S 6.1 Allgemeines
(1) 1§ 371 Abs. 1 AO bietet dem Steuerstraftäter die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige. 2Wer in den Fällen des § 370 AO unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde (Familienkasse) in vollem Umfang berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, wird insoweit straffrei. 3Die Angaben müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten erfolgen. 4Dies umfasst mindestens die im Bereich der §§ 31, 62 bis 78 EStG innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre begangenen Steuerstraftaten, die dem Kalenderjahr, in dem die Selbstanzeige eingeht, vorangehen, zuzüglich des Zeitraums im laufenden Kalenderjahr bis zum Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige. 5Die Straffreiheit tritt nicht ein, wenn Ausschlussgründe gem. § 371 Abs. 2 AO vorliegen, vgl. S 6.3. 6Die Straffreiheit tritt nur ein, soweit das hinterzogene Kindergeld und die Zinsen nach § 235 AO innerhalb der dem Täter gesetzten angemessenen Frist entrichtet werden, vgl. Nr. 132, 11, 77 Nr. 3 AStBV (St) 2023. 7Für Steuerordnungswidrigkeiten enthält § 378 Abs. 3 AO eigene Regelungen. 8Zur Selbstanzeige bei Ordnungswidrigkeiten vgl. S 6.7.
(2) 1Die Straffreiheit bezieht sich nur auf steuerstrafrechtliche Taten. 2Liegen zugleich allgemeine Straftaten (z.B. Urkundenfälschung, im Bereich des öffentlichen Dienstes: Betrug zu Lasten des Dienstherrn durch den unrechtmäßigen Bezug des Familien- bzw. Ortszuschlages) vor, so ist der Vorgang trotz einer Selbstanzeige an die Staatsanwaltschaft abzugeben, vgl. S 8.1.3.
(3) 1Stellt sich zu einem späteren Zeitpunkt heraus, dass die Selbstanzeige unvollständig war, und wurde das Strafverfahren seinerzeit nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, kann ein erneutes Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. 2§ 170 Abs. 2 StPO führt nicht zum Strafklageverbrauch. 3Wurde das Strafverfahren nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage oder durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossen, so ist bezüglich der von der unwirksamen Selbstanzeige umfassten Taten Strafklageverbrauch (Art. 103 Abs. 3 GG) eingetreten.
S 6.2 Form und Inhalt der Selbstanzeige
(1) 1Die Selbstanzeige muss die Berichtigung unrichtiger, die Ergänzung fehlender oder die Nachholung unterlassener Angaben in vollem Umfang enthalten, sodass die Festsetzungsstelle der Familienkasse oder die BuStra-Stelle der Familienkasse ohne eigene Nachforschungen zutreffende Anhaltspunkte über Grund und Ausmaß der vorangegangenen oder beabsichtigten nicht gerechtfertigten Kindergeldzahlung erhält. 2Die Selbstanzeige muss nicht als solche bezeichnet sein, auch muss sich der Täter nicht einer Straftat bezichtigen, es genügt, wenn er seine Angaben berichtigt bzw. vervollständigt. 3Seine Motive sind nicht beachtlich, er muss nicht freiwillig handeln. 4Eine bestimmte Form ist für die Berichtigung nicht vorgeschrieben, jedoch reicht die bloße Rückzahlung des nicht gerechtfertigten Kindergeldes nicht. 5Die Selbstanzeige ist gegenüber einer Finanzbehörde i.S.d. § 6 Abs. 2 Nr. 6 AO zu erstatten. 6Sie ist auch dann noch anzuerkennen, wenn eine unzuständige Stelle sie der zuständigen Finanzbehörde übermittelt, bevor ein Ausschlussgrund nach § 371 Abs. 2 AO eingreift (vgl. S 6.3).
(2) 1Der Täter muss die Berichtigung selbst vorgenommen oder zumindest veranlasst haben. 2Sind mehrere an der Tat beteiligt, gilt die Selbstanzeige nur zugunsten des jeweiligen Anzeigeerstatters.
S 6.3 Ausschlussgründe
(1) Straffreiheit tritt nicht ein, wenn einer der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO vorliegt.
(2) 1Nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO ist eine strafbefreiende Selbstanzeige nicht mehr möglich, wenn dem Täter oder Teilnehmer oder einem Vertreter die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen dieser Tat bekannt gegeben worden ist. 2Aus der Bekanntgabe muss hervorgehen, dass die Behörde einen konkreten Verdacht hinsichtlich der Tat, wegen der Selbstanzeige erstattet wird, hat und dass deshalb ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet worden ist. 3Anfragen zur Aufklärung des Sachverhaltes genügen nicht. 4Zu Vorermittlungen vgl. Nr. 13 AStBV (St) 2023. 5Die Tat muss genau bezeichnet sein. 6Eine bestimmte Form ist für die Bekanntgabe nicht vorgeschrieben, allerdings muss sie amtlich erfolgen und im Zweifelsfall gerichtlich nachweisbar sein. 7Interne Maßnahmen der Familienkasse einschließlich der die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens anordnenden Aktenverfügung schließen eine wirksame Selbstanzeige noch nicht aus. 8Es kann sachdienlich sein, dem Beschuldigten bereits im Zusammenhang mit der Anhörung gem. § 91 AO die Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekannt zu geben.
(3) 1Straffreiheit tritt nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht ein, wenn eine der Steuerstraftaten bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste. 2Eine Entdeckung liegt noch nicht vor, wenn ein Tatverdacht besteht, vielmehr muss der Entdecker zumindest einen Teil des wirklichen Tatgeschehens oder der Tatfolgen selbst unmittelbar wahrgenommen haben. 3Mitteilungen Dritter genügen nicht. ...