Feststellungslast: Besteht keine subjektive Beweislast, so trägt derjenige Beteiligte die Folgen der Unaufklärbarkeit, der die objektive Beweislast (also die Feststellungslast) hat. Die objektive Beweislast trägt grundsätzlich derjenige, zu dessen Gunsten eine Rechtsnorm wirkt. Die Finanzbehörde trägt somit die Beweislast für Tatsachen, die die Steuer begründen oder erhöhen und der Steuerpflichtige für Tatsachen, die die Steuerschuld aufheben oder mindern.
Wie bereits dargestellt, greift die objektive Beweislast aber erst ein, wenn eine vollständige Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist, obwohl der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht und die Finanzbehörde ihrer Amtsermittlungspflicht in zumutbarer Weise nachgekommen sind, und dem Steuerpflichtigen auch keine subjektive Beweislast obliegt (vgl. Urban, NWB 2017, 1657).
Dementsprechend ist eine Entscheidung nach der objektiven Beweislast in der Praxis tatsächlich die Ausnahme.
Beraterhinweis In der Praxis kommt es häufig zu unrichtigen Ergebnissen, weil eine Entscheidung aufgrund der objektiven Beweislastregeln verfrüht oder fälschlich getroffen wurde, obwohl die Entscheidung im Rahmen der Beweiswürdigung hätte getroffen werden müssen (z.B. BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462).
Die objektive Beweislast, wonach die Finanzbehörde die Feststellungslast für belastende Tatsachen, insb. steuerbegründende oder -erhöhende Tatsachen, trägt und der Steuerpflichtige für begünstigende Tatsachen, insb. steuernegierende, -befreiende oder -mindernde Tatsachen, trägt, lässt sich am Beispiel der verdeckten Gewinnausschüttung veranschaulichen.
Beispiel:
Die verdeckte Gewinnausschüttung soll das Einkommen nicht mindern (§ 8 Abs. 3 S. 2 KStG) und damit dem Einkommen hinzugerechnet werden; es handelt sich dementsprechend um einen steuererhöhenden Sachverhalt. Folglich trägt sowohl für das Vorliegen einer Vermögensminderung oder verhinderten Vermögensmehrung als auch für deren Veranlassung grundsätzlich das Finanzamt die Beweislast. Entsprechendes gilt, wenn bei einer Einkommensteuerfestsetzung Einkünfte des Gesellschafters um eine verdeckte Gewinnausschüttung erhöht werden sollen (BFH v. 24.6.2014 – VIII R 54/10, BFH/NV 2014, 1501).
Wird hingegen bei der Einkommensteuerfestsetzung anstelle der Zurechnung bisher nicht erfasster Einkünfte als Arbeitslohn das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung behauptet, ist dies im Hinblick auf das Teileinkünfteverfahren gem. § 3 Nr. 40 EStG eine steuermindernde Tatsache, für die wiederum der Steuerpflichtige die Beweislast trägt. Entsprechendes gilt, wenn im Lohnsteuerverfahren eine nicht der Lohnsteuer unterliegende verdeckte Gewinnausschüttung anstelle von Arbeitslohn geltend gemacht wird (Urban, NWB 2017, 1657).
Beweislastentscheidung, non liquet: Der Vollständigkeit halber zu erwähnen bleibt die reine Beweislastentscheidung. Der hierfür verwendete lateinische Begriff non liquet stammt ursprünglich aus dem römischen Gerichtsverfahren und bedeutet "es ist nicht klar". Heute wird im Verfahrensrecht mit non liquet eine Situation bezeichnet, in der der Tatsachenvortrag weder der einen noch der anderen Seite bewiesen werden kann, weil etwa eine Beweiserhebung oder sonstige Aufklärung nicht durchgeführt werden kann, weil Beweismittel unbekannt, nicht zu ermitteln, unerreichbar oder ungeeignet sind oder weil ein erhobener Beweis aufgrund eines Beweisverwertungsverbotes nicht verwendet werden darf (Urban, NWB 2017, 1657).
Gesetzlich erwähnte Fälle des non liquets sind § 162 Abs. 3 S. 3 AO ("können entsprechende Zweifel deswegen nicht aufgeklärt werden") und § 3 Nr. 12 S. 2 EStG ("soweit nicht festgestellt wird"). Rechtsfolge des non liquets ist eine Entscheidung nach der objektiven Beweislast.