Wie bereits unter cc) dargestellt ist das Vorbringen von wesentlich Neuem während des Klageverfahrens von solchem abzugrenzen, welches bereits im Einspruchsverfahren angeführt worden ist und demnach keine neuen Erkenntnisse hervorbringt.
Denkbar ist in dem Zusammenhang, dass das FA selbst in der Einspruchsentscheidung neues Vorbringen auf Ebene des Einspruchsverfahrens nicht würdigt und wesentliche Aspekte in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht unberücksichtigt bleiben.
Macht das FG im anschließenden Klageverfahren von § 105 Abs. 5 FGO Gebrauch, so übergeht es – anders als beim neuen Vorbringen unter cc) – den Vortrag des Klägers zwar nicht unmittelbar selbst, aber zumindest mittelbar. Das FG macht sich in dem Fall das Übergehen des FA zu eigen, so wie es sich im Allgemeinen die Entscheidung zu eigen macht.
So hat jüngst auch der BFH mit Beschluss v. 18.8.2023 (BFH v. 18.8.2023 – IX B 114/22) entschieden. Das FA hatte wesentlich neues Vorbringen im Einspruchsverfahren nicht berücksichtigt und den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Im sich anschließenden Klageverfahren hat die Klägerseite ihren Sachvortrag aus dem Einspruchsverfahren noch einmal vorgebracht.
Das FG hatte von der Begründungserleichterung nach § 105 Abs. 5 FGO Gebrauch gemacht und auf die Einspruchsentscheidung verwiesen, ohne dass auf das – zwar prozessual nicht mehr neue, aber zu keinem Zeitpunkt berücksichtigte – Vorbringen eingegangen worden ist.
Der BFH hat in dem Zusammenhang klargestellt, dass auch dann, wenn sich das FG das Übergehen des FA zu eigen macht, ein irreversibler Begründungsmangel i.S.d. § 119 Nr. 6 FGO vorliegt.
Dies ist zu begrüßen, weil die Entscheidung den Anspruch auf rechtliches Gehör stärkt und konsequenterweise in Anknüpfung an die bisherige Rspr. keinen Unterschied zwischen dem unmittelbaren oder mittelbaren Übergehen durch das FG macht.
Beraterhinweis Es sollte beraterseitig gründlich überprüft werden, ob das FA in der Einspruchsentscheidung tatsächlich sämtliches wesentliches Vorbringen hinreichend gewürdigt hat. Wenn das FA nämlich die Wesentlichkeit einzelner Gesichtspunkte verkennt oder etwa für den Steuerpflichtigen günstiges Vorbringen grundlos ohne Wertung außen vor lässt und das FG sich dies nach § 105 Abs. 5 FGO zu eigen macht, so kann man diesen Umstand ggf. als absoluten Revisionsgrund heranziehen.