1. Problemstellung
Das Familienheim spielt bei der erbschaftsteuerlichen Gestaltungssuche eine entscheidende Rolle, da § 13 Abs. 1 Nr. 4a bis 4c ErbStG zusätzlich zu dem persönlichen Freibetrag eine wertunabhängige Steuerbefreiung für das Familienheim vorsieht (vgl. Mesbacher-Hönsch, ZEV 2015, 382, 386; Paus, ErbStB 2016, 189, 192; ausdrücklich auch die Finanzverwaltung in R E 13.3 Abs. 5 Satz 2 und 3 ErbStR; eine Ausnahme stellt nur die Wohnflächenbegrenzung auf 200 qm beim Erwerb von Todes wegen durch Kinder in § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG dar).
- Voraussetzung für die Steuerbefreiung des im Inland oder in der EU/EWR belegenen Familienheims nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG ist u.a., dass der Erblasser bis zum Erbfall die Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat und die Wohnung beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist.
- Begünstigte Erwerber sind der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner (i.S.d. Lebenspartnerschaftsgesetzes) sowie Kinder bzw. Kinder verstorbener Kinder (i.S.d. Steuerklasse I Nr. 2). Auslegungsschwierigkeiten bestehen in der Praxis im Tatbestandsmerkmal "unverzüglich", da die Vorschrift selbst keine zeitliche Bestimmung beinhaltet (vgl. Bruschke, ErbStB 2020, 203, 204).
- Den folgenden, exemplarisch ausgewählten Verfahren vor den FG Münster (vgl. FG Münster v. 28.9.2016 – 3 K 3793/15 Erb, EFG 2016, 2079 m. Anm. Beidenhauser = ErbStB 2017, 2 [Rothenberger]; FG Münster v. 24.10.2019 – 3 K 3184/17 Erb, EFG 2020, 214 m. Anm. Lutter = ErbStB 2020, 39 [E. Böing]) und Düsseldorf (vgl. FG Düsseldorf v. 10.3.2021 – 4 K 2245/19 Erb, EFG 2021, 864 m. Anm. Münch = ErbStB 2021, 173 [Heinrichshofen]) lag in etwa der gleiche und v.a. in der Praxis häufig vorkommende Sachverhalt zugrunde:
- Die Kläger erbten jeweils eine vom Erblasser selbst genutzte Wohnung. Für diese wurde die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG geltend gemacht. Die Kläger bezogen das sog. Familienheim erst nach umfangreichen Renovierungsarbeiten, in der Spitze sogar knapp drei Jahre nach dem Erbfall. Die beklagten FA versagten die beantragte Steuerbefreiung, da es an der "unverzüglichen" Selbstnutzung fehle.
2. Entscheidungen der FG (Vorinstanzen)
In den drei Entscheidungen folgten die FG im Wesentlichen der Auffassung der Finanzverwaltung und wiesen die Klagen als unbegründet zurück. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG. Der Tatbestand der unverzüglichen Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken sei nicht erfüllt. Die Revision wurde jedoch zugelassen.
a) Bestimmung zur Selbstnutzung und tatsächlicher Einzug
Ein Haus sei zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt, wenn der Erwerber die Absicht habe, das Haus selbst zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen und diese Absicht auch tatsächlich umsetze. Die Absicht des Erwerbers lasse sich als innere Tatsache nur anhand äußerer Umstände feststellen (vgl. FG Münster v. 28.9.2016 – 3 K 3793/15 Erb, EFG 2016, 2079 Rz. 16 = ErbStB 2017, 2 [Rothenberger]). Dies erfordere, dass der Erwerber in die Wohnung einziehe und sie als Familienheim für eigene Wohnzwecke nutze (vgl. BFH v. 23.6.2015 – II R 13/13, BFHE 250, 203 = BStBl. II 2016, 223 Rz. 15; BFH v. 2.9.2015 – II B 146/14, ErbStB 2015, 315 [E. Böing]). Die bloße Absicht bzw. Widmung der Selbstnutzung sei ebenso unzureichend wie die Vornahme von Vorbereitungshandlungen, etwa Renovierungsarbeiten (vgl. FG Münster v. 24.10.2019 – 3 K 3184/17 Erb, EFG 2020, 214 Rz. 22 = ErbStB 2020, 39 [E. Böing]; FG Düsseldorf v. 10.3.2021 – 4 K 2245/19 Erb, EFG 2021, 864 Rz. 18 = ErbStB 2021, 173 [Heinrichshofen]).
b) Sechs-Monats-Frist
Unverzüglich erfolge die Bestimmung zur Selbstnutzung dann, wenn der zur Zeit des Erbfalls nicht im Familienheim wohnende Erwerber ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB) handele (vgl. FG Münster v. 24.10.2019 – 3 K 3184/17 Erb, EFG 2020, 214 Rz. 20 = ErbStB 2020, 39 [E. Böing]). Dem Erwerber sei eine nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessende Prüfungs- und Überlegungszeit einzuräumen, welche nach Ansicht des BFH regelmäßig einen Zeitraum von sechs Monaten umfasse (vgl. BFH v. 23.6.2015 – II R 39/13, BFHE 250, 207 = BStBl. II 2016, 225 Rz. 25 = ErbStB 2015, 287 [Halaczinsky]). Dieser Zeitraum beinhalte die dem Erwerber zuzubilligende Bedenkzeit, die Zeit für eine eventuelle Renovierung bzw. Gestaltung der erworbenen Wohnung für eigene Wohnzwecke sowie die für den Umzug benötigte Zeit (vgl. FG Münster v. 28.9.2016 – 3 K 3793/15 Erb, EFG 2016, 2079 Rz. 18 = ErbStB 2017, 2 [Rothenberger]; FG Münster v. 24.10.2019 – 3 K 3184/17 Erb, EFG 2020, 214 Rz. 20 = ErbStB 2020, 39 [E. Böing]).
c) Verzögerung des Einzugs
Jedoch könne auch nach Ablauf von sechs Monaten eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung gegeben sein, wenn der Erwerber darlegt und glaubhaft geltend macht, warum ein Einzug in die Wohnung nicht früher möglich war und warum er diese Gründe nicht zu vertreten habe. Dabei seien Umstände im Einflussbereich des begünstigten Erwerbes nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten (vgl. BFH v. 23.6.2015 – II R 39/13, BStBl. II 2016, 225 Rz. 26 = ErbStB 2015, 287 [Halaczinsky])...