Sachverhaltsaufklärung, Beweiswürdigung, Beweismaß, subjektive und objektive Beweislast

[Ohne Titel]

RD’in Ann-Erika Jörißen, LL.M Köln/Paris[*]

Dieser Beitrag bringt Licht in das Dunkel der Begrifflichkeiten rund um die Beweislast im steuerprozessualen Verfahren und erläutert, auf welche Weise Sachverhalte anhand der Grundsätze der Beweisführung, Beweiswürdigung und Beweislast gewürdigt und entschieden werden. Insb. wird auf die Unterscheidung zwischen der subjektiven und der objektiven Beweislast eingegangen. Die subjektive Beweislast (sog. Beweisführungslast) betrifft die verfahrensrechtliche Pflicht eines Beteiligten, Tatsachen vorzubringen und zu behaupten und letztendlich auch den entsprechenden Beweis zu führen. Hiervon zu unterscheiden ist die objektive Beweislast (sog. Feststellungslast); diese regelt, wer die nachteiligen verfahrens- oder materiell-rechtlichen Folgen eines nicht erbrachten Beweises trägt.

[*] Die Autorin ist im Höheren Dienst der Finanzverwaltung NRW tätig. Der Beitrag spiegelt ihre private Auffassung wider.

I. Einleitung

In der Praxis wird immer wieder beobachtet, dass ausschließlich die Grundregel der objektiven Beweislast zitiert und angewandt wird, wonach die Finanzbehörde die Beweislast für steuerbegründende oder -erhöhende Tatsachen trägt und der Steuerpflichtige die Beweislast für steueraufhebende oder -mindernde Tatsachen. Diese Grundregel der objektiven Beweislast existiert tatsächlich, greift aber erst dann ein, wenn sich ein gesetzesrelevanter Sachverhalt trotz Beachtung der Regeln der Sachaufklärung nicht zur hinreichenden Überzeugung der Finanzbehörde bzw. des Finanzgerichts erweisen lässt und wenn der Steuerpflichtige keine subjektive Beweislast hat. Das bedeutet, dass vorrangig vor der Entscheidung nach den objektiven Beweislastregeln stets zu prüfen ist, ob Ermittlungs- und Mitwirkungspflichten erfüllt wurden und ob keine Beweismaßreduzierung und auch kein Ausnahmefall der subjektiven Beweislast vorliegt. Erst dann, wenn nach Prüfung dieser Kriterien kein Ergebnis gefunden werden kann, darf eine Entscheidung aufgrund der objektiven Beweislastregelung erfolgen.

Hieraus ergibt sich folgendes Prüfungsschema, welches auch den Aufbau des vorliegenden Beitrages vorgibt:

II. Sachverhaltsaufklärung: Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen

1. Untersuchungsgrundsatz

Die Sachverhaltsaufklärung ist eine wesentliche Aufgabe im Besteuerungsverfahren und trägt maßgeblich zu einer zutreffenden rechtlichen Entscheidung bei. Bei der Ermittlung des Sachverhalts haben sowohl die Finanzbehörde als auch der Steuerpflichtige mitzuwirken.

Untersuchungsgrundsatz: Der Untersuchungsgrundsatz, auch Amtsermittlungsgrundsatz genannt, beinhaltet im Einzelnen:

  • den Grundsatz des Vorrangs der Amtsermittlungspflicht,
  • die Grundsätze der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit sowie
  • die Grundsätze des Beweismaßes, die den Grad der erforderlichen Gewissheit betreffen.

Der Grundsatz des Vorrangs der Amtsermittlungspflicht dient dem öffentlichen Interesse an der Feststellung des wahren Sachverhaltes. Dementsprechend trägt die Finanzbehörde grundsätzlich die Verantwortung für die Sachaufklärung und bestimmt die Art und den Umfang der Ermittlungen. Hierbei hat sie gem. § 88 Abs. 2 AO alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu beachten, selbstverständlich auch die für den Steuerpflichtigen günstigen Umstände.

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Grundsätzlich bestimmt die Finanzbehörde unabhängig vom Vorbringen und von Beweisanträgen der Beteiligten, inwieweit sie von den Mitwirkungspflichten der Beteiligten Gebrauch machen möchte. Dies gilt jedoch nur insoweit, als das Gesetz nicht selbst Mitwirkungspflichten vorschreibt. In der Praxis ist insb. die Steuererklärungspflicht – die primäre Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen – von wesentlicher Bedeutung (dazu gleich mehr).

Der Umfang der Ermittlungen, die die Finanzbehörde zur Aufklärung der für die Rechtsanwendung erheblichen Tatsachen durchführt, wird durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt. Der Arbeitsaufwand und der steuerliche Erfolg müssen in angemessenem Verhältnis zueinanderstehen. So kann auch die Arbeitsbelastung in der Finanzbehörde ein Argument für die mehr oder weniger ausgeprägte Intensität der Ermittlungsmaßnahmen sein.

Das Finanzgericht ist – ebenso wie die Finanzbehörde – von Amts wegen verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären, § 76 Abs. 1 S. 1 FGO. Hierdurch unterscheidet sich das finanzgerichtliche Verfahren vom Zivilprozess, der vom Verhandlungsgrundsatz beherrscht wird (Loschelder, AO-StB 2003, 25).

Das Finanzgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich zu ermitteln. Eine Entscheidung nach der Beweislast ist nur zulässig, wenn das Gericht zuvor alle Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung ausgeschöpft hat (ultima ratio, vgl. Steinhauff, AO-StB 2017, 257). Insb. muss es Beweisanträge der Beteiligten grundsätzlich berücksichtigen. Diese dürfen im Einzelfall abgelehnt werden, allerdings nur unter engen Voraussetzungen (Loschelder, AO-StB 2003, 25; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 81 Rz. 37 ff.).

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