Direktanspruch in der Umsatzsteuer, Veröffentlichung der BFH-Urt. v. 30.6.2015 – VII R 30/14, und BFH-Urt. v. 22.8.2019 – V R 50/16: In der Rechtsprechung wurde das sich aus dem Unionsrecht ergebende Rechtsinstrument des Direktanspruchs in der Umsatzsteuer (auch "Reemtsma-Rechtsprechung") entwickelt. Danach kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Leistungsempfänger die Erstattung einer rechtsgrundlos an den Leistenden gezahlten Umsatzsteuer direkt vom Fiskus (statt vom Leistenden) verlangen.

Hierzu nimmt die Verwaltung ausführlich Stellung (BMF v. 12.4.2022 – III C 2 - S 7358/20/10001 :004, BStBl. I 2022, 652; UR 2022, 437).

  • Über einen Direktanspruch in der Umsatzsteuer ist im Rahmen eines Billigkeitsverfahrens nach den §§ 163, 227 AO zu entscheiden.
  • Zuständig für die Entscheidung über diese Billigkeitsmaßnahme ist das für die Umsatzsteuerfestsetzung des Leistungsempfängers zuständige Finanzamt.
  • Zu entscheiden ist regelmäßig darüber, ob ein Betrag in Höhe der in den fraglichen Rechnungen falsch ausgewiesenen Umsatzsteuer trotz Nichtvorliegens der materiell-umsatzsteuerlichen Voraussetzungen – jedenfalls im wirtschaftlichen Ergebnis – als Vorsteuer zu berücksichtigen bzw. ein entsprechender Steueranspruch zu erlassen ist.
  • Ein vorliegendes Mitverschulden des Leistungsempfängers an der Erstellung der falschen Rechnung ist in die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme mit einzubeziehen.
  • Der Leistungsempfänger hat seinen Anspruch auf Erstattung einer unzutreffend in Rechnung gestellten und rechtsgrundlos gezahlten Umsatzsteuer regelmäßig zunächst zivilrechtlich gegenüber dem Leistenden geltend zu machen.
  • Von einer von vornherein unmöglichen oder übermäßig erschwerten Erstattung durch den Leistenden ist regelmäßig nur im Fall eines bereits mangels Masse abgelehnten Insolvenzantrages über dessen Vermögen auszugehen. Die bloße Zahlungsunfähigkeit des Leistenden im Sinne der InsO genügt dafür nicht. Im Fall eines vorliegenden Insolvenzantrages bzw. eines laufenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leistenden besteht für den Leistungsempfänger noch Aussicht, den geltend gemachten Anspruch in Höhe der Quote teilweise zu erhalten.
  • Über einen geltend gemachten Direktanspruch kann nicht entschieden werden, solange noch eine Inanspruchnahme des Fiskus durch den Leistenden aufgrund einer Berichtigung des Steuerbetrages nach § 14c Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG rechtlich möglich ist.
  • Der Direktanspruch gegenüber dem Fiskus ist in der Weise akzessorisch zu dem Anspruch des Leistungsempfängers gegenüber seinem Vertragspartner (dem Leistenden), dass ein Direktanspruch gegenüber dem Fiskus ausscheidet, wenn der Anspruch des Leistungsempfängers gegen den Leistenden aufgrund einer zivilrechtlichen Verjährung dieses Anspruchs (z.B. nach § 195 BGB) nicht mehr durchgesetzt werden kann.
  • Auch wenn eine Bruttopreisvereinbarung über die Leistung abgeschlossen worden ist, scheidet ein Direktanspruch aus, da es in diesem Fall schon grundlegend an einem Anspruch des Leistungsempfängers gegenüber dem Leistenden fehlt.
  • Weiterhin kann ein Direktanspruch nur entstehen, wenn der Rechnungsaussteller tatsächlich eine Leistung erbracht hat (bzw. im Fall einer Anzahlungsrechnung zweifelsfrei erbringen wollte), für die mangels Steuerbarkeit oder aufgrund einer Steuerfreiheit oder Steuersatzermäßigung die in der Rechnung ausgewiesene Steuer (in dieser Höhe) nicht gesetzlich entstanden ist.
  • Weiterhin scheidet ein Direktanspruch in Fällen aus, in denen der Fiskus nicht oder nicht mehr bereichert ist. Hat der Fiskus den abgeführten Steuerbetrag etwa aufgrund einer Rechnungsberichtigung im Verfahren nach § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG bereits an den Leistenden zurückgezahlt, kann der Leistungsempfänger jedenfalls in Fällen, in denen das Finanzamt zu dieser Erstattung verpflichtet gewesen ist, keinen eigenen Direktanspruch mehr erfolgreich geltend machen.
  • Gleiches gilt, wenn und insoweit der Leistende die Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt abgeführt hat. Damit kann ein Direktanspruch nicht entstehen, wenn der Leistende die fragliche Umsatzsteuer nicht angemeldet hat (z.B. in Schätzungsfällen, in denen nicht sicher ist, ob die Schätzung auch den fraglichen Steuerbetrag umfasst) oder in Fällen von Steuerrückständen, bei denen unsicher ist, ob und inwieweit die geleisteten Zahlungen die Umsatzsteuer aus den fraglichen Rechnungen umfassen.

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