Der Gesetzgeber musste auf die Rspr. des BFH reagieren, insb. aufgrund der Feststellung, dass spätere Rentnerjahrgänge immer deutlicher von einer doppelten Besteuerung ihrer Renten betroffen sein dürften. Dies gilt es durch gesetzgeberische Gestaltung zu vermeiden.
Gutachten: Das BMF hat im Nachgang zu der genannten höchstrichterlichen Rspr. ein externes wissenschaftliches Gutachten eingeholt, um auf der Grundlage dieser Festlegungen durch modellgestützte Berechnungen und empirische Ermittlung eine wissenschaftliche Einschätzung zu erhalten, in wie vielen Fällen, ab welchem Zeitpunkt und in welcher Höhe eine doppelte Besteuerung von Rentnern verschiedener Erwerbsbiografien eintritt.
Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Fälle von doppelter Besteuerung auf Basis des geltenden Rechts des Jahres 2022 für zahlreiche Kohorten auftreten würden, die zukünftig in Rente gehen. Volumen und Fallzahlen variieren jedoch je nach Renteneintrittsjahr und Erwerbsbiografie. Zugleich ergibt sich, dass bei bestimmten Fallkonstellationen bereits Bestandsrentenfälle, vergleichsweise jedoch in geringerem Ausmaß, von einer doppelten Besteuerung betroffen sind.
Nach dem Koalitionsvertrag der Parteien der Ampelkoalition vom 7.12.2021 sollte die Rspr. des BFH umgesetzt und eine mögliche doppelte Rentenbesteuerung vermieden werden. Der Abzug der Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben in seiner vollen Höhe sollte auf 2023 vorgezogen werden (in Abweichung zum bis dahin geltenden Stufenplan, der dies erst ab 2025 vorsah). Der steuerpflichtige Rentenanteil sollte ferner ab 2023 nur noch um 0,5 % steigen und damit die Vollbesteuerung der Renten erst ab 2060 erfolgen.
Reaktion des Gesetzgebers: Mit dem Jahressteuergesetz 2022 hat der Gesetzgeber den erstgenannten Punkt, nämlich die Absetzbarkeit der Rentenbeiträge in der Ansparphase angepasst und Vorsorgeaufwendungen bereits ab 2023 zu 100 % zum Sonderausgabenabzug zugelassen.
Auch bezüglich der Auszahlungsphase wird der Gesetzgeber tatsächlich aktiv. Nach dem Wachstumschancengesetz vom 27.3.2024 wird der seit 2005 jährlich zunächst in 2 %-Schritten, seit 2020 in 1 %-Schritten wachsende Besteuerungsanteil neuer Renten ab dem Jahr 2023 auf 0,5 % verlangsamt. Nach der bisherigen Regelung wären Renten aus der Basisversorgung erstmals ab der Kohorte 2040 vollständig als steuerpflichtige Einkünfte zu berücksichtigen. Mit der Änderung wird beginnend ab dem Jahr 2023 der Anstieg des Besteuerungsanteils für jeden neuen Renteneintrittsjahrgang auf 0,5 % jährlich reduziert. Für die Kohorte 2023 beträgt demnach der maßgebliche Besteuerungsanteil anstatt 83 % nur noch 82,5 %. Die vollständige Besteuerung wird erstmals für die Kohorte 2058 erfolgen.
§ 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG: Besteuerung von Renten aus der Basisversorgung nach dem Wachstumschancengesetz |
Jahr des Rentenbeginns |
Besteuerungsanteil in % |
2022 |
82 |
2023 |
"83" 82,5 |
2024 |
"84" 83 |
2025 |
"85" 83,5 |
... |
... |
"2040" 2058 |
100 |
Die Vorgehensweise im Wachstumschancengesetz minimiert tatsächlich durch den langsameren Anstieg des Besteuerungsanteils das Risiko einer doppelten Besteuerung. Dementsprechend würde sie die Problematik der Doppelbesteuerung mit Sicherheit verzögern, allerdings mit Sicherheit nicht ausreichen, um alle verschiedenen möglichen Fallkonstellationen zu lösen.
Weitere gesetzliche Regelungen erforderlich: Auch die Bundesregierung hat erkannt, dass die beiden gerade genannten Schritte eine Doppelbesteuerung immer noch nicht völlig ausschließen. Im Gesetzesentwurf des Wachstumschancengesetzes wird auf S. 125 ausgeführt, dass die vorliegende Anpassung sowie die bereits umgesetzte Anpassung nicht ausreichen wird, um doppelte Besteuerungen für alle zukünftigen Rentenkohorten vollständig zu vermeiden. Zudem greifen die Anpassungen erst ab dem Jahr 2023 und entfalten daher ihre Wirkung erst für Rentenjahrgänge ab 2023. Zur vollständigen Vermeidung einer doppelten Besteuerung sowohl für zukünftige Rentenkohorten, aber auch Beseitigung bereits eingetretener Doppelbesteuerung in Bestandsrentenfällen sind weitere Regelungen erforderlich, die zeitnah in einem dritten Schritt gesetzlich geregelt werden.
Beraterhinweis Das bereits oben erwähnte Gutachten, welches vom BMF eingeholt wurde, kommt ebenfalls zum Schluss, dass die bereits durchgeführten bzw. anvisierten Maßnahmen auch in ihrem kumulativen Zusammenwirken nicht ausreichen, um die Problematik vollumfänglich zu lösen. Im Gutachten wird ein Konzept vorgeschlagen, mit dem eine doppelte Besteuerung vermieden werden kann und welches weitgehend ohne Nachweis- oder Darlegungserfordernisse seitens der Rentner auskommt. Kern des Modells ist ein sog. zusätzlicher typisierter Rentenfreibetrag, dessen Höhe sich in Abhängigkeit von Renteneintrittsjahr und dreier Parameter, die die Erwerbsbiografie des Steuerpflichtigen widerspiegeln, bemisst und der über einen festgelegten Zeitraum von Amts wegen von der Besteuerung freigestellt wird. Ergänzt wird dieser Ansatz durch eine antragsgebu...