Entschließungsermessen des FA: Ob das FA im Rahmen eines anhängigen Einspruchsverfahrens von der Setzung einer Präklusionsfrist i.S.d. § 364b Abs. 1 AO Gebrauch macht, liegt aufgrund des Wortlauts der Norm ("kann") im pflichtgemäßen Ermessen des FA (§ 5 AO). Hierbei ist insb. der dargestellte Normzweck, dass die Vorschrift dem Missbrauch des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens vorbeugen soll, indem Stpfl. "ins Blaue hinein" Einspruch einlegen und z.B. weder ihre Beschwer konkretisieren noch entscheidungserhebliche Unterlagen beibringen, zu berücksichtigen.
Darlegung der Ausübung des Entschließungsermessens: Das FA wird bei Ausübung des Entschließungsermessens festzustellen haben, ob zumindest Anhaltspunkte ersichtlich sind, die darauf hinweisen, dass der Einspruchsführer seinen Einspruch nur eingelegt hat, um das Besteuerungsverfahren zu verschleppen und nicht ernstlich um Rechtsschutz ersucht.
Mögliche Verschleppungsabsicht in Schätzungsfällen: Dies ist beispielsweise denkbar, wenn der Einspruchsführer keine Steuererklärung abgegeben hat, daraufhin vom FA geschätzt worden ist und gegen den Schätzungsbescheid Einspruch eingelegt hat, ohne jedoch im Zuge dessen eine Steuererklärung einzureichen. Durch die Betreibung des Einspruchsverfahrens hält der Einspruchsführer den Schätzungsbescheid zwar einerseits offen, jedoch kommt andererseits auch in Betracht, dass der Einspruch vordergründig der Verfahrensverschleppung (Zeitgewinn) dient. Denn durch die Einlegung des Einspruchs selbst, die internen Abläufe im FA (Abgabe an die Rechtsbehelfsstelle, Zuweisung des Einspruchs an einen Sachbearbeiter), zu erwartenden Schriftverkehr etc. ist es möglich, dass der Einspruchsführer sich vielmehr einen Zeitgewinn verschaffen möchte, ehe er die Steuererklärung abgibt, als ernstlich um Rechtsschutz zu ersuchen (ebenfalls auf eine Verfahrensverschleppung zwecks Zeitgewinn als sachfremdes Motiv, das jedoch vom FA festzustellen ist, abstellend u.a. FG Nds. v. 27.2.1997 – X 128/96; FG Köln v. 6.6.2014 – 15 K 2180/13).
Da eine etwaige Missbrauchs- und Verschleppungsabsicht jedoch eine innere Haltung des Einspruchsführers darstellt, die für das FA nur schwerlich nachweisbar ist, sind aus Verfassersicht – insb. in Schätzungsfällen ohne Abgabe von Steuererklärungen im Einspruchsverfahren – keine allzu hohen Hürden an die Darlegung der Verschleppungsabsicht zu stellen, solange das Entschließungsermessen nicht evident ermessensfehlerhaft ausgeübt wird (ähnlich Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 364b AO Rz. 19 [Feb. 2021], welcher in Schätzungsfällen, ohne dass im Einspruchsverfahren eine Steuererklärung abgegeben wird, eine Vermutung dafür sieht, dass es dem Einspruchsführer nur um einen Zeitgewinn geht).
Weitere Anzeichen für eine Verschleppungsabsicht: Eine Verschleppungsabsicht kann sich hierbei insb. auch aus dem früheren Verhalten des Einspruchsführers ableiten lassen, wenn dieser z.B. dauerhaft geschätzt wird, immer Einspruch einlegt, aber entweder gar nicht oder erst im späten Verlauf des Einspruchs- oder eines nachgelagerten Klageverfahrens die entsprechenden Steuererklärungen abgibt. Auch wenn das Einspruchsverfahren gegenwärtig nicht mit dem notwendigen Engagement betrieben wird und (ggf. mehrfach) Aufforderungen zur Darlegung der Beschwer oder Beibringung von Unterlagen ohne ersichtlichen Grund verstrichen sind, lässt dies darauf schließen, dass es dem Einspruchsführer weniger um das Rechtsschutzersuchen als solches, sondern um die Verzögerung der Herbeiführung einer Entscheidung geht (vgl. auch Rätke in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 364b AO Rz. 15).
Konzentrationsmaxime als (weiterer) legitimer Grund: Neben dem originären Normzweck, dass dem Missbrauch des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens wirksam entgegengewirkt werden soll, ist jedoch ferner zu beachten, dass der Wortlaut selbst keine Missbrauchs- oder Verschleppungsabsicht fordert. Aus Verfassersicht kann deshalb auch eine Berufung durch das FA auf die Konzentrationsmaxime des Verfahrens einen legitimen Grund darstellen, um sich für die Setzung einer Präklusionsfrist zu entscheiden (vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 364b AO Rz. 18 [Feb. 2021], wobei zumindest eine objektiv vorliegende Mitwirkungspflichtverletzung gefordert wird, um sich auf die Konzentrationsmaxime berufen zu können).
Nachschieben von Unterlagen als vermeidbare Verzögerung Dies gilt insb., wenn z.B. Steuererklärungen oder andere entscheidungserhebliche Unterlagen durch den Einspruchsführer nur nach und nach ("Salami-Taktik") beigebracht werden, ohne dass es für diese Vorgehenswiese einen sachlichen Grund gibt und die Umstände zwar nicht zweifelsfrei für die Annahme einer Verschleppungsabsicht genügen, aber gleichwohl durch das ständige "Nachschieben" eine vermeidbare Verfahrensverzögerung eintritt.
Beraterhinweis Aus Beratersicht sollte darauf geachtet werden, dass das FA die tragenden Ermessensgründe, weshalb eine Präklusionsfrist gesetzt worden ist, anführt, um die genannten Gründe einer Pr...