Dr. Tobias Hagemann, Prof. Dr. Adrian Cloer
1.1 Ausgangssituation
Rz. 1
Eines der zentralen Wesensmerkmale der Bundesrepublik stellt die hohe Steuerbelastung dar. Dieser Befund lässt sich nicht nur rückblickend beobachten, sondern wird wohl auch in der Zukunft Bestand haben. Da Steuern bei betriebswirtschaftlicher Betrachtung nichts anderes als Kosten darstellen, ist die Reaktion der Steuerpflichtigen naturgegeben: Sowohl die persönliche Ansässigkeit (i. S. des Wohnortes bzw. des gewöhnlichen Aufenthaltes) als auch der Standort für Anlageentscheidungen stehen auf dem Prüfstand, um die Steuerbelastung zu vermeiden oder zumindest abzusenken. So verwundert die bereits frühzeitige Gegensteuerung des Gesetzgebers auch in vorkonstitutioneller Zeit nicht, durch Einzelmaßnahmen derartige Verhaltensmuster in den Griff zu bekommen (siehe hierzu Rz. 6ff.).
1.2 Oasenbericht als Impuls für späteres AStG
Rz. 2
Der Deutsche Bundestag beauftragte am 12.4.1962 die Bundesregierung, einen Bericht über Wettbewerbsverfälschungen zu erstatten, die sich aus Sitzverlagerungen und dem Steuergefälle ergeben. Die Vorlage des Berichts erfolgte am 23.6.1964 und zog neben einem verstärkten Interesse der Öffentlichkeit den sog. Oasenerlass am 14.6.1965 als auch die Revision des als besonders wichtig erachteten DBA mit der Schweiz nach sich. Die Finanzverwaltung versuchte auf der Grundlage der Vorläufervorschrift des § 42 AO, nämlich des § 6 StAnpG, bestimmten Gestaltungen die Anerkennung zu versagen. Die Rechtsprechung folgte diesem Ansatz jedoch nicht und in der Folge erkannte auch die Bundesregierung die Unvollkommenheit des bisherigen Ansatzes der Finanzverwaltung und sprach sich für eine umfassende gesetzgeberische Maßnahme aus. Die grundsätzlichen Gedanken führte sie in den Gesetzesleitsätzen mit Begründung aus.
1.3 Besonderheit: DBA mit der Schweiz
Rz. 3
Der bundesrepublikanische Grundsatz, mit Steueroasen keine Doppelbesteuerungsabkommen zu schließen, besteht seit Staatsgründung. Aus vorkonstitutioneller Zeit bestand jedoch noch das DBA mit der Schweiz aus dem Jahr 1931. Dessen Beibehaltung erklärte sich vor allem aus den engen wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Nachbarland. Da aber das Phänomen der sog. Steuerflucht für allgemeine Besorgnis sorgte, äußerte die Bundesregierung gegenüber der Schweiz am 5.12.1964 ihren Wunsch nach einer Revision des bestehenden DBA. Dabei begehrte die Bundesrepublik nicht die Änderung des schweizerischen Steuerrechts, sondern die Anpassung des DBA, um die Nutzung unerwünschter Steuervorteile zu vermeiden. Dieser Ansatz verdeutlicht zwei wesentliche Aspekte des Abkommensrechts: Einerseits stellt ein DBA sich als wechselseitiges Geben und Nehmen dar, das zur Gänze einschließlich der entsprechenden Methodenartikel auch aus der Sicht des jeweils anderen Vertragsstaates angemessen sein muss. Der zweite Aspekt betrifft die Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts: Nach Auffassung der Bundesregierungen seien nicht nur die jeweiligen Vertragspartner bei der Ausgestaltung ihrer Steuerrechtsordnungen souverän, sondern auch die entsprechenden Folgen – will heißen Deutschland als Hochsteuerland und die Schweiz als Niedrigsteuerland – seien als gegeben zu akzeptieren. Die Bundesregierung zielte auf das Erlangen der Zustimmung bei bestimmten Anliegen, bei denen das Thema Auswanderer eine besondere Rolle spielte, und Deutschland sowohl für den Fall der Doppelansässigkeit (Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz, sog. überdachende Besteuerung) als auch für den Wegzug (Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz, nachgelagerte Besteuerung) ein Besteuerungsrecht zugestanden erhielt. Dies sichert einerseits die weiterhin bestehende unbeschränkte oder aber die beschränkte bzw. erweitert beschränkte Steuerpflicht ab.
Das DBA mit der Schweiz steht im Zusammenhang mit dem AStG, das im Nachgang zu dem DBA-Abschluss verabschiedet wurde. Ziel war dabei auch, abkommensrechtliche Schranken, die der Anwendung des AStG entgegengestanden hätten, zu beseitigen. Dies folgt aus der damals wesentlich deutlicheren Zurückhaltung bei der Abkommensüberschreibung im Vergleich mit der heutigen Gesetzgebungspraxis.
1.4 Zielvorstellung
Rz. 4
Das AStG richtet sich „gegen ungerechtfertigte Steuervorteile aus der Nutzung internationaler Steuergefälle“. Dabei formulierte die Bundesregierung vier Ziele, nämlich Einführung einer Verrechnungspreiskorrektur, Aufrechterhaltung des Besteuerungsrechts bei Auswanderern, Wegzugsbesteuerung und Erfassung von Gewinnen bei ausländischen Basisgesellschafte...