Leitsatz
Bei der Berechnung der Dauer des Aufenthalts nach der 183-Tage-Regelung gem. Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich sind nur solche Tage zu berücksichtigen, an denen sich der Arbeitnehmer tatsächlich ("physisch") im Tätigkeitsstaat aufgehalten hat. Soweit der von der deutschen und der französischen Finanzverwaltung getroffenen Verständigungsvereinbarung vom 16.2.2006 (s. BMF, Schreiben vom 3.4.2006, BStBl I 2006, 304) Abweichendes zu entnehmen sein sollte, bindet dies die Rechtsprechung nicht (Anschluss an die ständige Spruchpraxis des Senats).
Normenkette
Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich, § 8 KonsVerFRAV
Sachverhalt
Der Kläger, ein französischer Staatsangehöriger, hatte seinen einzigen Wohnsitz in Frankreich (im sog. Grenzgebiet Frankreichs gem. Art. 13 Abs. 5 Buchst. b DBA-Frankreich i.V.m. dem BMF-Schreiben vom 1.7.1985, BStBl I 1985, 310). Er war für seinen ebenfalls in Frankreich ansässigen Arbeitgeber, der im Inland weder eine Betriebsstätte noch eine feste Einrichtung hatte, als Monteur auch in Deutschland tätig (2001: an 166 Werktagen; 2002: an 157 Werktagen). Dazu pendelte er täglich zwischen seinem Wohnsitz und der jeweiligen Einsatzstelle in Deutschland, die sich an mehr als 45 Tagen im jeweiligen Jahr außerhalb des sog. Grenzgebiets von Deutschland (i.S.v. Art. 13 Abs. 5 Buchst. b DBA-Frankreich i.V.m. dem BMF-Schreiben vom 11.6.1996, BStBl I 1996, 645) befand. Der Kläger arbeitete von Montag bis Freitag; am Wochenende hielt er sich nicht im Inland auf. Die Besteuerung seiner Einkünfte aus nicht selbstständiger Tätigkeit erfolgte ohne Abzug einer deutschen LSt in Frankreich.
Das FA zog den Kläger unter Hinweis auf Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich zur ESt heran, weil er sich länger als 183 Tage im Inland aufgehalten habe. Daher sei mit dem Beginn einer mehrtägigen Tätigkeit an dem gleichen Einsatzort jeweils ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt in Deutschland i.S.v. Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich begründet worden. Dieser Aufenthalt habe nicht durch die tägliche Rückkehr nach Frankreich, sondern erst mit dem Abschluss der Tätigkeit an diesem Einsatzort geendet, sodass auch die zwischen dem Einsatzbeginn und dem Einsatzende liegenden Wochenenden und Feiertage mit zu berücksichtigen seien, und zwar unabhängig davon, ob sich der Kläger tatsächlich im Inland aufgehalten habe. Der Kläger habe sich nach dieser Zählweise im Jahr 2001 an 192 Tagen und im Jahr 2002 an 185 Tagen im Inland aufgehalten.
Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg (FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 12.1.2011, 2 K 73/07, Haufe-Index 2673478, EFG 2011, 1246).
Entscheidung
Der BFH hat das bestätigt: Allein maßgeblich sei die physische tatsächliche Anwesenheit des Klägers in Deutschland gewesen. Für die davon abhebende Einbeziehung von Sonn- und Feier- und ähnlichen Tagen gebe Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich nichts her.
Hinweis
1. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich können Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit grundsätzlich nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird. Davon abweichend sieht Art. 13 Abs. 4 DBA-Frankreich eine Besteuerung nur im Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers vor, wenn sich der Empfänger im jeweiligen Steuerjahr im Tätigkeitsstaat insgesamt nicht länger als 183 Tage aufgehalten hat (Nr. 1), sein Arbeitgeber nicht im Inland ansässig war (Nr. 2) und die Vergütungen nicht von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung des Arbeitgebers im Tätigkeitsstaat getragen wurden (Nr. 3). Diese Rückfallregelung deckt sich mit Art. 15 Abs. 1 und 2 OECD-MA.
2. Im Besprechungsfall wurde nun um jene 183-Tage-Regelung des Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich gerungen.
Der BFH stellt dazu klar, dass zur Berechnung der Dauer des inländischen Aufenthalts insoweit nur auf Tage zurückzugreifen ist, an denen sich der betreffende Arbeitnehmer tatsächlich, also physisch, im jeweils anderen Vertragsstaat (hier: in Deutschland) aufgehalten hat. Dass es sich nur um stundenweise, nicht um volle Arbeitstage währende Aufenthalte handelt, ist dabei unbeachtlich. Ebenso unbeachtlich ist es, ob die fraglichen Aufenthaltstage auf einen Sonnabend, Sonntag, Feiertag oder Urlaubstag fallen, vorausgesetzt, der Arbeitnehmer ist tatsächlich "vor Ort". Das gebietet schon der Sprachgebrauch des (vorübergehenden) Sich-Aufhaltens, und das gebietet überdies die Anlehnung an die vergleichbare Regelung im OECD-Musterabkommen.
3. Allerdings ergibt sich aus einer zwischen Deutschland und Frankreich getroffenen Verständigungsvereinbarung womöglich Gegenteiliges. Danach sollen besagte Tage unbeschadet einer körperlichen Präsenz bei der Berechnung der Aufenthaltsdauer als Tage des Aufenthalts im Beschäftigungsland mitgezählt werden, soweit sie im Rahmen bestehender Arbeitsverhältnisse anfallen und unter Berücksichtigung der Umstände, unter denen sie stattfinden, nicht als Beendigung des vorübergehenden Aufenthalts angesehen werden können...