einzelfall bestehende Möglichkeit für die Finanzbehörde, den Sachverhalt überprüfen zu können, geschaffen werden. Die Voraussetzung ist zeitraumbezogen zu überprüfen. Ein Substanznachweis kommt nur für solche Zeiträume in Betracht, in denen die entsprechende Möglichkeit zum Informationsaustausch bereits bestand. § 8 Abs. 4 AStG ist zwar technisch als Ausnahme zu § 8 Abs. 2 und Abs. 3 AStG formuliert, die Norm setzt faktisch aber nur Abs. 2 außer Kraft, weil § 8 Abs. 3 AStG keinen weitergehenden Anwendungsbereich hat, als – ebenso wie Abs. 4 – den Substanznachweis auszuschließen.
Rz. 406
In Fällen des Substanznachweises gem. § 13 Abs. 4 AStG findet § 8 Abs. 4 AStG keine Anwendung. Allerdings enthält § 13 Abs. 4 S. 1 AStG eine wortgleiche Regelung (s. § 13 AStG Rz. 121ff.), weshalb im Ergebnis die Ausführungen entsprechend gelten.
Rz. 407
§ 8 Abs. 4 AStG setzt die fehlende Auskunftserteilung durch den Staat, in dem die Gesellschaft ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung hat, voraus. Dies korrespondiert mit der Formulierung in § 8 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 AStG. Hintergrund ist die Beschränkung des Substanznachweises auf wirtschaftliche Tätigkeiten im Staat des Sitzes oder der Geschäftsleitung (s. Rz. 348). Auskünfte aus anderen Staaten, in denen z. B. Betriebsstätten der ausländischen Gesellschaft belegen sind, sind für § 8 Abs. 3 AStG unerheblich.
Rz. 408
§ 8 Abs. 4 AStG bezieht sich auf die (Un-)Möglichkeit, Auskünfte im Rahmen des "zwischenstaatlichen Informationsaustausches" zu erhalten. Die Rechtsgrundlagen des zwischenstaatlichen Informationsaustausches sind nicht konkretisiert. Folgende Rechtsgrundlagen kommen infrage:
- Art. 5 der EU-Amtshilfe-Richtlinie (2011/16/EU). Diese Richtlinie gilt im Verhältnis zu allen 26 anderen EU-Staaten. Im Fall eines EU-Beitritts eines Staates kann die Richtlinie rückwirkende Anwendung finden, was zwar für § 8 Abs. 4 AStG Relevanz entfalten kann, nicht aber die Voraussetzung des § 8 Abs. 3 AStG ersetzt. Im Verhältnis zu EU-Staaten erfolgt die Amtshilfe grds. auf Basis der Richtlinie und nur, wenn dies eine umfassendere Zusammenarbeit ermöglichen würde, auf Basis einer daneben bestehenden Rechtsgrundlage.
- DBA-Vorschriften, die Art. 26 OECD-MA entsprechen und eine sog. große Auskunftsklausel enthalten. Im Rahmen einer großen Auskunftsklausel werden nicht nur Informationen zur Durchführung des Abkommens – dies gewähren sog. "kleine Auskunftsklauseln", die keine ausreichende Rechtsgrundlage i. S. v. § 8 Abs. 4 AStG darstellen –, sondern zur Durchführung des innerstaatlichen Rechts getauscht. DBA mit großen Auskunftsklauseln bestehen im Verhältnis zu den drei EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen. Allerdings erlaubt Art. 26 Abs. 1 OECD-MA einen Informationsaustausch nur, soweit die Besteuerung nach dem nationalen Recht dem DBA nicht widerspricht. Demnach ist der Austausch von Informationen zur Anwendung eines sog. Treaty Override nicht gedeckt. Vor diesem Hintergrund wird auch die Möglichkeit eines Informationsaustausches auf abkommensrechtlicher Grundlage im Kontext des § 8 Abs. 2 AStG bezweifelt, sofern nicht das DBA eine Öffnungsklausel zugunsten der Hinzurechnungsbesteuerung enthält (z. B. Art. 1 Abs. 6 DBA-USA). § 8 Abs. 2 AStG betrifft allerdings nicht den Abkommensbruch an sich, sondern einen solchen aufgrund ausreichender Substanz zu verhindern.
- Regelungen in Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch, die Art. 5 des Tax Information Exchange Agreement der OECD entsprechen. Ein solches Abkommen besteht z. B. mit dem EWR-Staat Liechtenstein.
- Art. 4ff. des Übereinkommens v. 25.1.1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen i. d. F. des Änderungsprotokolls v. 27.5.2010 i. V. m. einer Erklärung / Hinterlegung des anderen Vertragsstaates zu Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziffer i (Einkommen- / Körperschaftsteuer) und / oder Buchst. b Ziffer i (Gewerbesteuer). Dieses Abkommen gilt im Verhältnis zu ca. 70 Staaten und Gebieten. Durch einzelne Staaten erklärte Vorbehalte sind zu beachten.
- Zwischenstaatliche Vereinbarungen mit vergleichbaren Regelungen. Solche Vereinbarungen bestehen aktuell mit einigen EU-Staaten.
Rz. 409
Neben der Frage, ob ein rechtlicher Rahmen zum (hinreichenden) Informationsaustausch besteht, stellt sich die Frage, ob allein der rechtliche Rahmen genügt (abstrakte Sichtweise), oder ob es auf die Erteilung von Informationen durch den ausländischen Staat im Einzelfall ankommt (konkrete Sichtweise). Nach Ansicht des BMF greift eine zweistufige Prüfung, in deren Rahmen zunächst – abstrakt – der rechtliche...