Verwirrt lässt der EuGH den Leser hinsichtlich der Steuerbarkeit von "Leistungen" zwischen Organgesellschaft und Organträger zurück. Er prüft, ob ein für einen Leistungsaustausch notwendiges Rechtsverhältnis zwischen der Organgesellschaft und dem Organträger vorliegen kann. Nur dann können die von der Organgesellschaft erbrachten Leistungen der Umsatzsteuer unterliegen. Der EuGH bejaht eine wirtschaftliche Tätigkeit sowie die Selbständigkeit der Organgesellschaft, nimmt mithin ein Rechtsverhältnis an. Nach der deutschen Lesart von Art. 11 MwStSystRL kann es ein solches gegenseitiges Rechtsverhältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft jedoch mangels Selbständigkeit der Organgesellschaft nicht geben.

Materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Dimension der Organschaft nach nationalem Recht: Nach nationalem Recht hat man bislang für die Folge eines umsatzsteuerlichen Organschaftsverhältnisses gehalten, dass die Eingangs- und Ausgangsumsätze der Organgesellschaft dem Organträger umsatzsteuerrechtlich zuzurechnen sind. Leistungen zwischen der Organgesellschaft und dem Organträger sollten demnach als bloße Innenumsätze nicht steuerbar sein. Hierdurch lässt sich die Umsatzsteuer auf die Wertschöpfung innerhalb des Organkreises einsparen.[7] In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist außerdem nur jeweils eine Umsatzsteuervoranmeldung und eine Umsatzsteuerjahreserklärung durch den Organträger abzugeben. Steuerschuldner ist dabei nach der deutschen Konzeption der Organträger. Die umsatzsteuerliche Organschaft bietet damit nach nationalem Verständnis materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Vorteile.

Bereits mit der Schaffung des Systems der Allphasen-Nettoumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug[8] hat die umsatzsteuerliche Organschaft an Bedeutung eingebüßt. Denn bei vollem Recht auf Vorsteuerabzug aller Beteiligten bringt die umsatzsteuerliche Organschaft zumeist keine materiell-rechtlichen Vorteile mehr. Wenn nun aber der EuGH tatsächlich annimmt, dass es nicht steuerbare Innenumsätze gar nicht gibt, so kommt der umsatzsteuerlichen Organschaft keine materiell-rechtliche Dimension mehr zu. Gerade jene Einrichtungen, die nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind und für die die Organschaft trotz des Systemwechsels zum Prinzip der Allphasen-Nettoumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug noch von erheblicher Bedeutung war, wären nun von den EuGH-Urteilen betroffen. Konkret betrifft dies vor allem juristische Personen des öffentlichen Rechts, gemeinnützige Einrichtungen mit ideeller Tätigkeit und gemischte Holdings. Ist die umsatzsteuerliche Organschaft damit faktisch tot?

Die Organschaft lebt weiter: Tatsächlich wird man den EuGH so verstehen müssen, dass er dem BFH lediglich beantworten wollte, ob es unionsrechtlich zulässig ist, die Organschaft als einen typisierten Fall der fehlenden Selbständigkeit einzuordnen. Daran, dass die umsatzsteuerliche Organschaft innerhalb des Organkreises nicht steuerbare Innenumsätze nach sich zieht, wollte der EuGH gar nicht rütteln. Er wollte lediglich ausführen, dass die umsatzsteuerliche Organschaft kein Unterfall der fehlenden Selbständigkeit ist (wie das nationale Recht dies vorsieht), sondern auf einem eigenständigen Konstrukt in Form der Mehrwertsteuergruppe fußt. Die Mehrwertsteuergruppe ist für den EuGH anscheinend ähnlich wie die Betätigung der öffentlichen Hand ein eigener Prüfungspunkt der Steuerpflichtigeneigenschaft.[9]

Die Typisierungslösung des BFH: Der Charme des Typisierungsgedankens des BFH wäre gewesen, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG gänzlich unabhängig von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie (heute: Art. 11 MwStSystRL) mit Unionsrecht vereinbar wäre. Unionsrechtliche Grundlage der nationalen Vorschrift wäre vielmehr Art. 4 Abs. 1, Abs. 4 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie (heute Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL). Das nationale Erfordernis eines Unterordnungsverhältnisses sowie die Annahme, der Organträger sei Steuerpflichtiger, wären dann auf dieser Grundlage zu rechtfertigen. Eines Rückgriffs auf die unionsrechtliche Regelung zur Mehrwertsteuergruppe bedürfte es nicht. Die Regelung könnte ohne Auswirkungen auf § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG hinweggedacht werden.

Rechtsprechungshistorie und Methodenlehre sprechen für nicht steuerbare Innenumsätze: Dafür, dass der EuGH mit seinen Ausführungen nicht sagen wollte, dass es innerhalb der Organschaft keine nicht steuerbaren Innenumsätzen gebe, spricht auch, dass sich der EuGH selbst in der Vergangenheit bereits zu nicht steuerbaren Innenumsätzen innerhalb des Organkreises bekannt hat.[10] Hätte der EuGH hier Gegenteiliges ausführen wollen, wäre dies unter Berücksichtigung der Methodenlehre zudem äußerst fragwürdig. Der Wortlaut von Art. 11 MwStSystRL sieht keine Beschränkung auf eine rein verfahrensrechtliche Dimension der Mehrwertsteuergruppe vor, sondern deutet vielmehr auf eine materiell-rechtlich Auswirkung in Form der Verschmelzung zu einem Steuerpflichtigen hin. Jedes andere Verständnis wäre auch unter systematisch...

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