Leitsatz
1. Das Dachgeschoss eines mehrstöckigen Hauses ist eine funktional wesentliche Betriebsgrundlage, wenn es zusammen mit den übrigen Geschossen die räumliche und funktionale Grundlage für einen Betrieb bildet.
2. Nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO muss sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes bereits bei Erlass des Änderungsbescheids zulasten des Steuerpflichtigen geändert haben. Ändert sich die höchstrichterliche Rechtsprechung erst während des Einspruchsverfahrens, ist es dem FA nicht verwehrt, die Einspruchsentscheidung darauf zu stützen.
Normenkette
§ 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG a.F., § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO
Sachverhalt
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines bebauten Grundstücks, an dem seine – inzwischen geschiedene – Ehefrau ein Erbbaurecht innehat. Er betrieb in dem Gebäude – seit dem Jahr 1989 im Rahmen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) – eine Steuerberaterkanzlei. Er erwarb in den Jahren 1991/1992 von seiner Ehefrau einen Erbbaurechtsmiteigentumsanteil von 25 %. Es wurde eine dinglich gesicherte Nutzungsaufteilung vereinbart, nach der das alleinige Nutzungsrecht am Dachgeschoss dem Kläger und an den übrigen Geschossen der Ehefrau zustand. Der Kläger vermietete das Dachgeschoss an die GbR.
Er veräußerte in den Jahren 1994 und 1996 Teile seines Mitunternehmeranteils an seine beiden Mitgesellschafter. Diese erwarben keinen Anteil am Erbbaurechtsmiteigentumsanteil oder am Nutzungsrecht am Dachgeschoss.
Der Kläger erklärte tarifbegünstigte Veräußerungsgewinne. Das FA erließ entsprechende Feststellungsbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Es erfasste nach einer Außenprüfung in geänderten Feststellungsbescheiden vom 12.12.1999 die Gewinne aus den Teilanteilsveräußerungen als laufende Gewinne. Den Einspruch wies es unter Hinweis auf das erst während des Einspruchsverfahrens ergangene BFH-Urteil im BStBl II 2000, 621 zurück.
Das FG wies die Klage ab (EFG 2005, 1537).
Entscheidung
Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.
1. Der BFH sah das Dachgeschoss als funktional wesentliche Betriebsgrundlage an. Das gesamte Gebäude werde für Zwecke der Steuerberatungssozietät genutzt. Unerheblich sei, dass die Räume im Dachgeschoss als Arbeitsplätze für Teilzeitkräfte genutzt würden. Für die funktionale Wesentlichkeit von Büroräumen sei nicht erforderlich, dass in ihnen geschäftsleitende Tätigkeiten ausgeübt würden.
2. Der Änderung der Feststellungsbescheide habe auch kein Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO entgegengestanden. Bei der Entscheidung, ob eine verschärfende Rechtsprechung vorliege, sei auf den Zeitpunkt der Aufhebung oder Änderung des Bescheids und nicht auf den Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung abzustellen.
Hinweis
1.§ 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist durch das Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz (UntStFG) vom 20.12.2001 (BGBl I 2001, 3858) in der Weise geändert worden, dass nur noch die Übertragung des "gesamten" Anteils der Gesellschafters zu einem begünstigten Veräußerungsgewinn führt. Für die Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2001 hat der BFH an der bis dahin geltenden Rechtsprechung festgehalten, dass auch die Übertragung eines Teilanteils gem. §§ 16, 34 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerbegünstigt sein kann.
Voraussetzung für die Tarifbegünstigung der Veräußerung eines Teilanteils war jedoch, dass der Veräußerer die zu seinem Sonderbetriebsvermögen gehörigen wesentlichen Betriebsgrundlagen ebenfalls anteilig übertrug (BFH, Urteile vom 12.4.2000, XI R 35/99, BFH-PR 2001, 1; vom 24.8.2000, IV R 51/98, BStBl II 2005, 26).
Die Frage, was wesentliche Betriebsgrundlage ist, ist auch weiterhin im Rahmen der Betriebsaufspaltung von Bedeutung.
Zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehören die Wirtschaftsgüter, die funktional wesentlich sind oder erhebliche stille Reserven enthalten.
Bei Gebäuden hat der BFH eine funktionale Wesentlichkeit angenommen, wenn das Grundstück die räumliche und funktionale Grundlage für die Geschäftstätigkeit des Unternehmens bildet und es ihm ermöglicht, seinen Geschäftsbetrieb aufzunehmen und auszuüben (BFH, Urteile vom 23.5.2000, VIII R 11/99, BStBl II 2000, 621; vom 13.7.2006, IV R 25/05, BFH-PR 2006, 297, m.w.N.). Unter diesen Voraussetzungen kann auch ein reines Bürogebäude ohne besonderen Zuschnitt der Räume eine funktional wesentliche Betriebsgrundlage sein (BFH, Urteil vom 23.5.2000, VIII R 11/99, BStBl II 2000, 621).
2. Die Frage, ob "reine" Büro- oder Verwaltungsgebäude auch ohne besonderen Zuschnitt für die Zwecke des nutzenden Unternehmens eine wesentliche Betriebsgrundlage sein können, war zunächst umstritten. Sie ist durch das BFH-Urteil vom 23.5.2000 in BStBl II 2000, 621 bejaht worden. Ob dieses Urteil eine Änderung der Rechtsprechung bedeutet hatte, kann dann nicht entscheidungserheblich sein, wenn ein Änderungs- oder Aufhebungsbescheid vor dem 23.5.2000 erlassen worden ist.
Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO. Danach darf bei der Aufhebung oder Änderung...