Um einen Lösungsansatz zu bewerten, bietet es sich regelmäßig an, diesen anhand extremer Beispiele zu durchdenken und das daraus folgende Ergebnis mit der Realität und den geltenden Grundsätzen zu vergleichen.
Ähnlich verhält es sich bei dem, im Urteil vom BFH"vorgeschlagenen" Lösungsweg entsprechend dem UStAE Abschn. 3.17 Abs. 7 Bsp. 2:
"Der Unternehmer G betreibt ein Gutscheinportal, auf dem er Gutscheine verschiedener Unternehmen im fremden Namen anbietet. Privatperson A erwirbt im Januar 01 einen Gutschein des Unternehmers B im Wert von 100 EUR für einen Fallschirmsprung und bezahlt hierfür 100 EUR an G. G hat mit B vereinbart, im Falle eines veräußerten Gutscheins 20 % des Gutscheinwerts als Vermittlungsprovision einzubehalten und den Rest an B weiterzuleiten. B hat im Januar 01 für den Verkauf des Gutscheins 100 EUR abzüglich USt zu versteuern, soweit er seine Umsätze nach vereinbarten Entgelten versteuert. G muss im Januar 01 20 EUR abzüglich USt versteuern. G hat in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit den einzelnen Unternehmern, so auch mit B, geregelt, den vereinnahmten Gutscheinpreis abzüglich der Vermittlungsprovision erst bei Einlösung des Gutscheins auszuschütten. Hierfür muss B dem G innerhalb einer bestimmten Frist mitteilen, wann ein Kunde seinen Gutschein eingelöst hat. Erfolgt diese Mitteilung nicht oder wird der Gutschein nicht eingelöst, werden die von G vereinnahmten Gelder nicht an B weitergeleitet. A löst seinen Gutschein nicht ein. Zu einer Rückzahlung des Gutscheinwerts kommt es nicht. Eine Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 1 UStG kommt daher für die fiktiv erbrachte Leistung des B an A nicht in Betracht. G hat den bei ihm verbleibenden Betrag in Höhe von 80 EUR abzüglich USt als zusätzliches Entgelt für die an B erbrachte Vermittlungsleistung zu versteuern. Der Vorsteuerabzug des B in Bezug auf die Vermittlungsleistung des G erhöht sich entsprechend."
Betrachtet man diese Vorgehensweise in der Praxis, führt sie zu einem systemwidrigen Ergebnis welches nicht gewollt sein kann.
Beispiel
Man stelle sich vor, dass der Verein für Fallschirmsport Reken (R) ein solcher Unternehmer ist, für den der G Gutscheine vertreibt. Diese Gutscheine werden im Jahr 2024 aufgrund der schönen Lage von Reken hervorragend angenommen und 1.000-Mal zu einem Preis von 200 EUR (netto) verkauft. Der G vereinnahmt das Geld der Endkunden i.H.v. 200.000 EUR und versteuert seine Vermittlungsprovision von 40.000 EUR (20 % x 200.000 EUR). Der R erhält, mangels Einlösung, noch keine Zahlung von G hat aber im Zeitpunkt der Ausgabe der Gutscheine insgesamt 200.000 EUR (d.h. Umsatzsteuer i.H.v. 38.000 EUR) zu versteuern und erhält den Vorsteuerabzug aus der Rechnung des G i.H.v. 3.800 EUR (20.000 EUR x 19 %). Somit wäre R allein durch die Ausgabe von Gutscheinen durch G mit Umsatzsteuer i.H.v. 34.200 EUR belastet.
Nachdem lediglich 10 % der Gutscheine eingelöst wurden und der Rest mit Ablauf des Jahres 2027 verfallen sind, hat R somit insgesamt 16.000 EUR (10 % x 80 % x 200.000 EUR) von G erhalten. Die Umsatzsteuerschuld auf Ebene des R ändert sich jedoch nicht.
Mit Nichteinlösung der Gutscheine erhöht sich die Bemessungsgrundlage für die Vermittlungsleistung des G gem. § 17 UStG auf 180.000 EUR (100 % x 90 % x 200.000). Somit muss G dem R nun eine berichtigte Rechnung über die "fiktiven" 900 Vermittlungsleistungen erstellen aufgrund derer niemals ein Kunde zum Fallschirmspringen erschienen ist. Aus diesen "fiktiven" Vermittlungsleistungen steht dem R nun der volle Vorsteuerabzug zu. Welchen wirtschaftlichen Vorteil der G dem R in diesem Sachverhalt erbracht haben sollen, bleibt völlig offen.
Diese realitätsfernen wirtschaftlichen Folgen treten als weiteres Argument neben die bereits erwähnten rechtsdogmatischen Erwägungen, welche gegen die Lösung des FG sprechen. Zudem ist deutlich hervorzuheben, dass im Beispiel aus dem o.g. UStAE der Empfänger der Vermittlungsleistung bereits klar feststeht ("A erwirbt im Januar 01 einen Gutschein des Unternehmers B"). Dies ist ein elementarer Unterschied zum Urteilsfall – dort wird erst mit Einlösung des Gutscheins endgültig festgelegt, an wen die Vermittlungsleistung erbracht wird. Insbesondere eine Rechnungsstellung für die (fiktive bzw. noch nicht erbrachte) Vermittlungsleistung seitens des Klägers an den (noch nicht bestimmbaren) Erlebnispartner dürfte sich bei der Vorgehensweise entsprechend der Lösung des UStAE als schwierig bzw. unmöglich darstellen, da allein die Adressierung aufgrund der fehlenden Daten schlichtweg nicht möglich ist. Auch die nachträgliche Erhöhung der Bemessungsgrundlage für eine (fiktive bzw. noch nicht erbrachte) Vermittlungsleistung entbehrt jedweder Logik – es bedürfte hellseherischer Fähigkeiten um die dargestellte Vorgehensweise praktisch umzusetzen.