1. Entscheidung von Amts wegen
Die Wiedereröffnung ist nicht antragsgebunden. Das Gericht hat – insb. beim Eingang von Schriftsätzen nach Schluss der mündlichen Verhandlung – von Amts wegen zu entscheiden, ob die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen ist (BFH v. 28.1.2004 – I B 50/03, BFH/NV 2004, 799 Rz. 4; v. 29.4.2004, III B 73/03, juris Rz. 21; v. 7.5.2015 – VI R 44/13, BStBl. II 2015, 890 Rz. 19 ff.).
Beraterhinweis Dessen ungeachtet ist es ratsam, in einem entsprechenden Schriftsatz die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anzuregen und zugleich substantiiert (vgl. BFH v. 14.1.2016 – III B 48/15, juris Rz. 11) darzulegen, dass die Voraussetzungen der Wiedereröffnung vorliegen (so auch Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 93 FGO Rz. 7 [2/2019]). Entscheidet das Gericht sich gegen eine Wiedereröffnung, müssen die Urteilsgründe zu erkennen geben, dass der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsatz zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt wurde (BFH v. 29.4.2004 – III B 73/03, juris Rz. 11 f.; v. 7.5.2015 – VI R 44/13, BStBl. II 2015, 890 Rz. 19 ff.).
2. Ermessen
Die Entscheidung über die Wiedereröffnung steht nach dem Wortlaut des § 93 Abs. 2 S. 2 FGO ("kann") im Ermessen des Gerichts (vgl. etwa BFH v. 4.4.2001 – XI R 60/00, BStBl. II 2001, 706 Rz. 15; v. 31.5.2017 – XI R 2/14, BStBl. II 2017, 1024 Rz. 46). Das Ermessen ist allerdings auf null reduziert, wenn durch die Ablehnung der Wiedereröffnung wesentliche Prozessgrundsätze verletzt würden, z.B. weil anderenfalls der Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt oder die Sachaufklärung unzureichend ist (BFH v. 31.5.2017 – XI R 2/14, BStBl. II 2017, 1024 Rz. 46 m.w.N.). Die mündliche Verhandlung ist daher jedenfalls dann zwingend wiederzueröffnen, wenn das Urteil andernfalls vom BFH im Falle der Revision aufzuheben wäre (Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 93 FGO Rz. 7 [2/2019]). Im Ergebnis wird daher in Fällen, in denen die unter III. genannten Voraussetzungen vorliegen, aus Sicht des Gerichts i.d.R. kein Ermessensspielraum mehr bestehen, da andernfalls die Verletzung von Verfahrensrechten droht.
3. Form
Das Gericht entscheidet über die Wiedereröffnung nach dem Wortlaut des § 93 Abs. 3 S. 2 FGO durch Beschluss. Entscheidet sich das Gericht gegen eine Wiedereröffnung, ist es ausreichend, die Gründe hierfür im Urteil selbst darzulegen (BFH v. 29.4.2004 – III B 73/03, juris Rz. 12). Es handelt sich dann gleichwohl um einen eigenständigen Beschluss, der lediglich äußerlich mit dem Urteil verbunden ist (BFH v. 23.10.2003 – V R 24/00, BStBl. II 2004, 89 Rz. 20; v. 25.11.2008 – II R 38/06, BFH/NV 2009, 772 Rz. 11).
4. Besetzung des Gerichts
Mitwirkung ehrenamtlicher Richterinnen/Richter an der Beschlussfassung?: Den Beschluss fasst der Spruchkörper, der auch zur Entscheidung in der Sache berufen ist, wobei umstritten ist, ob die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter an der Beschlussfassung mitzuwirken haben. Nach der Grundregel des § 5 Abs. 3 S. 1 FGO entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Richter*innen und zwei ehrenamtlichen Richter*innen. Nach § 5 Abs. 3 S. 2 FGO wirken die Ehrenamtlichen bei "Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung" sowie bei Gerichtsbescheiden nicht mit. Ausgehend hiervon wird eine Mitwirkung der Ehrenamtlichen bei der Beschlussfassung über die Wiedereröffnung teilweise für erforderlich gehalten. Hierfür wird angeführt, es liege kein Beschluss außerhalb der mündlichen Verhandlung vor, da noch kein wirksames Urteil vorliege und das Stadium der Beratung unter Mitwirkung der Ehrenamtlichen noch nicht abgeschlossen sei. Das Beratungsergebnis sei zu diesem Zeitpunkt ein bloßes Internum, das – dies dürfte unstreitig sein – nur unter Mitwirkung der Ehrenamtlichen geändert werden könne. Da der in Rede stehende Beschluss gerade die Frage betreffe, ob das Beratungsergebnis Bestand habe und das Stadium des bloßen Internums verlasse oder nicht, könne auch dieser nur in der vollen Besetzung gefasst werden (FG Sa.-Anh. v. 29.1.2014 – 3 K 1223/11, juris, rkr., Rz. 52 ff.; Wendl in Gosch, AO/FGO, § 93 FGO Rz. 112 [6/2017]). Es sei mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters nicht vereinbar, wenn über den Bestand des vom vollbesetzten Senat gefällten Urteils eine andere Richterbank entscheide (FG Münster v. 29.9.2012 – 9 K 2546/11 G,F, EFG 2013, 64 Rz. 16; in diese Richtung auch Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 93 FGO Rz. 11 [2/2019]). Ein anderes Ergebnis widerspreche auch dem Umstand, dass im Falle der Wiedereröffnung dieselben Ehrenamtlichen an der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung mitzuwirken hätten (FG Münster v. 29.9.2012 – 9 K 2546/11 G,F, EFG 2013, 64 Rz. 15; FG Sa.-Anh. v. 29.1.2014 – 3 K 1223/11, juris, rkr., Rz. 52 ff.).
Überzeugender erscheint die auch vom BFH vertretene Gegenauffassung (BFH v. 28.2.1996 – II R 61/95, BStBl. II 1996, 318 Rz. 18; v. 23.10.2003 – V R 24/00, BStBl. II 2004, 89 Rz. 21; v. 7.10.2005 – II B 94/04, BFH/NV 2006, 323 Rz. 15). Der Beschluss über die Wiedereröffnung ist eine von der mündlichen Verhandl...