Dr. Walter Schmidt, Dr. Herwig R. Friedag
Die Herausforderung liegt oft eher im kulturellen als im technischen Feld
So wurde schnell klar, dass die zentrale Herausforderung der UPO nicht so sehr im technisch-technologischen als vielmehr im kulturellen Feld heranwachsen wird. Natürlich durfte der Vorsprung auf technischem Gebiet nicht verspielt werden. Aber hier hatte das Unternehmen jahrelange Erfahrungen und eine aus Erfolgen selbstbewusst gewordene Mannschaft. Dieses Feld beherrschen sie; da müssen sie "nur" dranbleiben.
Die kulturelle Herausforderung hingegen ist enorm. Der Erfolg hatte die BaDien AG behäbig werden lassen. Das Arbeitsleben war eingespielt und auf den Unternehmer orientiert. Sein Wort, seine Werte, seine Prinzipien galten seit mehr als 30 Jahren und wurden als die Basis des Erfolgs angesehen. Doch die Welt hatte sich gedreht. Das deutete sich schon im bisherigen Heimatmarkt an. Die Führungskräfte und Mitarbeiter der Stammkunden haben in den letzten 30 Jahren ihre Präferenzen und Arbeitsweisen stark verändert. Viele Firmen erwarten inzwischen von ihrem Dienstleister, dass er sie bei ihrer eigenen Internationalisierung begleitet. Außerdem sind die Anforderungen an die Arbeitsbeziehungen eher auf Kontinuität und Entscheidungsfähigkeit vor Ort gerichtet. Internationalisierung und dezentral gesteuerte Kooperation mit den Kunden sind daher generell entscheidende Wettbewerbsfaktoren geworden.
Vernachlässigung des Networkings korrigieren
Die kulturelle Herausforderung für die BaDien AG hatte aber noch eine weitere Komponente: die Organisation eines ganzen Netzwerks von Beziehungen. Komplexe Wartung, Betreuung, Instandhaltung und Erneuerung verlangen heute vor allem das Zusammenspiel vielfältiger Spezialisten. Für die Positionierung der Beteiligten ist es von entscheidender Bedeutung, wer dieses Netzwerk organisiert und koordiniert. Hier hatte das Unternehmen in den letzten Jahren Boden an einige Wettbewerber verloren.
Das erkannte auch die Unternehmerfamilie. Insofern war die UPO nur konsequent und hat einen konstruktiven Dialog zu den entscheidenden Fragen des Unternehmens auf die Tagesordnung gesetzt.
Die zentrale Herausforderung zu erkennen ist für die Umsetzung einer Strategie sehr wichtig, um sich auf die entscheidenden Fragen konzentrieren zu können. Gleichzeitig ist es jedoch genauso wichtig, diese Herausforderung so zu formulieren, dass es für möglichst alle Mitarbeiter eine erstrebenswerte Aufgabe wird, sich ihr zu stellen.
Formulierung der zentralen Herausforderung
Um ein anderes Beispiel zu zeigen, soll hier auf einen regionalen Energieversorger eingegangen werden, der mehrere Stadtwerke betreibt. Die Städte und Kommunen der Regionen haben beschlossen, ihre Versorgungskapazitäten zu bündeln. Damit war eine Option entstanden, vier in kommunalem Eigentum stehende Versorger zu fusionieren.
Für die Führungskräfte und Mitarbeiter der besagten vier Unternehmen erschien diese Perspektive eher bedrohlich und lähmte Denken und Initiativen. Zunächst wurden als Herausforderung Fragen diskutiert wie die Renditeanforderungen des Konzerns oder die Heterogenität des Versorgungsgebiets oder die Preisgestaltung großer privater Wettbewerber. Das alles hat die Phantasie der Beteiligten nicht gerade beflügelt. Dann aber kam eine Frage auf den Tisch, die sofort alle Gemüter erregte: "Wer führt die Fusion?" Davon würde es maßgeblich abhängen, wie sich die Arbeitsbedingungen zukünftig verändern. Das berührte jeden Einzelnen. Die zentrale Herausforderung war gefunden: "Wie können wir uns so aufstellen, dass unser Unternehmen federführend wird im Fusionsprozess?"
Die zentrale Herausforderung zu erkennen und anzunehmen ist ein schwieriger und oft langwieriger Prozess
Das Erkennen und noch mehr das die Herzen der Menschen ergreifende Formulieren der zentralen Herausforderung ist mitunter ein schwieriger Prozess. Bei der BaDien AG hat es mehr als ein Jahr gedauert, bis die Frage "Wie können wir ein international und dezentral denkendes Unternehmen werden, das als führender Organisator von Netzwerken seiner Kunden anerkannt ist?" als zentrale Herausforderung angenommen wurde. In der Konsequenz hat das den umfassendsten Veränderungsprozess in der gesamten Firmengeschichte ausgelöst, die dem Unternehmen im Gegensatz zur Branche in den letzten zwei Jahren weiteres Wachstum sowohl qualitativ als auch quantitativ gebracht hat.