Vorschrift grundsätzlich sinnvoll: Aus Verfassersicht ist die Vorschrift im Lichte ihres Sinn und Zwecks – nämlich dem Missbrauch der Führung von Rechtsbehelfsverfahren, um sich einen Zeitgewinn zu verschaffen, entgegenzuwirken, Verfahrensverschleppungen in dem Zusammenhang zu verhindern und auf eine Straffung des Verfahrens hinzuwirken – dem Grunde nach zu begrüßen. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung von § 364b AO ein nachvollziehbares Ziel verfolgt.
Insb. in Fällen, in denen Stpfl. Steuererklärungen nie fristgerecht abgeben und deshalb geschätzt werden oder Beweismittel zurückgehalten werden, auch im Einspruchsverfahren auf Aufforderungen hin gar nicht reagiert wird, um letztlich dann im Klageverfahren – womöglich gar überraschend als taktisches Mittel inmitten der mündlichen Verhandlung – Vorbringen "nachzuschieben", muss es nämlich verfahrensrechtliche Instrumente geben, um solch ein unredliches Verhalten zu verhindern bzw. zumindest zu erschweren.
Praxisbedingte Schwächen: In der Praxis bringt die Präklusionsvorschrift des § 364b AO jedoch erhebliche Schwächen mit sich, welche vielschichtig sind. Zum einen fristet die Vorschrift nach der Erfahrung des Verfassers ein Nischendasein und wird durch das FA generell eher zurückhaltend angewendet (so auch Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 364b AO Rz. 2 m.w.N. [Feb. 2021]). Zum anderen unterlaufen Bediensteten, welche nicht in der Rechtsbehelfsstelle sitzen, deshalb nicht tagtäglich Einsprüche bearbeiten und dadurch zwangsläufig i.d.R. weniger vertiefte Kenntnisse auch in Randbereichen des Verfahrensrechts sammeln (insb., weil Bedienstete außerhalb der Rechtsbehelfsstelle verstärkt veranlagend oder prüfend tätig sind), vermeidbare Kardinalfehler bei der Fristsetzung im Rahmen der sog. Erstbearbeitung des Einspruchs.
Wird etwa – wie vom Verfasser hin und wieder in seiner Zeit in der Rechtsbehelfsstelle beobachtet – das Entschließungsermessen nicht hinreichend begründet, der Gegenstand der Fristsetzung nicht hinreichend konkret benannt oder auch eine unangemessen kurze Frist gesetzt, so läuft die Präklusionsfrist entweder bereits im Einspruchsverfahren (wenn schon der Sachbearbeiter die Frist als unwirksam erachtet), spätestens aber bei gerichtlicher Überprüfung ins Leere. Wird eine Norm kaum angewendet, so ist es letztlich wenig überraschend, dass es bei deren seltenen Anwendung – zumal noch im Massengeschäft des Steuervollzugs – dann verwaltungsseitig zu entsprechenden Fehlern kommt, weil die Routine und das Problembewusstsein fehlen.
Friktionen zwischen AO und FGO: Hinderlich ist für eine wirkungsvolle Anwendung ebenso, dass § 364b AO außergerichtlich eine obligatorische Präklusion anordnet, während die Parallelvorschrift in § 76 Abs. 3 FGO eine gerichtliche Zurückweisung des präkludierten Vorbringens ausdrücklich ins Ermessen des FG stellt. Im Zweifel werden Einspruchsführer, deren Vorbringen im Einspruchsverfahren wirksam präkludiert ist, aber sich z.B. in Schätzungsfällen spät zur Abgabe einer Steuererklärung aufraffen können, eher noch animiert, dass sie die Einspruchsentscheidung abwarten und im Klageverfahren nochmal "ihr Glück versuchen" und auf eine Zulassung des eigentlich präkludierten Vorbringens durch das FG hoffen. Dies ist insb. mit Hinblick darauf zu betrachten, dass die Rechtsprechung § 76 Abs. 3 FGO restriktiv-zurückhaltend anwendet (so auch Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 76 FGO Rz. 120 [Feb. 2022]) und die Gerichte ihre Möglichkeit der Zurückweisung des präkludierten Vorbringens selbst bei ermessensfehlerfreier Präklusionsfristsetzung durch das FA kaum wahrnehmen. Die zurückhaltende Zurückweisungspraxis eigentlich präkludierten Vorbringens durch das FG könnte indes ein weiterer Grund dafür sein, dass das FA – wie oben angesprochen – selten von § 364b AO Gebrauch macht, weil selbst bei ermessensfehlerfreier Entscheidung das Vorbringen letztlich doch noch Berücksichtigung findet und es sich insoweit aus Verwaltungssicht um vergebene Mühe handelt.
Abhilfe schaffen würde de lege ferenda die Einführung einer doppelt-obligatorischen Präklusion, so dass die Präklusionswirkung einer ermessensfehlerfreien Fristsetzung des FA i.S.d. § 364b AO nicht mehr in das Ermessen des FG i.S.d. § 76 Abs. 3 FGO gestellt würde, sondern die Präklusionswirkung zwingend vom Einspruchsverfahren in das Klageverfahren überstrahlte. Dies begegnet jedoch – trotz der Effektivität und wünschenswerten Harmonisierung beider Präklusionsnormen – mit Hinblick auf Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. hierzu ausführlicher Krumm, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 76 FGO Rz. 115, m.w.N. [Feb. 2022]). Eine Auflösung dieses Normenkonflikts scheint mithin einfachgesetzlich nur schwerlich realisierbar.
Rechtsprechungsänderung als Ausweg?: Aus Verfassersicht könnte nur eine Rechtsprechungsänderung weg von einer tendenziell zurückhaltenden Anwendung und hin zu einer wesentlich schärferen Anwendung des § 76 Abs. 3 FGO durch die Gerichte bei ermessensfehlerfreien vorverfahre...