1. Gewissheitsgrad der Sachverhaltsaufklärung
Das Beweismaß ist der Grad an Überzeugung der Behörde oder des Gerichts, der notwendig ist, damit der Beweis einer streitigen Tatsache gelingt. Es bezeichnet also die Beweisstärke, die für den Beweis einer Tatsache oder eines Sachverhalts ausreichend, aber auch erforderlich ist.
Das Beweismaß fällt je nach Fallkonstellation unterschiedlich aus, u.a. in Abhängigkeit davon, ob die Finanzbehörde oder der Steuerpflichtige betroffen ist.
Grundsätzlich ist für Feststellungen der Finanzbehörde zu steuerbegründenden oder -erhöhenden Tatsachen eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich. Für Feststellungen des Steuerpflichtigen zu steuermindernden Tatsachen gilt ein wesentlich niedrigeres Beweismaß. Hier reicht es grundsätzlich aus, wenn der Steuerpflichtige den Sachverhalt glaubhaft macht. Dies ist wiederum der Fall, wenn die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Sachverhaltes spricht (BFH v. 10.7.1974 – I R 223/70, BStBl. II 1974, 736).
2. Erhöhtes Beweismaß
Glaubhaftmachung: Etwas anderes gilt, wenn das Gesetz einen anderen Beweismaß vorsieht. Das Gesetz sieht vereinzelt die Glaubhaftmachung vor, z.B. in § 110 Abs. 2 S. 2 AO. Danach hat der Steuerpflichtige bei seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Tatsachen zur Begründung glaubhaft zu machen. Durch diese Regelung wird das Beweismaß für den Steuerpflichtigen also erhöht.
Steuerliches Gewicht: Das Beweismaß hängt auch vom steuerlichen Gewicht des betroffenen Sachverhalts ab. Einem vom Steuerpflichtigen schlüssig und glaubhaft vorgetragenen Sachverhalt von geringem steuerlichen Gewicht ist in aller Regel ohne Nachweis und ohne weitere Anforderung von Unterlagen zu folgen. Ist der Sachverhalt allerdings von erheblichem steuerlichen Gewicht, sind an die Glaubhaftigkeit des Sachvortrages – und damit auch an das Beweismaß – höhere Anforderungen zu stellen.
3. Reduziertes Beweismaß
a) Gesetzliche Vermutung
In den Fällen der gesetzlichen Vermutung, des Anscheinsbeweises und des Indizienbeweises ist das Beweismaß reduziert.
Bei der gesetzlichen Vermutung geht der Gesetzgeber von einer bestimmten Vermutung über einen Geschehensablauf aus. Die Vermutung kann widerlegbar oder aber auch unwiderlegbar sein.Der Beteiligte, zu dessen Gunsten die gesetzliche Vermutung begründet wird, trägt lediglich die Beweislast für die Vermutungsbasis. Dem anderen Beteiligten obliegt – soweit es sich um eine widerlegbare Vermutung handelt – der Beweis des Gegenteils (Loschelder, AO-StB 2003, 25). Hierzu muss die Vermutungsbasis erschüttert oder die vermutete Tatsache durch den Beweis des Gegenteils widerlegt werden.
Von ihrer Wirkung her ähnelt die gesetzliche Vermutung der Beweislastumkehr (hierzu gleich mehr).
Beispiel 1:
Zugangsvermutung
Für schriftliche Verwaltungsakte, die per Post im Inland versendet werden, begründet § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO die gesetzliche Vermutung, dass sie dem Steuerpflichtigen am dritten Tag nach Aufgabe zur Post zugehen. Beachten Sie: Diese Vermutung kann der Steuerpflichtige durch Bestreiten des (rechtzeitigen) Zugangs erschüttern. Gelingt dies dem Steuerpflichtigen, trifft die objektive Beweislast für den Zugang und den Zugangszeitpunkt wiederum die Finanzbehörde (BFH v. 21.12.2001 – VIII B 132/00, BFH/NV 2002, 661; Loschelder, AO-StB 2003, 25).
Beispiel 2:
Beweiskraft der Buchführung
Die formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung eines Steuerpflichtigen begründet nach § 158 AO die gesetzliche Vermutung für ihre sachliche Richtigkeit. Will die Finanzbehörde diese Vermutung erschüttern, muss sie beweisen, dass die Buchführung – obgleich formell ordnungsgemäß – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit inhaltlich unrichtig ist; dies kann etwa durch einen inneren Betriebsvergleich oder durch eine Vermögenszuwachs- oder Geldverkehrsrechnung geschehen.Gelingt es der Finanzbehörde, beispielsweise durch eine Verprobung der Buchführung einen ungeklärten Vermögenszuwachs aufzudecken, trägt wiederum der Steuerpflichtige die objektive Beweislast für die Herkunft des Vermögens. Bleibt die Herkunft trotz Ausschöpfung aller Erkenntnismittel ungeklärt, kann davon ausgegangen werden, dass er mehr steuerpflichtige Einnahmen hatte, als er erklärt hat (BFH v. 2.7.1999 – V B 83/99, BFH/NV 1999, 1450; Loschelder, AO-StB 2003, 25).
Beispiel 3:
Haushaltsgemeinschaft
Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende steht den in § 24b Abs. 3 S. 1 EStG definierten alleinstehenden Personen zu, die u.a. keine Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person bilden dürfen. Nach Satz 2 wird in den Fällen, in denen eine andere Person in der Wohnung des Steuerpflichtigen gemeldet ist, vermutet, dass sie gemeinsam wirtschaften. Diese Vermutung ist nach Satz 3 widerlegbar, es sei denn, der Steuerpflichtige und die andere Person leben in einer eheähnlichen Gemeinschaft.
b) Anscheinsbeweis
Der gewohnheitsrechtlich anerkannte Anscheinsbeweis (auch Beweis des ersten Anscheins genannt) ist eine besondere Form der mittelbaren Beweisführung durch die Anwendung von Erfahrungsgrundsätzen.
Zahlreiche Lebensvorgänge laufen nach der allgemeinen Le...